OGH 10Ob54/14k

OGH10Ob54/14k30.9.2014

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj R*****, geboren am *****, und der mj M*****, geboren am *****, beide vertreten durch das Land Wien als Kinder‑ und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie, Rechtsvertretung, Bezirke 12, 13 und 23, 1230 Wien, Rößlergasse 15), wegen Unterhaltsvorschuss, über den Revisionsrekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 3. Juni 2014, GZ 43 R 198/14g‑142, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Donaustadt vom 19. Februar 2014, GZ 3 Pu 148/10p‑125, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0100OB00054.14K.0930.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

 

Begründung:

Die beiden Minderjährigen sind die Kinder von C***** und M*****. Da der Vater in der Vergangenheit seiner Unterhaltspflicht für die beiden Minderjährigen nicht nachkam und sich auch wiederholt in Haft befand, wurden den beiden Minderjährigen Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 1 bzw § 4 Z 3 UVG gewährt. So wurde mit Beschlüssen des Erstgerichts vom 10. 5. 2011 (ON 84 und 85) beiden Kindern Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 3 UVG für die Zeit vom 1. 3. 2011 bis 31. 8. 2011 gewährt.

Mit Beschlüssen vom 20. 9. 2011 (ON 92 und 93) wurden die Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 3 UVG hinsichtlich beider Kinder mit Ablauf des August 2011 beendet und die zuvor gewährten Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG jeweils wieder in Geltung gesetzt.

Mit Beschlüssen vom 12. 11. 2012 (ON 105 und 106) wurden die Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG hinsichtlich beider Kinder für die Zeit vom 1. 11. 2012 bis 31. 10. 2017 in Höhe von monatlich jeweils 180 EUR weitergewährt.

Mit Beschlüssen vom 15. 3. 2013 (ON 110 und 111) wurden die Unterhaltsvorschüsse gemäß § 19 Abs 1 UVG mit Ablauf des Mai 2013 auf monatlich jeweils 120 EUR herabgesetzt.

Am 27. 11. 2013 teilte der Kinder‑ und Jugendhilfeträger dem Erstgericht mit, dass der Vater mit 31. 10. 2013 aus dem Pensionsbezug ausgeschieden sei und seither keiner versicherungspflichtigen Tätigkeit nachgehe, weshalb eine Anspannung des Vaters auf ein Einkommen von 1.200 EUR monatlich (wie vor dem Pensionsbezug) begehrt und die Anpassung der Unterhaltsvorschüsse an die Titelhöhe von 180 EUR monatlich je Kind ab 1. 11. 2013 beantragt werde.

Am 16. 12. 2013 langte beim Erstgericht der Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt vom 30. 10. 2013 ein, mit dem die Weitergewährung der mit 31. 10. 2013 befristeten Invaliditätspension des Vaters abgelehnt wurde. Das Erstgericht brachte aufgrund von Erhebungen am 16. 12. 2013 erstmals in Erfahrung, dass sich der Vater bereits seit 21. 5. 2013 bis voraussichtlich 1. 3. 2014 wiederum in Haft befindet.

Der Kinder‑ und Jugendhilfeträger modifizierte mit Eingabe vom 13. 1. 2014 (vgl ON 121) daraufhin seinen Antrag vom 27. 11. 2013 dahingehend, dass die Umwandlung der Unterhaltsvorschüsse in solche gemäß § 4 Z 3 UVG beantragt werde.

Das Erstgericht stellte mit Beschlüssen vom 21. 1. 2014 (ON 122 und 123) die bisher gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG gewährten Unterhaltsvorschüsse jeweils für die Zeit vom 1. 11. 2013 bis 31. 3. 2014 auf Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 3 UVG in der jeweiligen Höhe nach § 6 Abs 2 UVG um.

Der Kinder‑ und Jugendhilfeträger modifizierte daraufhin am 11. 2. 2014 (ON 124) seinen Antrag vom 27. 11. 2013 neuerlich dahingehend, dass die Umwandlung der Titel‑Unterhaltsvorschüsse in solche nach § 4 Z 3 UVG rückwirkend ab 1. 5. 2013 beantragt werde.

