OGH 15Os37/24s

OGH15Os37/24s15.5.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Mai 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Dr. Mann und Dr. Sadoghi und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Riffel in Gegenwart der Schriftführerin FI Jäger in der Strafsache gegen * G* wegen Verbrechen der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 2. Februar 2024, GZ 83 Hv 126/23s‑17, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0150OS00037.24S.0515.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Sexualdelikte

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil – das auch in Rechtskraft erwachsene Freisprüche enthält – wurde * G* – abweichend von der auf das Verbrechen der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs 1 StGB gerichteten Anklage (ON 4  B./I./) – des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

[2] Danach hat er am 16. Juli 2022 in W* * B* am Körper verletzt, indem er ihr einen Schlag mit der flachen Hand ins Gesicht versetzte, wodurch sie eine blutende Wunde an der Unterlippe erlitt.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 8, 9 lit a und 10a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

[4]  Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 8 StPO iVm § 262 StPO ist stets dann anzunehmen, wenn das Tatbild (die äußere Tatseite) der dem Schuldspruch zugrundeliegenden Tat (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) von jenem des Anklagetenors (§ 211 Abs 1 Z 2 StPO) derart verschieden ist, dass sich die jeweils angenommenen Tatbilder nicht überdecken und mit Blick auf die Fairness des Verfahrens zuvor keine dem Schutzzweck des § 262 StPO entsprechende Information des Angeklagten erfolgt ist. Hingegen ist es bei Abweichungen von geringerer Relevanz Sache des Beschwerdeführers, eine Verletzung seiner aus Art 6 Abs 3 lit a oder b MRK garantierten Verteidigungsrechte zu behaupten; im Rechtsmittel ist also plausibel zu machen, dass mit Blick auf den veränderten rechtlichen Gesichtspunkt die Verteidigung eine andere gewesen wäre (RIS‑Justiz https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0126786&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False , https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0113755&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False [insb T8, T9], RS0121419 [T1]).

[5] In Punkt B./I./ der Anklage (ON 4) war dem Beschwerdeführer zur Last gelegt worden, er hätte am 16. Juli 2022 versucht, B* durch einen Schlag in ihr Gesicht, wodurch sie eine blutige Wunde erlitt, sohin mit Gewalt zur Duldung des Beschlafs zu nötigen.

[6] Beim Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB, bei dem eine schwere Verletzungsfolge eine Erfolgsqualifikation bildet (§ 201 Abs 2 erster Fall StGB), tritt die Zufügung einer leichten Körperverletzung nicht echt idealkonkurrierend als zusätzliche Deliktsverwirklichung nach § 83 Abs 1 StGB hinzu, sondern wird infolge scheinbarer Idealkonkurrenz (Konsumtion) verdrängt (Fabrizy/Michel‑Kwapinski/Oshidari, StGB14 § 83 Rz 5; RIS‑Justiz RS0091004 [T3, T5], RS0092619).

[7] Indem das Erstgericht die für die Unterstellung unter §§ 15, 201 Abs 1 StGB erforderlichen Feststellungen nicht zu treffen vermochte, eine vorsätzliche Verletzung des Opfers durch einen Schlag des Angeklagten hingegen für erwiesen ansah (US 3 f), erfolgte der Schuldspruch wegen des – bei anklagekonformer Verurteilung verdrängten – Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB nicht wegen einer gegenüber der Anklage anderen Tat im materiellen Sinn.

[8] Die in einem solchen Fall gebotene Plausibilisierung einer abweichenden Verteidigung gelingt der Rüge (Z 8) nicht, indem sie lediglich behauptet, der – zum Versetzen des Schlags tatsachengeständige (US 4) – Angeklagte hätte bei Erörterung abweichender rechtlicher Beurteilung „seine Unschuld beweisen bzw Beweisanträge zu seiner Entlastung“ stellen können.

[9] Dem weiteren – eine Überdeckung von angeklagtem und verurteiltem Sachverhalt bestreitenden – Beschwerdevorbringen (Z 8) zuwider hat das Erstgericht lediglich den von der Anklage zu B./I./ umfassten Lebenssachverhalt (zum prozessualen Tatbegriff vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 502 ff) rechtlich abweichend beurteilt; allein in diesem Umstand liegt keine Überschreitung der Anklage (vgl RIS‑Justiz RS0102147, RS0097725).

[10] Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit a) das Vorliegen einer Verletzung beim Opfer und jenes der subjektiven Tatseite beim Angeklagten bestreitet, verfehlt sie den in den Urteilsannahmen gelegenen Bezugspunkt materieller Nichtigkeit und solcherart deren prozessordnungskonforme Geltendmachung (RIS‑Justiz RS0099810).

[11] Die gesetzmäßige Ausführung einer Diversionsrüge (Z 10a) erfordert eine methodisch korrekte Argumentation auf Basis der Tatsachenfeststellungen unter Beachtung der Notwendigkeit des kumulativen Vorliegens sämtlicher Diversionsvoraussetzungen (RIS‑Justiz https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0124801&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False , https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0116823&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False ).

[12] Diese Anforderungen verfehlt die Beschwerde schon deshalb, weil sie sich darauf beschränkt, die einzelnen Voraussetzungen für ein Vorgehen nach dem 11. Hauptstück der StPO eigenständig zu bewerten und dabei das Fehlen der – für eine diversionelle Erledigung erforderlichen, entsprechendes Unrechtsbewusstsein voraussetzenden (RIS‑Justiz https://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0126734&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False , RS0116299) – Verantwortungs-übernahme des Angeklagten übergeht (vgl US 4 und 7).

[13] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO). Daraus ergibt sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung (§ 285i StPO).

[14] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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