vorheriges Dokument
nächstes Dokument

BGBl I 119/2005

BUNDESGESETZBLATT

FÜR DIE REPUBLIK ÖSTERREICH

119. Bundesgesetz: Änderung der Strafprozessordnung 1975, des Staatsanwaltschaftsgesetzes und des Tilgungsgesetzes
(NR: GP XXII RV 1059 AB 1080 S. 122 . BR: AB 7390 S. 725 .)

119. Bundesgesetz, mit dem die Strafprozessordnung 1975, das Staatsanwaltschaftsgesetz und das Tilgungsgesetz geändert werden

Der Nationalrat hat beschlossen:

Inhaltsverzeichnis

Artikel I

Änderungen der Strafprozessordnung 1975

Die Strafprozessordnung 1975, BGBl. Nr. 631/1975, in der zuletzt durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 164/2004 geänderten Fassung wird wie folgt geändert:

1. § 47a hat zu lauten:

§ 47a. (1) Alle im Strafverfahren tätigen Behörden sind verpflichtet,

  1. 1. auf die Rechte und Interessen der durch eine strafbare Handlung verletzten Person angemessen Bedacht zu nehmen und sie über ihre Rechte im Strafverfahren sowie über die Möglichkeit zu belehren, Entschädigungs- oder Hilfeleistungen zu erhalten, soweit dies den Umständen nach erforderlich erscheint,
  1. 2. die in § 49a Abs. 1 genannten Personen spätestens vor ihrer ersten Befragung über die Voraussetzungen der Prozessbegleitung und in Betracht kommende Einrichtungen zu informieren,
  1. 3. die durch eine strafbare Handlung verletzten Personen während des Verfahrens mit Achtung ihrer persönlichen Würde zu behandeln und bei ihren Amtshandlungen wie auch bei der Auskunftserteilung gegenüber Dritten deren berechtigte Interessen an der Wahrung ihres höchstpersönlichen Lebensbereiches zu beachten. Dies gilt besonders für die Weitergabe von Lichtbildern und die Mitteilung von Angaben zur Person, die zu einem Bekanntwerden ihrer Identität in einem größeren Personenkreis führen können, ohne dass dies durch Zwecke der Strafrechtspflege geboten ist.

(2) Personen, die durch eine strafbare Handlung in ihrer sexuellen Integrität verletzt worden sein könnten, sind überdies über die folgenden, ihnen zustehenden Rechte zu informieren:

  1. 1. die Beantwortung von Fragen nach Umständen aus ihrem höchstpersönlichen Lebensbereich oder nach Einzelheiten der strafbaren Handlung, deren Schilderung sie für unzumutbar halten, zu verweigern (§ 153 Abs. 2),
  1. 2. zu verlangen, im Vorverfahren und in der Hauptverhandlung auf schonende Weise vernommen zu werden (§§ 162a, 250 Abs. 3),
  1. 3. zu verlangen, die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung auszuschließen (§ 229 Abs. 2).

(3) Von jedem Rücktritt von der Verfolgung oder der Einstellung des Verfahrens sowie der Abbrechung des Verfahrens gegen einen bekannten Täter und dessen Fortsetzung ist die verletzte Person zu verständigen. § 83a zweiter Satz gilt sinngemäß.

(4) Der durch eine strafbare Handlung verletzten Person ist nach Maßgabe der Voraussetzungen des § 38a Abs. 1 Übersetzungshilfe zu leisten, soweit dies zur Wahrung ihrer Rechte im Strafverfahren, insbesondere des Rechts, sich dem Verfahren wegen ihrer privatrechtlichen Ansprüche anzuschließen, erforderlich ist.“

2. Nach dem § 49 wird folgender § 49a eingefügt:

§ 49a. (1) Personen, die durch die dem Beschuldigten zur Last gelegte, vorsätzlich begangene Tat Gewalt oder gefährlicher Drohung ausgesetzt oder in ihrer sexuellen Integrität beeinträchtigt worden sein könnten, sowie der Ehegatte, der Lebensgefährte, Verwandte in gerader Linie, der Bruder oder die Schwester einer Person, deren Tod durch eine Straftat herbeigeführt worden sein könnte, oder andere Angehörige, die Zeugen der Tat waren, haben Anspruch auf psychosoziale und juristische Prozessbegleitung, soweit dies zur Wahrung ihrer Rechte und im Hinblick auf ihre persönliche Betroffenheit erforderlich ist. Sie sind überdies berechtigt, in die Akten in sinngemäßer Anwendung des § 47 Abs. 2 Z 2 Einsicht zu nehmen.

(2) Psychosoziale Prozessbegleitung umfasst die Vorbereitung der Betroffenen auf das Verfahren und die mit ihm verbundenen emotionalen Belastungen sowie die Begleitung zu Vernehmungen im Vor- und Hauptverfahren, juristische Prozessbegleitung, die rechtliche Beratung und Vertretung durch einen Rechtsanwalt.

