OGH 10Ob48/06s

OGH10Ob48/06s17.8.2006

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon. Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache der Edith S*****, geboren am 22. Mai 1922, *****, infolge des namens der Betroffenen erhobenen Revisionsrekurses des Einschreiters Dr. Michael V*****, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 15. Februar 2006, GZ 43 R 62/06w-375, womit infolge Rekurses des Einschreiters der Beschluss des Bezirksgerichtes Leopoldstadt vom 9. November 2005, GZ 44 P 32/04z-362, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Der Antrag des Sachwalters der Betroffenen, den Einschreiter zum Ersatz der Kosten der Revisionsrekursbeantwortung zu verpflichten, wird abgewiesen.

Text

Begründung

Das Erstgericht erweiterte mit Beschluss vom 9. 11. 2005 (ON 362) unter anderem den Wirkungskreis des für die Betroffene als Sachwalter bestellten Rechtsanwaltes, sodass dieser nunmehr „die Personenobsorge; die finanziellen Angelegenheiten sowie die Einkommens- und Vermögensverwaltung; die Vertretung der Betroffenen vor Ämtern, Behörden, Gerichten und Sozialversicherungsträgern sowie die Vertretung gegenüber privaten Vertragspartnern bei Rechtsgeschäften, die über die Geschäfte des täglichen Lebens hinausgehen", umfasst (Punkt I. des Beschlusses). Gleichzeitig wies das Erstgericht „die Vollmacht des Rechtsanwaltes Dr. Michael V*****, die Betroffene in diesem Verfahren zu vertreten", zurück (Punkt III. des Beschlusses). Das Erstgericht stellte dabei aufgrund des zuletzt eingeholten neurologisch-psychiatrischen Gutachtens Dris. B***** fest, dass die Betroffene nicht in der Lage ist, ihre finanziellen Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteiles für sich selbst zu besorgen. Auch vor Ämtern, Behörden, Gerichten und Sozialversicherungsträgern ist sie auf die Unterstützung eines Sachwalters angewiesen, weil sie auf sich allein gestellt nicht mehr in der Lage ist, diese Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteiles für sich selbst zu erledigen. Die Betroffene ist nicht in der Lage, an sie herangetragene komplexe Sachverhalte und Informationen kritisch zu beurteilen, um darauf aufbauend Entscheidungen zu treffen und deren Folgen zu erkennen und kritisch abzuwägen. Aufgrund der Einschränkungen der Gedächtnisleistung, insbesondere im Kurzzeitgedächtnis, der Beeinträchtigung in der Auffassungsfähigkeit für komplexe Angelegenheiten sowie der Einbußen im Bereich des kombinatorischen Denkens und der Überblicksverschaffung kann sie Rechtsgeschäfte nicht mehr ohne Gefahr eines Nachteiles für sich selbst abschließen.

