OGH 10Ob53/10g

OGH10Ob53/10g17.8.2010

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen Michael B*****, geboren am 7. April 1994, und der minderjährigen Julia B*****, geboren am 19. März 1997, beide vertreten durch den Jugendwohlfahrtsträger Land Niederösterreich (Magistrat der Stadt St. Pölten - Jugendhilfe, 3100 St. Pölten, Heßstraße 6), über den Revisionsrekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 2. Juni 2010, GZ 23 R 184/10x, 23 R 185/10v-18, womit infolge Rekurses des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, die Beschlüsse des Bezirksgerichts St. Pölten vom 7. April 2010, 1 PU 63/10h-12 und 13, abgeändert wurden, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die beiden minderjährigen Michael und Julia B***** sind die Kinder von Andrea H***** und Christoph B*****. Sie sind in Obsorge ihrer Mutter.

Mit Eingabe vom 24. 2. 2010 beantragte der Jugendwohlfahrtsträger als Vertreter der Minderjährigen, den Vater rückwirkend ab 1. 1. 2010 zur Zahlung von monatlichen Unterhaltsbeiträgen von 167 EUR für den minderjährigen Michael und 145 EUR für die minderjährige Julia zu verpflichten. Gleichzeitig beantragte der Jugendwohlfahrtsträger, den Vater mittels einstweiliger Verfügung nach § 382a EO zu einer vorläufigen Unterhaltszahlung in Höhe von jeweils 130,90 EUR an die beiden Minderjährigen ab 24. 2. 2010 zu verpflichten.

Mit Beschluss vom 26. 2. 2010 verpflichtete das Erstgericht den Vater mit einstweiliger Verfügung gemäß § 382a EO ab 24. 2. 2010 bis auf weiteres, längstens jedoch bis zur rechtskräftigen Beendigung des eingeleiteten Unterhaltsfestsetzungsverfahrens einen vorläufigen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 130,90 EUR für den minderjährigen Michael und von 113 EUR für die minderjährige Julia am Ersten eines jeden Monats im Voraus zu bezahlen. Dieser Beschluss wurde dem Vater am 5. 3. 2010 durch Hinterlegung zugestellt und ist unbekämpft in Rechtskraft erwachsen.

Am 11. 3. 2010 beantragten die beiden Minderjährigen, vertreten durch den Jugendwohlfahrtsträger, auf der Grundlage der einstweiligen Verfügung vom 26. 2. 2010 Unterhaltsvorschüsse nach den §§ 3, 4 Z 1 UVG.

Das Erstgericht gewährte mit Beschlüssen jeweils vom 7. 4. 2010 Unterhaltsvorschüsse von monatlich 130,90 EUR für den Zeitraum vom 1. 3. 2010 bis 30. 4. 2012 für den minderjährigen Michael und von monatlich 113 EUR für den Zeitraum vom 1. 3. 2010 bis 28. 2. 2015 für die minderjährige Julia. Es begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass der Unterhaltsschuldner nach der am 20. 3. 2010 eingetretenen Vollstreckbarkeit den laufenden Unterhaltsbetrag nicht zur Gänze geleistet habe und die Führung einer Exekution aussichtslos erscheine, da der Vater Notstandshilfebezieher sei.

Das Rekursgericht gab dem gegen diesen Beschluss vom Bund erhobenen Rekurs Folge, indem es den Unterhaltsvorschuss jeweils erst ab 1. 4. 2010 gewährte und das Begehren für den Monat März 2010 abwies. Es begründete seine Entscheidung damit, dass gemäß § 3 Z 2 UVG idF FamRÄG 2009 Unterhaltsvorschüsse zu gewähren seien, wenn der Unterhaltsschuldner nach Eintritt der Vollstreckbarkeit den laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze leiste. Bei einer einstweiligen Verfügung trete die Vollstreckbarkeit mit deren Zustellung ein. Da die Vollstreckbarkeit des Titels somit erst am 5. 3. 2010 eingetreten sei, seien die Anspruchsvoraussetzungen frühestens ab April 2010 erfüllt, da erst mit diesem Zeitpunkt ein nach Eintritt der Vollstreckbarkeit fälliger laufender Unterhalt vorgelegen sei.

Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil die Bestimmung des § 3 Z 2 UVG durch das FamRÄG 2009 neu gefasst worden sei und zur Auslegung dieser Bestimmung in der neuen Fassung noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.

Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs der Minderjährigen mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses.

Der Bund, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen bzw ihm keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

Die Revisionsrekurswerber machen im Wesentlichen geltend, es gebühre ihnen bereits ab 1. 3. 2010 Unterhaltsvorschuss, weil ihnen der vorläufige Unterhalt mit der in Rechtskraft erwachsenen einstweiligen Verfügung des Erstgerichts vom 26. 2. 2010 beginnend ab 24. 2. 2010 zugesprochen worden sei und zum Zeitpunkt der Bewilligung der Unterhaltsvorschüsse mit der einstweiligen Verfügung vom 26. 2. 2010 bereits ein vollstreckbarer Exekutionstitel vorgelegen sei. Es gebe daher keinen Grund, ihnen die Unterhaltsvorschüsse für den Monat März 2010 zu verwehren.

Diesen Ausführungen ist Folgendes entgegenzuhalten:

Das UVG wurde durch das FamRÄG 2009, BGBl I 2009/75, novelliert. Die geänderte Fassung ist im Wesentlichen am 1. 1. 2010 in Kraft getreten (§ 37 UVG).