Das Erstgericht wies mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss vom 19. 2. 2014 (ON 125) diesen Antrag der Kinder auf Umwandlung der Titel‑Vorschüsse in solche gemäß § 4 Z 3 UVG rückwirkend ab 1. 5. 2013 ab. Es begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass eine rückwirkende Änderung der Vorschüsse nur in den in § 19 UVG angeführten Fällen der Erhöhung oder Herabsetzung des Unterhaltsbetrags zulässig sei. Da es sich bei den Vorschüssen gemäß § 4 Z 3 UVG jedoch um Vorschüsse in Höhe des Richtsatzes nach § 6 UVG handle und eine Erhöhung der Unterhaltsleistung nicht erfolgt sei, sei die von den Kindern beantragte rückwirkende Umwandlung der Vorschüsse gesetzlich nicht vorgesehen.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der beiden Minderjährigen keine Folge. Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichts und führte im Wesentlichen noch aus, ein Kind erhalte nach § 7 Abs 2 UVG Vorschüsse nach § 4 Z 1, 2 oder 4 UVG grundsätzlich für längstens sechs Monate weiter, wenn dem Unterhaltsschuldner die Freiheit entzogen werde und bei Titelvorschüssen der Titel aufrecht bleibe. Werde ‑ wie im vorliegenden Fall ‑ innerhalb dieses sechsmonatigen Zeitraums vom Kind kein Antrag auf Umstellung der Vorschüsse gestellt, seien die Vorschüsse gemäß § 7 Abs 2 UVG ab dem dem Ablauf der Sechsmonatsfrist folgenden Monatsersten von Amts wegen auf Haftvorschüsse umzustellen, dies bedeute, die Titelvorschüsse werden eingestellt und Haftvorschüsse werden gewährt. Dies habe gegebenenfalls auch rückwirkend zu erfolgen, wenn das Gericht erst verspätet von der Haft erfahre. Die rückwirkende Gewährung der Haftvorschüsse erfolge jedoch mit der Maßgabe bzw der Einschränkung, dass die Vorschüsse rückwirkend auf dem nach Ablauf von sechs Monaten nach Haftantritt folgenden Monatsersten zu gewähren seien. Da sich der Vater seit 21. 5. 2013 in Haft befinde, könnten Haftvorschüsse rückwirkend erst ab dem nach Ablauf von sechs Monaten nach Haftantritt folgenden Monatsersten, somit ab 1. 11. 2013, gewährt werden. Für eine von den beiden Minderjährigen begehrte noch weiter (in die Vergangenheit zurückreichende) rückwirkende Umstellung von Unterhaltsvorschüssen bleibe somit kein Raum. Eine „Schmälerung“ der Unterhaltsvorschussansprüche der Kinder vermöge das Rekursgericht in dieser ‑ gesetzlich vorgesehenen ‑ Vorgangsweise des Erstgerichts nicht zu erkennen, weil die Kinder ‑ ab der Inhaftierung des Vaters im Mai 2013 für einen Zeitraum von sechs Monaten ‑ Titel‑Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG erhalten hätten, bevor diese vom Erstgericht rückwirkend ab 1. 11. 2013 in Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 3 UVG umgestellt worden seien.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil ‑ soweit überblickbar ‑ noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage vorliege, ob die rückwirkende Umstellung von Titel‑Unterhaltsvorschüssen auf Haftvorschüsse gemäß § 4 Z 3 UVG erst ab dem nach Ablauf von sechs Monaten nach Haftantritt des unterhaltspflichtigen Vaters folgenden Monatsersten oder bereits ab dem nach Haftantritt unmittelbar folgenden Monatsersten zu erfolgen habe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs der beiden Minderjährigen mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass die Unterhaltsvorschüsse antragsgemäß ab 1. 5. 2013 in Haftvorschüsse nach § 4 Z 3 UVG umgestellt werden.

Eine Revisionsrekursbeantwortung wurde nicht erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

Die Rechtsmittelwerber machen geltend, der Unterhaltsberechtigte, der bereits Titelvorschüsse erhalte, habe es nach ständiger Rechtsprechung innerhalb der ersten sechs Monate nach Haftantritt des Unterhaltspflichtigen in Form eines Wahlrechts in der Hand, die für ihn günstigere Vorschusshöhe zu wählen. Die Frage, ob diese Wahl auch rückwirkend noch erfolgen könne, sei zwar im UVG nicht ausdrücklich geregelt, jedoch in analoger Anwendung des § 19 UVG zu bejahen. Beiden Fallkonstellationen sei nämlich gemeinsam, dass es sich um keine Erstgewährung von Unterhaltsvorschüssen und inhaltlich jeweils um die Vorschusshöhe handle. Nur im Falle einer Erstgewährung komme die Monatsbezogenheit der Antragstellung zum Tragen.

Diesen Ausführungen ist Folgendes entgegenzuhalten:

1. Werden einem Kind Vorschüsse nach den §§ 3 oder 4 Z 1, 2 oder 4 UVG gewährt und wird dem Unterhaltsschuldner die Freiheit im Sinn des § 4 Z 3 UVG entzogen, so ist dies gemäß § 7 Abs 2 UVG kein Grund, die bisher gewährten Unterhaltsvorschüsse zu versagen. Wird dem Unterhaltsschuldner aber für länger als sechs Monate die Freiheit entzogen, so sind nach Ablauf dieser Zeit von Amts wegen anstelle der bisher gewährten Vorschüsse solche nach § 4 Z 3 UVG zu gewähren, soweit ein entsprechender Antrag nicht bereits früher gestellt worden ist (§ 7 Abs 2 UVG).

1.1 Zweck dieser mit der Novelle BGBl 1980/278 eingeführten Bestimmung ist nach den Materialien (RV 276 BlgNR 15. GP  7, 13) die vereinfachte Abwicklung der Bevorschussung bzw die Vermeidung der vor der Novelle häufig vorgenommenen Unterbrechung von Vorschussleistungen; vielmehr soll es kein Vakuum zwischen Titelvorschüssen und Haftvorschüssen geben ( Neumayr in Schwimann/Kodek , ABGB 4 I § 7 UVG Rz 44; RIS‑Justiz RS0076420).