Bei der Betroffenen ist aufgrund des psychischen und physischen Leidenszustandes auch von einer erhöhten Beeinflussbarkeit auszugehen. Sie schenkt einem Menschen, der ihr freundlich begegnet, der sie in ihrem Selbstwertgefühl stärkt, sie nicht verunsichert und nicht in Frage stellt, ihr Vertrauen. Eine Unterschrift erteilt sie - wenngleich sie kaum noch schreiben kann - mit äußerst großer Wahrscheinlichkeit jederzeit auch ihrem Sohn, unabhängig davon, ob sie sich unter Druck gesetzt fühlt oder aus einer aus der Depressivität stammenden resignativen Haltung heraus. Sie hat keine ausreichende psychische Kraft, sich den Wünschen ihres Sohnes zu verweigern, und ist gleichzeitig auch nicht in der Lage, eine sachliche Kontrolle auszuüben. Die Betroffene ist auch seit der Anregung der Bestellung eines Sachwalters im Jahr 1989 nicht mehr in der Lage, eine sachlich fundierte Vollmacht zu erteilen, zu kontrollieren oder zu widerrufen. Sie ist insbesondere auch nicht mehr in der Lage, eine einfache Vollmacht im finanziellen Bereich zu erteilen, da es ihr nicht möglich ist, einen für sie behobenen Geldbetrag zu kontrollieren, diesen allenfalls einzufordern oder zu beurteilen, wofür die Geldabhebung notwendig war. Sie kann auch eine allfällige Postvollmacht nicht erteilen, da sie nicht in der Lage wäre, diese zu kontrollieren. Die Betroffene ist nicht in der Lage, von sich aus Aktivschritte zu setzen, um eine - wie auch immer formulierte - Vollmacht zu kontrollieren oder zu widerrufen. In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht dazu aus, dass zwar nach ständiger Rechtsprechung im Sachwalterschaftsverfahren ein Behinderter, der des Gebrauchs der Vernunft nicht gänzlich beraubt sei, selbständig handeln könne, dass aber der Betroffenen, die übermäßig leicht zu beeinflussen und nicht in der Lage sei, einem Menschen, der ihr freundlich entgegentrete, mit Widerstand zu begegnen, nach den detailliert dargelegten Umständen eine freie Willensbildung bei der Bevollmächtigung des Rechtsanwaltes Dr. Michael V***** nicht möglich gewesen sei. Der Zweck dieser Bevollmächtigung sei für sie nie erkennbar gewesen. Die Betroffene habe ihre Unterschrift auf die ihr vorgelegten Vollmachtsformulare lediglich aus Gefälligkeit, nicht jedoch aus dem Antrieb, „etwas in ihrem Sachwalterschaftsverfahren zu unternehmen", geleistet. Die Bevollmächtigung Dris. V***** sei daher entsprechend den allgemeinen Regeln der zivilrechtlichen Geschäftsfähigkeit besachwalteter Personen (§ 273a ABGB) absolut unwirksam und daher zurückzuweisen. Das Rekursgericht gab dem vom Rechtsanwalt Dr. Michael V***** namens der Betroffenen ausdrücklich nur gegen den Punkt III. des Beschlusses vom 9. 11. 2005 erhobenen Rekurs keine Folge. Es vertrat die Auffassung, die Klärung der Wirksamkeit der behaupteten Bevollmächtigung des namens der Betroffenen einschreitenden Rechtsanwaltes müsse im Interesse der Pflegebefohlenen einer eigenständigen Prüfung im Rahmen des anhängigen Sachwalterschaftsverfahrens zugänglich sein; es müsse daher im gegenständlichen Verfahren auch eine gerichtliche Entscheidung über diese Frage zulässig sein. Dem namens der Betroffenen einschreitenden Rechtsanwalt komme insoweit auch die Rekurslegitimation zu. Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Verfahrens liege nicht vor. Auch die Rechtsrüge sei nicht berechtigt. Die Betroffene sei zwar nach den Ergebnissen der aktuellen Begutachtung durch die Sachverständige Dr. B***** nicht offenkundig unfähig, den Zweck einer für das Sachwalterschaftsverfahren erteilten Vollmacht zu erkennen. Entscheidend sei aber, dass sie aufgrund ihrer Beeinflussbarkeit im Zeitpunkt der behaupteten Vollmachtserteilung, nämlich der erfolgten Unterfertigung der Vollmachtsurkunden vom 11. 7. 2002 und vom 9. 12. 2004, tatsächlich keinen Willen zur Vollmachtserteilung gehabt habe, sondern die Unterfertigung auf den Vollmachtsurkunden lediglich aus Gefälligkeit gegenüber dem jeweiligen Aufforderer geleistet habe, ohne damit in Wahrheit eine Vollmachtserteilung zu bezwecken. Das Erstgericht sei daher zu Recht davon ausgegangen, dass die Betroffene dem für sie einschreitenden Rechtsanwalt tatsächlich keine Vollmacht erteilt habe, weshalb tatsächlich nur eine Scheinvertretung vorliege. Der ordentliche Revisionsrekurs sei nach § 62 Abs 1 AußStrG zulässig, weil keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage vorliege, ob im Rahmen eines Sachwalterschaftsverfahrens die Frage nach der Wirksamkeit einer Vollmachtserteilung der betroffenen Person an einen für diese als Vertreter Einschreitenden einen (selbständigen) Entscheidungsgegenstand bilden könne und nicht nur als Vorfrage bei der Behandlung von Anträgen, die namens der betroffenen Person vom Einschreiter gestellt werden, (stets aufs neue) zu behandeln sei.

Rechtliche Beurteilung

Der vom Einschreiter namens der Betroffenen dagegen erhobene Revisionsrekurs ist wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG unzulässig, sodass sich der Oberste Gerichtshof auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken kann (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Die vom Rekursgericht als erheblich iSd § 62 Abs 1 AußStrG beurteilte Rechtsfrage wird im Rechtsmittel nicht angesprochen. Da der Oberste Gerichtshof aber nicht dazu berufen ist, theoretisch zu einer Rechtsfrage, deren Lösung durch die zweite Instanz vom Rechtsmittelwerber gar nicht bestritten wird, Stellung zu nehmen, ist auf diese Frage nicht weiter einzugehen (1 Ob 2349/96i ua). Daran hat auch die Reform des Außerstreitverfahrens durch das AußStrG BGBl I 2003/111 nichts geändert (Zechner in Fasching/Konecny² IV/1 § 502 ZPO Rz 12).

