OGH 10Ob16/20f

OGH10Ob16/20f29.4.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann, den Hofrat Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen 1. N* H*, geboren * 2003 und 2. F* H*, geboren * 2006, beide vertreten durch das Land Wien als Kinder‑ und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt Wien, Kinder‑ und Jugendhilfe, Rechtsvertretung Bezirke 13, 14, 15, 1150 Wien, Gasgasse 8–10), wegen Erhöhung von Unterhaltsvorschüssen, über den Revisionsrekurs der Kinder gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 13. Dezember 2019, GZ 43 R 584/19d‑160, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 2. August 2019, GZ 46 Pu 134/11f‑154, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E128702

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

 

Begründung:

Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens ist die begehrte Erhöhung der (auf die Geldunterhaltspflicht des Vaters gewährten) Unterhaltsvorschüsse auf monatlich 285 EUR für jedes der beiden Kinder im Zeitraum von 1. 5. 2016 bis 31. 10. 2017 und auf monatlich 435 EUR je Kind im Zeitraum von 1. 11. 2017 bis 31. 1. 2018.

Mit Beschluss des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 12. 4. 2011, GZ 46 Pu 134/11f-13, wurde der Vater zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 185 EUR für N* und von 165 EUR für F* verpflichtet. Mit Beschlüssen jeweils vom 8. 8. 2016 gewährte das Erstgericht die auf die Geldunterhaltspflicht des Vaters gewährten Titelvorschüsse in der angeführten Höhe weiter (ON 83 und 84).

Mit Beschluss vom 11. 1. 2018 eröffnete das Bezirksgericht Innere Stadt Wien über das Vermögen des Vaters das Schuldenregulierungsverfahren. Die Kinder meldeten im Insolvenzverfahren neben den rückständigen Unterhaltsforderungen nicht titulierte Forderungen auf Unterhaltserhöhung an, und zwar ausgehend von einer Erhöhung auf 285 EUR monatlich je Kind für den Zeitraum von 1. 5. 2016 bis 31. 10. 2017 und auf 450 EUR monatlich für den Zeitraum von 1. 11. 2017 bis 31. 1. 2018.

In der Prüfungstagsatzung vom 12. 3. 2018 anerkannte der Vater diese Forderungen, gab aber bekannt, dass er beabsichtige, in Zukunft in Teilzeit zu arbeiten; weshalb er den Zahlungsplan nicht erfüllen könne. Das Insolvenzgericht trug ihm auf, einen – an sein neues Einkommen angepassten – Zahlungsplan vorzulegen.

Mit Beschluss vom 16. 4. 2018 leitete das Bezirksgericht Innere Stadt Wien über Antrag des Vaters das Abschöpfungsverfahren ein.

Am 20. 4. 2018 begehrten die Kinder im Hinblick auf das in der Prüfungstagsatzung abgegebene Anerkenntnis aller Forderungen die Erhöhung der Unterhaltsvorschüsse für den Zeitraum von 1. 5. 2016 bis 31. 10. 2017 auf monatlich 285 EUR je Kind und für den Zeitraum von 1. 11. 2017 bis 31. 1. 2018 auf 435 EUR je Kind.

Die Vorinstanzen wiesen das Vorschusserhöhungsbegehren im ersten Rechtsgang ab. Mit Beschluss vom 22. 1. 2019, 10 Ob 109/18d (ON 145) hob der Oberste Gerichtshof die Beschlüsse der Vorinstanzen auf und verwies die Pflegschaftssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück.

Im Aufhebungsbeschluss führte der Oberste Gerichtshof unter Hinweis auf die Entscheidung 10 Ob 70/18v aus, das IRÄG 2017 ändere nichts daran, dass aus der Höhe des im Beurteilungszeitpunkt geleisteten Abschöpfungsbetrags im Verhältnis zu den Gesamtverbindlichkeiten Anhaltspunkte für eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür zu entnehmen seien, dass die titelmäßige Unterhaltspflicht im Hinblick auf die zu erwartende Restschuldbefreiung materiell zu hoch sei. Nach Gegenüberstellung der Höhe der gesamten, im Abschöpfungsverfahren erreichbaren Quote werde eine Anhebung der Vorschüsse höchstens im Umfang der erreichbaren Quote in Frage kommen.