1.2 Erhält das Kind zu dem Zeitpunkt, in dem dem Unterhaltsschuldner die Freiheit entzogen wird, Vorschüsse nach §§ 3, 4 Z 1, 2 oder 4 UVG, laufen diese daher nach § 7 Abs 2 UVG grundsätzlich für längstens sechs Monate weiter, sofern der den Vorschüssen zugrundeliegende Titel aufrecht ist und nicht bereits früher (vom Unterhaltsberechtigten) ein Antrag auf Vorschüsse nach § 4 Z 3 UVG gestellt wird. Somit hat es der Unterhaltsberechtigte, der bereits Titelvorschüsse erhält, innerhalb der ersten sechs Monate in Form eines Wahlrechts in der Hand, die für ihn günstigere Vorschusshöhe zu wählen, sofern der Unterhaltstitel formell aufrecht bleibt ( Neumayr in Schwimann/Kodek , ABGB 4 I § 4 UVG Rz 77, § 7 UVG Rz 45 jeweils mwN).

1.3 Wird ‑ wie im vorliegenden Fall ‑ innerhalb des sechsmonatigen Zeitraums vom Kind kein Antrag auf Umstellung von laufenden (Titel‑)Vorschüssen auf Haftvorschüsse gestellt (eine amtswegige Umstellung vor Ablauf der Sechsmonatsfrist ist ebensowenig möglich wie eine Antragstellung des Unterhaltsschuldners), sind die nach §§ 3, 4 Z 1, 2 oder 4 UVG aufrecht gewährten Vorschüsse erst nach sechs Monaten von Amts wegen gemäß § 7 Abs 2 UVG auf Haftvorschüsse umzustellen, dh die Titelvorschüsse werden eingestellt und Haftvorschüsse werden ‑ mit dem folgenden Monatsersten ‑ gewährt. Dies hat gegebenenfalls auch rückwirkend zu erfolgen, wenn das Gericht erst verspätet von der Haft erfährt ( Neumayr in Schwimann/Kodek , ABGB 4 I § 4 UVG Rz 80 mwN).

2. Aus der bereits unter Punkt 1. zitierten Regelung des § 7 Abs 2 UVG geht klar hervor, dass die Frist von sechs Monaten nur für die amtswegige Umwandlung der Vorschüsse in solche nach § 4 Z 3 UVG maßgeblich ist. Wird aber ein Antrag auf Gewährung von Vorschüssen nach § 4 Z 3 UVG vom Unterhaltsberechtigten bereits früher gestellt, so muss die Frist von sechs Monaten nicht abgewartet werden. Auch in diesem Fall gilt allerdings nach § 8 UVG der allgemeine Grundsatz, dass Vorschüsse welcher Art auch immer, insbesondere auch Haftvorschüsse, ausnahmslos vom Beginn des Antragsmonats an zu gewähren sind (10 Ob 355/97x, EFSlg 84.889). Nach Ablauf von sechs Monaten der Haftdauer des Unterhaltspflichtigen sind die Titel‑Unterhaltsvorschüsse amtswegig auf Haftvorschüsse umzustellen, weshalb es im vorliegenden Fall nicht schadet, dass die Minderjährigen ihren Antrag auf Umwandlung des Titelvorschusses in einen Haftvorschuss (ON 121) erst acht Monate nach Haftantritt des Vaters gestellt haben. Es sind jedoch in diesem Fall nach zutreffender Rechtsansicht des Rekursgerichts die Richtsatzvorschüsse nach § 4 Z 3 UVG rückwirkend ab dem nach Ablauf von sechs Monaten nach Haftantritt folgenden Monatsersten zu gewähren (vgl Knoll , UVG in ÖA, 9. Lieferung März 1989, § 7 Rz 39). Die von den Rechtsmittelwerbern angestrebte Gewährung der Richtsatzvorschüsse nach § 4 Z 3 UVG rückwirkend mit 1. 5. 2013 (Monat des Haftantritts des Vaters) kommt daher nach zutreffender Rechtsansicht des Rekursgerichts nicht in Betracht (vgl 10 Ob 355/97x, EFSlg 84.889).

3. Die in § 7 Abs 2 UVG vorgesehene Umstellung von Titelvorschüssen auf Haftvorschüsse, dh die Einstellung der Titelvorschüsse und Neugewährung von Haftvorschüssen ab dem folgenden Monatsersten, stellt inhaltlich auch keine der Regelung des § 19 UVG vergleichbare „Änderung der Vorschüsse“ im Sinne dieser Gesetzesstelle dar, weshalb eine analoge Anwendung dieser Bestimmung im vorliegenden Fall nach ebenfalls zutreffender Rechtsansicht des Erstgerichts nicht in Betracht kommt.

Da sich somit die rechtliche Beurteilung der Sache durch die Vorinstanzen insgesamt als zutreffend erweist, musste dem Revisionsrekurs der Minderjährigen ein Erfolg versagt bleiben.

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