European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0100OB00004.15H.0224.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1.1 Der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 MRG setzt regelmäßig kein Verschulden des Mieters voraus (RIS‑Justiz RS0070243), vielmehr kommt es darauf an, ob das objektiv in Erscheinung tretende Verhalten als ein grob ungehöriges, das Zusammenwohnen verleidendes Verhalten angesehen werden muss, auch wenn es etwa auf eine geistige Erkrankung zurückzuführen ist (RIS‑Justiz RS0067733; RS0020957 [T1]). Bei gewissen Verhaltensweisen muss aber der Umstand der Unzurechnungsfähigkeit zumindest in der Weise berücksichtigt werden, dass das Verhalten einer geisteskranken Person nicht unter allen Umständen ebenso unleidlich, also für die Mitbewohner unerträglich ist, wie ein gleichartiges Verhalten einer zurechnungsfähigen Person (RIS‑Justiz RS0020957). Dies ist jedoch nicht dahin zu verstehen, dass die Mitbewohner jedwedes Verhalten einer geistig behinderten Person in Kauf zu nehmen hätten, auch wenn dadurch ihre Lebensqualität in gravierender Weise beeinträchtigt wird. Vielmehr hat in solchen Fällen eine Interessenabwägung stattzufinden, bei der an das Verhalten der behinderten Person ein weniger strenger Maßstab anzulegen ist (RIS‑Justiz RS0067733 [T4]).
1.2 Die Frage, ob ein bestimmtes Verhalten des Mieters oder seiner Mitbewohner den Kündigungsgrund des unleidlichen Verhaltens nach § 30 Abs 2 Z 3 MRG verwirklicht hat, ist immer aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, die als typische Einzelfallbeurteilung in der Regel nicht revisibel ist (RIS‑Justiz RS0020957 [T4]; RS0042984 [T11]).
2.1 Wie sich aus der Aktenlage ergibt, war für die Beklagte eine einstweilige Sachwalterin bestellt. Mit Beschluss vom 17. 12. 2014 stellte das Bezirksgericht Innere Stadt Wien das Sachwalterschaftsverfahren im Wesentlichen mit der Begründung ein, dass die Beklagte in der Lage ist, mit Hilfe ihrer Tochter alle ihre Angelegenheiten zu erledigen. Die Vorinstanzen haben die zumindest eingeschränkte Zurechnungsfähigkeit der Beklagten ihren Entscheidungen zu Grunde gelegt. Das unleidliche Verhalten der Beklagten gegenüber Mitbewohnern lässt sich dahin zusammenfassen, dass sie zwei Mitmieter wiederholt und grundlos im Stiegenhaus und Lift wüst beschimpfte und bedrohte (ua im Hinblick auf deren sexuelle Orientierung), an deren Wohnungstür anläutete bzw gegen diese trommelte und sogar in die Wohnung einzudringen versuchte. Auch bei zwei anderen Mietern läutete sie phasenweise mehrmals die Woche und beschimpfte sie schreiend wegen deren Herkunft aus dem Ausland (Luxemburg) und wegen angeblicher Lärmbelästigung (insbesondere wegen Kochgeräuschen aus deren Küche) und bedrohte sie. Als diese und auch andere Mitmieter wiederholt die Polizei riefen, richtete die Beklagte ihre Beschimpfungen gegen die Polizeibeamten. Nach einem Polizeieinsatz am 23. 1. 2013 trommelte die Beklagte gegen 23:00 Uhr ‑ diesmal in Begleitung eines unbekannten Mannes ‑ neuerlich an die Wohnungstür der aus Luxemburg stammenden Mieter, sodass diese in Angst gerieten, sich in der Wohnung versteckten und neuerlich die Polizei riefen. Ein anderer Mieter, der diese Vorfälle besonders bedrohlich empfand, sah sich veranlasst, seinen Mietvertrag vorzeitig aufzukündigen. Weiters öffnete die Beklagte auch bei Unwetter und Kälte die Stiegenhausfenster, sodass es mehrmals zu Eintritt von Regenwasser in das Stiegenhaus kam. Nachdem im Auftrag der Hausverwaltung an den Stiegenhausfenstern Schlösser angebracht worden waren, setzte sich die Beklagte ‑ auf unbekanntem Weg ‑ in den Besitz der Schlüssel zu diesen Schlössern und stellte das ständige Öffnen der Fenster trotz Abmahnung nicht ein.
2.2 Wenn die Vorinstanzen unter diesen Umständen nach der erforderlichen Gesamtschau (RIS‑Justiz RS0070321, RS0067669) den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 MRG trotz der eingeschränkten Zurechnungsfähigkeit der Beklagten als gegeben annahmen, weicht dies von der vorhandenen gefestigten Rechtsprechung nicht ab und stellt jedenfalls keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung dar.
2.3 Dass sich die Beklagte zu ihren Verhaltensweisen gegenüber den aus Luxemburg stammenden Mitmietern aus ihrer Sicht durch die angebliche Lärmbelastung aus deren Küche „provoziert“ fühlte, haben die Vorinstanzen nicht als Rechtfertigungsgrund angesehen und dies damit begründet, dass das Verhalten der Beklagten völlig außer Proportion zu einer allfälligen Lärmbelästigung stehe. Weder darin, noch in der Ansicht, es sei der Beklagten ungeachtet ihrer eingeschränkten Zurechnungsfähigkeit auch ohne Abmahnung einsehbar gewesen, dass ihre Beschimpfungen und drohenden Ankündigungen den Mitmietern das Zusammenleben verleiden (RIS‑Justiz RS0021058), liegt eine Überschreitung des im Zuge der Interessensabwägung offenstehenden Ermessensspielraums.
Die außerordentliche Revision war daher mangels Vorliegens einer Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
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