Im fortgesetzten Verfahren brachten die Kinder zusammengefasst vor, der unterhaltspflichtige Vater habe im insolvenzunterworfenen Zeitraum kaum eigenständige Zahlungen getätigt. Im Wesentlichen seien nur die Familienzuschläge vom Arbeitsmarktservice angewiesen worden, sodass nur ein geringer Teil des Titels einbringlich gemacht worden sei. Erfülle das Verhalten des Schuldners den Tatbestand der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 StGB, blieben die Verbindlichkeiten trotz Erteilung der Restschuldbefreiung weiter bestehen (§ 215 Z 1 IO). Auch der „erhöhte“ Unterhaltstitel bleibe weiterhin in voller Höhe aufrecht (ON 148).

Das Erstgericht wies den Antrag auf Erhöhung der Unterhaltsvorschüsse auch im zweiten Rechtsgang ab. Es stellte ergänzend fest, dass die Höhe der Gesamtverbindlichkeiten des Vaters 317.936,94 EUR beträgt und bisher keine Ausschüttungen an die Insolvenzgläubiger erfolgt sind. Da die erreichbare Quote gleich Null sei, sei nicht von einer Leistungsfähigkeit des Schuldners auszugehen, weshalb die Vorschusserhöhung gemäß § 7 UVG zu versagen sei.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Kinder nicht Folge. Auch das Vorbringen, die Handlungen des Vaters erfüllten den Straftatbestand der gröblichen Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 StGB, weshalb die Unterhaltsforderungen trotz Erteilung der Restschuldbefreiung weiterhin Bestand hätten (§ 215 Z 1 IO), führe zu keiner anderen Beurteilung. Erst nach Erteilung der Restschuldbefreiung werde die Frage der Auswirkungen auf den zwangsweise durchsetzbaren Bestand von Forderungen der von § 215 IO geforderten Art und Qualität geklärt werden. Im Unterhaltsvorschussverfahren – vor Erteilung der Restschuldbefreiung – spiele § 215 IO keine Rolle.

Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs mit der Begründung zu, es bestehe keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Relevanz des § 215 IO im Unterhaltsvorschussverfahren.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung zulässig; er ist jedoch nicht berechtigt.

In ihrem Revisionsrekurs wiederholen die Kinder ihren Rechtsstandpunkt, dass es nicht darauf ankomme, welche Zahlungen vom Schuldner im Abschöpfungsverfahren bislang geleistet worden bzw dem Treuhänder zugeflossen seien, sondern auf das Vorliegen des Ausnahmetatbestands nach § 215 Z 1 IO in Bezug auf die konkursunterworfenen Forderungen der Kinder unter Berücksichtigung der Zahlungen des Unterhaltsschuldners im konkursunterworfenen Zeitraum. Es gehe nicht an, dem Kind die Anhebung der Unterhaltsvorschüsse mit der Begründung zu verweigern, dass erst mehrere Jahre bis zur Erteilung der Restschuldbefreiung abgewartet werden müssten, um deren Auswirkungen beurteilen zu können. Vielmehr habe das Kind im Verhältnis zum vorschussgewährenden Bund den Anspruch, dass die Frage der Erteilbarkeit der Restschuldbefreiung (§ 215 IO) als Vorfrage im Vorschussanhebungsverfahren nach einer Titelerhöhung geklärt werde (Neuhauser in Deixler-Hübner, Handbuch Familienrecht2 [2020] 472). Im vorliegenden Fall sei das Zahlungsverhalten des Vaters zur Beurteilung heranzuziehen, ob der Straftatbestand des § 198 StGB vorliege. Der Vater habe nur einen geringen Bruchteil seiner Unterhaltsverpflichtung erfüllt. Demnach sei der Straftatbestand des § 198 StGB zu bejahen, weshalb unter Anwendung des § 215 IO die Restschuldbefreiung nicht auf die konkursunterworfenen Unterhaltsforderungen wirke.

