OGH 14Os84/06v; 13Os139/06z; 15Os46/07i; 12Os17/08d; 11Os23/06a; 11Os32/08b; 11Os65/08f; 14Os142/09b; 14Os161/09x; 13Os36/09g; 15Os124/10i; 11Os56/10k (RS0121419)

OGH14Os84/06v; 13Os139/06z; 15Os46/07i; 12Os17/08d; 11Os23/06a; 11Os32/08b; 11Os65/08f; 14Os142/09b; 14Os161/09x; 13Os36/09g; 15Os124/10i; 11Os56/10k15.5.2024

Rechtssatz

Nach der Rechtsprechung des EGMR liegt der Schutzzweck des Art 6 Abs 3 lit a und lit b MRK gerade darin, die Verteidigung des Angeklagten nicht zu behindern. Geleitet von dieser Zielsetzung können nunmehr auch Abweichungen in der rechtlichen Beurteilung des von der Anklage erfassten Sachverhalts als Nichtbeachtung des § 262 StPO aus Z 8 releviert werden. Stets dann, wenn - ungeachtet der Identität von Anklage- und Urteilsfaktum im prozessualen Sinn - der Angeklagte einer gegenüber dem inkriminierten Sachverhalt anderen Tat (auch bloß) im materiellen Sinn schuldig erkannt wird, liegt nach dieser grundrechtskonformen Auslegung der Z 8 des § 281 Abs 1 StPO der Nichtigkeitsgrund vor. Ist mit anderen Worten das Tatbild (die äußere Tatseite) der dem Schuldspruch zugrundeliegenden Tat (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) von jenem des Anklagetenors (§ 207 Abs 2 Z 2 StPO) derart verschieden, dass sich die jeweils angenommenen Tatbilder nicht überdecken, besteht ohne weiteres das Erfordernis einer dem § 262 StPO entsprechenden Belehrung, ohne welche dem Grundrechtsgebot des Art 6 Abs 3 lit a oder lit b MRK nicht entsprochen wird. Geht es aber um Abweichungen geringerer Relevanz, ist es Sache des Beschwerdeführers, im Rechtsmittel das Belehrungserfordernis (wenigstens einigermaßen) plausibel zu machen, um unnötige Rechtsgänge zu vermeiden. Diese ziehen nämlich in aller Regel eine Verschlechterung der zur Verfügung stehenden Beweismittel nach sich und können überdies ein Spannungsverhältnis mit dem gleichfalls beachtlichen Grundrechtsgebot auf Verfahrensbeendigung binnen angemessener Frist (Art 6 Abs 1 erster Satz MRK) bewirken.

Normen

MRK Art6 Abs1 II6
MRK Art6 Abs3 lita IV1
MRK Art6 Abs3 litb IV2
StPO §262 A
StPO §281 Abs1 Z8 A

14 Os 84/06vOGH14.11.2006
13 Os 139/06zOGH24.01.2007

Auch; nur: Geht es um Abweichungen geringerer Relevanz, ist es Sache des Beschwerdeführers, im Rechtsmittel das Belehrungserfordernis (wenigstens einigermaßen) plausibel zu machen, um unnötige Rechtsgänge zu vermeiden. (T1)<br/>Beisatz: Hier: Annahme einer zusätzlichen unselbständigen Qualifikation. (T2)

15 Os 46/07iOGH08.08.2007

Vgl; Beisatz: Indem das Erstgericht für die Unterstellung der gegenständlich inkriminierten Tathandlungen unter § 206 Abs 1 StGB erforderliche Feststellungen über die Durchführung von Oralverkehr, sohin einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung, nicht zu treffen vermochte, jedoch mehrfache Küsse auf den entblößten Penis des Kindes als erwiesen ansah und damit von - mit geringerer Strafe bedrohten - geschlechtlichen Handlungen iSd § 207 Abs 1 StGB ausging, erfolgte der Schuldspruch nicht wegen einer gegenüber der Anklage anderen Tat im materiellen Sinn. (T3)

12 Os 17/08dOGH13.03.2008

Vgl auch

11 Os 23/06aOGH01.04.2008
11 Os 32/08bOGH01.04.2008

Auch

11 Os 65/08fOGH27.05.2008

Auch; Beisatz: Hier: Verurteilung wegen §§ 146, 147 Abs 3 StGB bei Anklage wegen § 153 Abs 1 Abs 2 zweiter Fall StGB. (T4) Beisatz: Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass im Anlassfall eine Voruntersuchung wegen §§ 146, 147 Abs 3 StGB geführt worden war, kann doch Bezugspunkt der Verteidigung in der Hauptverhandlung immer nur der von der Staatsanwaltschaft erhobene Anklagevorwurf (jedoch unter Berücksichtigung einer allfälligen abweichenden rechtlichen Beurteilung eines über die Zulässigkeit der Anklage erkennenden Gerichts) sein. (T5)

14 Os 142/09bOGH26.01.2010

Auch

14 Os 161/09xOGH02.03.2010

Auch; Bem: Hier: Verurteilung wegen § 83 Abs 1 und § 105 Abs 1 StGB bei Anklage wegen § 142 Abs 1 StGB. (T6)

13 Os 36/09gOGH14.01.2010

Auch; Beisatz: Hier: Erneuerungsantrag. (T7)

15 Os 124/10iOGH13.10.2010

Auch; Beisatz: Hier: Verurteilung wegen § 229 Abs 1 StGB bei Anklage wegen § 302 Abs 1 StGB. (T8)

