OGH 9Os77/72 (RS0098189)

OGH9Os77/7217.8.1972

Rechtssatz

Begründungszwang für Zwischenerkenntnisse. Die Bestimmung des § 238 Abs 2 StPO, wonach die Entscheidungsgründe eines Zwischenerkenntnisses im Sinne des Abs 1 leg cit "jederzeit verkündet und im Protokoll ersichtlich gemacht werden" müssen, verfolgt ua den Zweck, der Rechtsmittelinstanz bei Anrufung des Nichtigkeitsgrundes des § 281 Abs 1 Z 4 StPO all jene Erwägungen zur Kenntnis zu bringen, von denen sich das Gericht bei Ablehnung eines (Beweisantrags) Antrags leiten ließ: Damit soll das Rechtsmittelgericht Gelegenheit erhalten sowohl zur Prüfung der Frage, ob Verfahrensgrundsätze unrichtig angewendet wurden, als auch zur Beurteilung, welchen Einfluss eine etwaige Formverletzung auf die Entscheidung in der Sache selbst zu üben vermochte. Um diesen Voraussetzungen zu genügen, hat die Begründung des Zwischenerkenntnisses, ohne der Entscheidung in der Hauptsache vorzugreifen, gemäß der analog anzuwendenden Norm des § 270 Abs 2 Z 7 StPO auf die konkreten Umstände des Einzelfalls einzugehen, dh die für die (Zwischenentscheidung) Entscheidung maßgebenden Tatsachen im einzelnen darzulegen. Nur das strikte Festhalten an dieser Begründungspflicht bietet Gewähr dafür, dass die Gerichte sich den Prozessparteien vollständige - und unerlässliche - Klarheit über die verwerteten Entscheidungsgrundlagen verschaffen; denn allein der Zwang zur sachgemäßen Begründung der Ablehnung (von Beweisanträgen) kann die - unzulässige - Vorwegnahme des Beweisergebnisses sich und wirksam ausschließen.

Normen

StPO §238 Abs2
StPO §281 Abs1 Z4 A
MRK Art6 Abs1 II5b2

9 Os 77/72OGH17.08.1972
9 Os 4/73OGH14.03.1973

Beisatz: Hier: Schwurgerichtshof (T1) Veröff: RZ 1973/138 S 109

9 Os 6/74OGH30.01.1974

Beisatz: Nur dann keine Nichtigkeit, wenn offenbar und aktenmäßig jeder denkbare Konnex zwischen der Verletzung der Prozessvorschriften und der erflossenen Entscheidung fehlt. (T2)

9 Os 118/74OGH23.10.1974

Beis wie T2

13 Os 41/75OGH10.04.1975

Beis wie T2

11 Os 72/75OGH05.06.1975

Beis wie T2

11 Os 176/81OGH15.12.1982

Vgl auch

11 Os 201/83OGH11.01.1984

Vgl auch

13 Os 178/98OGH13.01.1999

Vgl auch; Beisatz: Hier: Unterlassung einer zureichenden Begründung für die Ablehnung des (Alibi-)Beweisantrages. (T3)

13 Os 93/01OGH12.12.2001

Vgl auch; Beisatz: Ein abweisliches Zwischenerkenntnis, das bloß mit der lapidaren Floskel "wegen geklärter Sachlage und Rechtslage" "begründet" wurde, ist im Allgemeinen nicht ausreichend, um die Erwägungen, von denen der Gerichtshof erster Instanz ausgegangen ist, erkennen und prüfen zu können. Wenn sich jedoch das vom Antragsteller angestrebte Ergebnis von vornherein als ungeeignet zeigt, auf die Entscheidung irgendeinen Einfluss zu üben, weil es nur für die Konstatierungen unerhebliche Nebenumstände betrifft, die ablehnende Entscheidung daher im Ergebnis richtig ist, liegt kein Nichtigkeit begründender Verfahrensmangel vor. (T4)

14 Os 129/05kOGH19.12.2005

Vgl aber; Beisatz: Die Anordnung zur sofortigen Verkündung der Entscheidungsgründe trägt zwei Anliegen des Gesetzes Rechnung: Einerseits wird auf diese Weise sichergestellt, dass die Entscheidungsfindung nicht erst im Nachhinein reflektiert wird. Andererseits trägt die Darlegung der Gründe noch vor Urteilsfällung dazu bei, dass Antragsteller auf Mängel ihrer Anträge aufmerksam gemacht werden und ein ergänzendes Vorbringen erstatten können. Soweit ältere Entscheidungen in im Urteil nachgetragenen Gründen eine Information des Rechtsmittelgerichtes über die Erwägungen der Tatrichter erblicken, ist diese nur insoweit angezeigt, als solcherart die - indes fast immer unstrittige - Sachverhaltsgrundlage für die getroffene prozessleitende Verfügung mängelfrei dargestellt werden kann. (T5)

13 Os 104/06bOGH20.12.2006

Vgl auch; Beisatz: Wenn das Gericht eine der Vorschriften des § 238 StPO über die Vorgangsweise bei der Entscheidung über Anträge missachtet, kann zwar deren Einhaltung mithin begehrt werden, dass über den Antrag sofort entschieden und die aus Sicht des erkennenden Gerichts maßgeblichen Gründe gleichzeitig verkündet und im Protokoll ersichtlich gemacht werden, und es kann die Missachtung eines derartigen Begehrens mit Verfahrensrüge (Z 4) bekämpft werden. Die Richtigkeit der Begründung für eine abweisliche Entscheidung steht jedoch nicht unter Nichtigkeitssanktion, wenn nur dem Antrag auch nach der - auf den Zeitpunkt der Antragstellung bezogenen - Ansicht des Obersten Gerichtshofes (im Ergebnis) keine Berechtigung zukam. § 281 Abs 1 Z 4 StPO stellt nämlich auf das Zwischenerkenntnis selbst oder dessen Unterlassung, nicht aber auf die Gründe für das Zwischenerkenntnis oder dessen Unterlassung ab. So wird einerseits in verfahrensbeschleunigender Weise (vgl Art 6 Abs 1 MRK) verhindert, dass beantragte Beweisaufnahmen wegen der Möglichkeit eines Begründungsfehlers - obwohl unerheblich - zeitaufwändig veranstaltet werden, andererseits sichergestellt, dass Antragsteller auf Mängel ihrer Anträge (aus der Sicht des Erstgerichtes; § 3 StPO) aufmerksam gemacht werden und ein ergänzendes Vorbringen erstatten können (WK-StPO § 281 Rz 315 f, 318). (T6)

12 Os 147/07wOGH13.12.2007

Auch; Beis wie T6

Dokumentnummer

JJR_19720817_OGH0002_0090OS00077_7200000_001

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