Das Rekursgericht ist entgegen der im Rechtsmittel vertretenen Ansicht auch nicht von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen, wonach für Zwecke der Vertretung im Sachwalterschaftsverfahren eine Person, die im Übrigen keine gültigen Vollmachten erteilen kann, noch einen Vertreter bevollmächtigen kann, soweit ihr nicht völlig die Vernunft fehlt und sie den Zweck der Vollmachtserteilung erkennen kann (vgl EFSlg 99.024 mwN ua). An dieser Rechtslage haben weder das Sachwalterrecht noch die Bestimmungen des neuen AußStrG etwas geändert, weil die bürgerlich-rechtlichen Voraussetzungen der Gültigkeit des Bevollmächtigungsaktes unberührt geblieben sind (1 Ob 513/96 ua, RIS-Justiz RS0008539; 3 Ob 14/06i, 1 Ob 90/06a).

Im vorliegenden Fall ist das Rekursgericht aufgrund der vom Erstgericht getroffenen Feststellungen davon ausgegangen, dass die Betroffene aufgrund ihrer erhöhten Beeinflussbarkeit im Zeitpunkt der behaupteten Vollmachtserteilung tatsächlich keinen Willen zur Vollmachtserteilung gehabt hat, sondern die Unterfertigung der Vollmachtsurkunden lediglich aus Gefälligkeit geleistet hat, ohne damit in Wahrheit eine Vollmachtserteilung bezwecken zu wollen. Damit fehlte es aber an einer wirksamen Bevollmächtigung des Einschreiters durch die Betroffene. Soweit im Revisionsrekurs nunmehr unter Bezugnahme auf ein früheres Sachverständigengutachten versucht wird, die Richtigkeit der maßgebenden Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen zu bekämpfen, kann diesen Rechtsmittelausführungen kein Erfolg beschieden sein (vgl RIS-Justiz RS0108449). Das weitere Vorbringen im Rechtsmittel, durch die Vollmachtserteilung im Sachwalterschaftsverfahren könne für die Betroffene gar kein Nachteil entstehen, lässt unberücksichtigt, dass durch die Vertretung auch Honoraransprüche des einschreitenden Rechtsanwaltes gegen die Betroffene entstehen können.

Da im Rechtsmittel somit keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG releviert wird, war der ordentliche Revisionsrekurs ungeachtet des Zulässigkeitsausspruches des Rekursgerichtes zurückzuweisen.

Der Sachwalter begehrt in seiner Revisionsrekursbeantwortung einen Kostenersatz für diesen Schriftsatz mit der Begründung, dem vollmachtslos Vertretenen stehe in analoger Anwendung des § 38 ZPO gegenüber dem vollmachtslos Einschreitenden selbst bei unverschuldeter Unkenntnis des Vollmachtsmangels ein Ersatzanspruch für all jene notwendigen Kosten zu, die der Abwehr des Putativbevollmächtigten dienen. Zu diesen Ausführungen ist zunächst zu bemerken, dass nach der Rechtsprechung des erkennenden Senates im Verfahren zur Bestellung eines Sachwalters ein Kostenzuspruch grundsätzlich nicht in Betracht kommt, weil dieses Verfahren nicht für die Durchsetzung oder Abwehr widerstreitender Parteiinteressen konzipiert ist und es daher an der in § 78 AußStrG vorausgesetzten kontradiktorischen Verfahrenssituation für eine Kostenersatzpflicht in diesem Verfahren fehlt (10 Ob 146/05a). Auch die Bestimmung des § 38 Abs 2 ZPO knüpft an das Vorliegen einer solchen kontradiktorischen Verfahrenssituation an. Danach hat nämlich bei erfolglosem Ablauf der Frist zur nachträglichen Vorlage der Vollmacht der vorläufig Zugelassene dem Prozessgegner die Kosten und Schäden zu ersetzen, die durch die vorläufige Zulassung entstanden sind. Diese Ersatzpflicht des vollmachtslosen Vertreters betrifft somit die Kosten und Schäden, die dem Prozessgegner - und nicht der scheinbar vertretenen Partei - entstanden sind. Selbst bei einer analogen Anwendung des § 38 Abs 2 ZPO im vorliegenden Verfahren kommt daher der vom Sachwalter für die Betroffene geltend gemachte Kostenersatzanspruch schon aus diesem Grunde nicht in Betracht.

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