Dazu ist auszuführen:

1. Zu beurteilen ist, ob der begehrten Vorschusserhöhung § 7 Abs 1 Z 1 UVG entgegensteht.

1.1 Titelvorschüsse sind zu versagen, wenn sich für das Gericht aus der Aktenlage ergibt, dass die im Unterhaltstitel festgesetzte Geldunterhaltspflicht nicht mehr besteht oder – der gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht entsprechend – zu hoch festgesetzt ist (§ 7 Abs 1 Z 1 UVG) Entscheidend ist die materielle Unrichtigkeit des bestehenden Unterhaltstitels, die sich für das Gericht ohne weitere Erhebungen schon aufgrund der Aktenlage mit hoher Wahrscheinlichkeit ergeben muss (RS0076391 [T16]).

1.2 § 7 Abs 1 Z 1 UVG ist im Verfahren über die Erhöhung von Unterhaltsvorschüssen (§ 19 Abs 2 UVG) entsprechend anzuwenden (RS0117325; RS0105311 [T1]). Auch eine Erhöhung der Unterhaltsvorschüsse ist demnach zu versagen, wenn das Gericht aufgrund der Aktenlage mit hoher Wahrscheinlichkeit vom Vorliegen der Versagungsgründe nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG überzeugt ist.

1.3 Für die Anwendung des § 7 Abs 1 Z 1 UVG ist nicht der Gesichtspunkt des formalen Aufrechtseins des Titels entscheidend, sondern die Frage seiner materiellen Richtigkeit. Dass etwa der Anspruch im Abschöpfungsverfahren bis zur Erteilung der Restschuldbefreiung – oder sogar darüber hinaus (§ 215 IO) – formell aufrecht bleibt, steht demnach Anhaltspunkten iSd § 7 Abs 1 Z 1 UVG nicht entgegen (10 Ob 13/12b iFamZ 2012/125, 175 [tw krit Neuhauser]; siehe auch 10 Ob 70/18v für die Rechtslage nach dem IRÄG 2017).

Auch § 215 Z 1 IO bezieht sich lediglich auf das formelle Aufrechtbleiben bestimmter Verbindlichkeiten des Schuldners (aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung oder einer vorsätzlichen strafgesetzwidrigen Unterlassung) und ordnet deren (formelles) Fortbestehen auch nach allfälliger Erteilung der Restschuldbefreiung an.

1.4 Da für § 7 Abs 1 Z 1 UVG allein die materielle Unterhaltspflicht maßgeblich ist, ist aus dem formellen Fortbestehen einer Verbindlichkeit nach § 215 Z 1 IO für den Standpunkt der Kinder nichts zu gewinnen. Es kommt daher auch nicht darauf an, ob dem Vater ein Verstoß gegen § 198 StGB vorzuwerfen ist.

2. Der Oberste Gerichtshof hat in dem im ersten Rechtsgang ergangenen Aufhebungsbeschluss vom 22. 1. 2019, 10 Ob 109/18d (siehe auch 10 Ob 70/18v), darauf abgestellt, dass aus der Höhe des im Beurteilungszeitpunkt geleisteten Abschöpfungsbetrags im Verhältnis zu den Gesamtverbindlichkeiten Anhaltspunkte für eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür zu entnehmen sind, dass die titelmäßige Unterhaltspflicht im Hinblick auf die zu erwartende Restschuldbefreiung materiell zu hoch ist. Eine Anhebung der Vorschüsse kommt demnach höchstens im Umfang der im Abschöpfungsverfahren erreichbaren Quote in Betracht.

3. Nach den vom Erstgericht im zweiten Rechtsgang getroffenen Feststellungen beträgt die Höhe der Gesamtverbindlichkeiten des Vaters 317.936,94 EUR; bisher ist keine Ausschüttung an die Insolvenzgläubiger erfolgt.

Im Hinblick darauf, dass die erreichbare Quote gleich Null sei, haben die Vorinstanzen zutreffend (und in den Rechtsmitteln unbekämpft) den Schluss gezogen, dass nicht von einer Leistungsfähigkeit des Schuldners auszugehen ist.

Aus diesem Grund ist die Vorschusserhöhung gemäß § 7 Abs 1 Z 1 UVG zu versagen.

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