Unterhaltsvorschüsse sind zu gewähren, wenn

1. für einen gesetzlichen Unterhaltsanspruch ein im Inland vollstreckbarer Exekutionstitel besteht (§ 3 Z 1 UVG) und

2. der Unterhaltsschuldner nach Eintritt der Vollstreckbarkeit den laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze leistet sowie das Kind glaubhaft macht, einen Exekutionsantrag nach § 294a EO oder, sofern der Unterhaltsschuldner offenbar keine Gehaltsforderung oder keine andere in fortlaufenden Bezüge bestehende Forderung hat, einen Exekutionsantrag auf bewegliche körperliche Sachen unter Berücksichtigung von § 372 EO eingebracht zu haben (§ 3 Z 2 erster Halbsatz UVG idF FamRÄG 2009).

Nach dem unverändert gebliebenen § 4 Z 1 UVG sind Vorschüsse auch zu gewähren, wenn zwar die Voraussetzungen des § 3 Z 1 UVG gegeben sind, aber die Führung einer Exekution nach § 3 Z 2 UVG aussichtslos erscheint, besonders weil im Inland ein Drittschuldner oder ein Vermögen, dessen Verwertung einen die laufenden Unterhaltsbeiträge deckenden Ertrag erwarten lässt, nicht bekannt ist.

Der erkennbare Zweck der Novellierung des § 3 Z 2 UVG lag darin, den Auszahlungszeitpunkt für die Vorschüsse vorzuverlagern (IA 673/A 24. GP 1 und 39). Nach der früheren Rechtslage setzte ein Vorschussanspruch nach § 3 Z 2 UVG eine erfolglose Exekutionsführung in Form der Nichtdeckung des im sechsmonatigen Beobachtungszeitraum (entsprechend den privatrechtlichen Grundsätzen) fällig gewordenen Unterhalts voraus. Eine Vorschussgewährung war möglich, sobald innerhalb des sechsmonatigen Zeitraums ein fällig gewordener Unterhaltsbeitrag nicht durch freiwillige oder exekutive Zahlung voll gedeckt war; der gesamte sechsmonatige Zeitraum musste also nicht abgewartet werden (Neumayr in Schwimann, ABGB3 § 3 UVG Rz 33). Das Erfordernis einer in diesem Sinn wegen Fehlens der Sechs-Monats-Deckung erfolglosen Exekution wurde mit dem Inkrafttreten des FamRÄG 2009 beseitigt. Geblieben ist die Voraussetzung, dass der Unterhaltsschuldner nach Eintritt der Vollstreckbarkeit den laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze leistet.

§ 4 Z 1 UVG regelt den Titelvorschuss bei Aussichtslosigkeit der Exekution. Es handelt sich um einen Sonderfall zu dem in § 3 UVG geregelten Grundfall (2 Ob 5/07k = SZ 2007/111 mwN). Der Unterschied liegt nur darin, dass im Fall des § 4 Z 1 UVG die Einleitung einer Exekution nach § 3 Z 2 UVG entbehrlich ist, weil bereits aufgrund der objektiven Lage zur Zeit der Beschlussfassung erster Instanz eine Exekutionsführung für jedermann aussichtslos erscheinen muss (vgl 2 Ob 5/07k = SZ 2007/111). Auch bei einer Unterhaltsvorschussgewährung nach § 4 Z 1 UVG ist - neben dem Vorliegen eines vollstreckbaren Unterhaltstitels - Voraussetzung, dass der Unterhaltsschuldner nach Eintritt der Vollstreckbarkeit den laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze leistet (Neumayr in Schwimann 3 § 4 UVG Rz 1). Dies folgt daraus, dass § 4 Z 1 UVG sich auf die Aussichtslosigkeit einer Exekutionsführung nach § 3 Z 2 UVG bezieht, nach dieser Gesetzesstelle aber nur die Exekutionsführung auf nach Eintritt der Vollstreckbarkeit fällig gewordene laufende Unterhaltsbeiträge von Relevanz ist (vgl Neuhauser, Änderungen bei Unterhaltsvorschuss, iFamZ 2009, 275, 276).

Die Vorschussgewährung nach den §§ 3 Z 2, 4 Z 1 UVG setzt somit voraus, dass der Unterhaltsschuldner „nach Eintritt der Vollstreckbarkeit“ den laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze leistet. Diese Wortfolge ist so zu verstehen, dass der dem Eintritt der Vollstreckbarkeit folgende Fälligkeitstermin erfolglos verstreichen muss, damit ein Anspruch auf Unterhaltsvorschuss nach den §§ 3 Z 2, 4 Z 1 UVG entsteht. Wird vom geldunterhaltspflichtigen Elternteil an diesen dem Eintritt der Vollstreckbarkeit folgenden Monatsersten der fällige Unterhaltsbeitrag nicht geleistet, steht der Unterhaltsvorschuss monatsbezogen ab diesem Monatsersten zu. Da die Vollstreckbarkeit des Unterhaltstitels im vorliegenden Fall erst am 5. 3. 2010 eingetreten ist (vgl 10 Ob 4/08y), konnte nach zutreffender Rechtsansicht des Rekursgerichts ein Verzug mit der Zahlung des nach Eintritt der Vollstreckbarkeit fälligen laufenden Unterhalts frühestens im April 2010 eintreten, weshalb auch ein Vorschussanspruch der Minderjährigen erst ab 1. 4. 2010 besteht.

Dem Revisionsrekurs musste daher ein Erfolg versagt bleiben.

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