11 Os 56/10kOGH16.11.2010

Auch; nur: Nach der Rechtsprechung des EGMR liegt der Schutzzweck des Art 6 Abs 3 lit a und lit b MRK gerade darin, die Verteidigung des Angeklagten nicht zu behindern. Geleitet von dieser Zielsetzung können nunmehr auch Abweichungen in der rechtlichen Beurteilung des von der Anklage erfassten Sachverhalts als Nichtbeachtung des § 262 StPO aus Z 8 releviert werden. (T9)<br/>Bem: Hier: Änderung der Beteiligungsform. (T10)

14 Os 144/10yOGH28.12.2010

Vgl

12 Os 162/10fOGH29.03.2011

nur: Nach der Rechtsprechung des EGMR liegt der Schutzzweck des Art 6 Abs 3 lit a und lit b MRK gerade darin, die Verteidigung des Angeklagten nicht zu behindern. Geleitet von dieser Zielsetzung können nunmehr auch Abweichungen in der rechtlichen Beurteilung des von der Anklage erfassten Sachverhalts als Nichtbeachtung des § 262 StPO aus Z 8 releviert werden. Stets dann, wenn - ungeachtet der Identität von Anklage- und Urteilsfaktum im prozessualen Sinn - der Angeklagte einer gegenüber dem inkriminierten Sachverhalt anderen Tat (auch bloß) im materiellen Sinn schuldig erkannt wird, liegt nach dieser grundrechtskonformen Auslegung der Z 8 des § 281 Abs 1 StPO der Nichtigkeitsgrund vor. Ist mit anderen Worten das Tatbild (die äußere Tatseite) der dem Schuldspruch zugrundeliegenden Tat (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) von jenem des Anklagetenors (§ 207 Abs 2 Z 2 StPO) derart verschieden, dass sich die jeweils angenommenen Tatbilder nicht überdecken, besteht ohne weiteres das Erfordernis einer dem § 262 StPO entsprechenden Belehrung, ohne welche dem Grundrechtsgebot des Art 6 Abs 3 lit a oder lit b MRK nicht entsprochen wird. (T11)

11 Os 74/11hOGH30.06.2011

Vgl auch; Beisatz: Hier: Keine Anklageüberschreitung bzw Beeinträchtigung von Verteidigungsrechten, wenn der Angeklagte zur Ein- und Ausfuhr von Kokain geständig war (und auch verurteilt wurde), sich die Anklage aber auf Heroin bezogen hat. (T12)

11 Os 110/12dOGH09.10.2012

Auch; Beisatz: Hier: Abgrenzung zwischen § 142 Abs 1 und § 144 Abs 1 StGB. (T13)

15 Os 81/13wOGH21.08.2013

Auch

11 Os 128/14dOGH25.11.2014

Auch

15 Os 52/14gOGH14.01.2015

Auch; Beisatz: Die in § 281 Abs 1 Z 8 StPO bezeichnete Anhörungspflicht des § 262 StPO bezieht sich auf einen gegenüber dem Anklagevorwurf geänderten rechtlichen Gesichtspunkt des Gerichts darüber, welche strafbare Handlung vorliegt, während den Angeklagten überraschende Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen eine Warnpflicht des Gerichts begründen, deren Nichteinhaltung mit Tatsachenrüge nach Z 5a geltend gemacht werden kann. (T14)

12 Os 43/15pOGH09.07.2015

Auch

14 Os 120/15aOGH15.12.2015

Auch

11 Os 63/15xOGH12.01.2016

Auch

14 Os 77/15bOGH26.01.2016

Auch; Beis wie T5

20 Os 10/16wOGH27.01.2017

Vgl auch; Beisatz: Der Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 8 StPO setzt im gerichtlichen Strafverfahren zumindest voraus, dass sich die Tatbilder (die äußere Tatseite) der dem Schuldspruch zugrunde liegenden Tat und jener des Anklagetenors wesentlich unterscheiden. Diese Bedingung kann als Abgrenzungsmerkmal bei der Prüfung der Frage, ob in grundrechtswidriger Weise Verteidigungsrechte verletzt wurden, nicht unmittelbar auf das Disziplinarverfahren übertragen werden. Das Disziplinarrecht kennt nämlich nur zwei Tatbestände, wobei vor allem die Verletzung des Rechtsgutes von Ehre und Ansehen des Standes kaum eine relevante Eingrenzung der Tat bewirkt. (T15)

14 Os 2/19dOGH21.05.2019

Auch; Beisatz: Hier: Abweichungen im Hinblick auf das vom Schädigungsvorsatz erfasste Rechtsgut zwischen Anklage‑ und Urteilstenor. (T16)

12 Os 116/19dOGH15.10.2019

Vgl

13 Os 34/20dOGH07.05.2020

Vgl; Beis wie T14

14 Os 110/20pOGH18.02.2021

Vgl; Beisatz: Hier: Verurteilung als Beitrags‑ statt als Bestimmungstäter. (T17)<br/>Beisatz: Die Plausibilität einer anderen Verteidigungsstrategie liegt bei bloß geänderter Beteiligungsform nur dann auf der Hand, wenn sich die Urteilsfeststellungen über die Tathandlungen und der Anklagevorwurf im Tatsächlichen nicht überdecken (so schon 14 Os 151/10b, 11 Os 56/10k). Bei Abweichungen bloß geringerer Relevanz bedarf es auch in einem solchen Fall eines entsprechenden Vorbringens. (T18)

12 Os 147/21sOGH24.02.2022

Vgl; nur T9; nur T11

15 Os 102/22xOGH05.12.2022

Vgl

12 Os 127/22aOGH19.01.2023

Vgl; nur T9; nur T11

14 Os 143/22vOGH28.03.2023

vgl; Beisatz wie T14

15 Os 37/24sOGH15.05.2024

vgl; nur T1

Dokumentnummer

JJR_20061114_OGH0002_0140OS00084_06V0000_001

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