(3) Die Bundesministerin für Justiz ist ermächtigt, bewährte geeignete Einrichtungen vertraglich mit der Gewährung von Prozessbegleitung im Sinne der vorstehenden Absätze zu beauftragen.“

3. Im § 50 Abs. 1 hat der letzte Halbsatz zu lauten:

„sie können sich auch eines in der Verteidigerliste eingetragenen Rechtsbeistandes, einer nach § 25 Abs. 3 SPG anerkannten Opferschutzeinrichtung oder eines anderen Bevollmächtigten bedienen.“

3a. In § 129 wird ein Abs. 4 angefügt:

„(4) Wird für die Beurteilung einer Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung ein Sachverständiger bestellt, so ist ihm auch die Feststellung der Schmerzperioden aufzutragen.“

4. Im § 162 Abs. 2 hat der zweite Satz zu lauten:

„Auf dieses Recht und den Anspruch auf psychosoziale und juristische Prozessbegleitung (§ 49a) ist in der Vorladung unter Bekanntgabe geeigneter Opferschutzeinrichtungen hinzuweisen.“

4a. In § 177 wird nach dem letzten Satz des Abs. 2 der Punkt durch einen Strichpunkt ersetzt und es werden folgende Worte angefügt:

„die im § 49a Abs. 1 genannten Personen sind zu verständigen.“

5. Nach dem § 194 wird folgender § 195 eingefügt:

§ 195. Das Gericht hat die in § 49a Abs. 1 genannten Personen und die Sicherheitsbehörde ihres Aufenthaltsortes von einer Freilassung des Beschuldigten vor Fällung des Urteils erster Instanz, gegebenenfalls unter Angabe der dem Beschuldigten auferlegten gelinderen Mittel, unverzüglich von Amts wegen zu verständigen.“

6. § 211a hat zu lauten:

§ 211a. (1) Erachtet der Gerichtshof, dass die Voraussetzungen für eine Einstellung des Verfahrens gemäß § 90b, anderen auf ihn verweisenden gesetzlichen Bestimmungen oder gemäß § 37 des Suchtmittelgesetzes (SMG), BGBl. I Nr. 112/1997, vorliegen, so weist er die Anklageschrift an den Untersuchungsrichter mit dem Auftrag zurück, nach diesen Bestimmungen vorzugehen.

(2) Kommt eine Einstellung des Verfahrens nach den in Abs. 1 genannten Bestimmungen nicht zustande oder ist das Verfahren nachträglich einzuleiten oder fortzusetzen (§ 90h; § 38 SMG), so hat der Ankläger neuerlich die Anklageschrift einzubringen oder sonst die zur Fortführung oder Beendigung des Strafverfahrens notwendigen Anträge zu stellen.“

7. Im § 281 Abs. 1 hat die Z 10a zu lauten:

  1. „10a. wenn nach der Bestimmung des § 90b über die Einstellung des Verfahrens, anderen auf sie verweisenden Vorschriften oder nach § 37 SMG vorzugehen gewesen wäre;“

8. Im § 345 Abs. 1 hat die Z 12a zu lauten:

  1. „12a. wenn nach der Bestimmung des § 90b über die Einstellung des Verfahrens, anderen auf sie verweisenden Vorschriften oder nach § 37 SMG vorzugehen gewesen wäre;“

9. § 381 wird wie folgt geändert:

a) Im Abs. 1 tritt am Ende der Z 8 an die Stelle des Punktes ein Strichpunkt; folgende Z 9 wird angefügt:

  1. „9. die Kosten der Prozessbegleitung (§ 49a) in der Höhe, wie sie durch das Bundesministerium für Justiz abgegolten werden.“

b) Im Abs. 2 wird die Wendung „ ,7 und 8“ durch die Wendung „und 7 bis 9“ ersetzt.

Artikel II

Änderungen des Staatsanwaltschaftsgesetzes

Das Staatsanwaltschaftsgesetz, BGBl. Nr. 164/1986, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 164/2004, wird wie folgt geändert:

1. In § 13 Abs. 2 wird der Hundertsatz „5 vH“ durch den Hundertsatz „6 vH“ ersetzt.

2. Nach dem § 34 werden folgende §§ 34a und 34b samt Überschriften eingefügt:

„Register, sonstige Geschäftsbehelfe und elektronischer Rechtsverkehr

§ 34a. (1) Bei jeder Staatsanwaltschaft sind Register und sonstige Geschäftsbehelfe zu führen, um einen Überblick über die Gesamtheit der angefallenen Sachen, deren Auffindbarkeit und den Stand der einzelnen Angelegenheiten zu bieten, die für die Erledigung der einzelnen Strafsache nötige Übersicht zu erhalten und zugleich die unentbehrlichen Anhaltspunkte für die Überwachung des gesamten Geschäftsganges und der Vollziehung der einzelnen staatsanwaltschaftlichen Verfügungen, Anträge und Aufträge zu sichern.

(2) In die Register und Geschäftsbehelfe sowie Tagebücher dürfen nur solche Daten aufgenommen werden, die erforderlich sind, um den Zweck des Registers, Geschäftsbehelfs oder Tagebuchs zu erfüllen. Die Führung der Register, Tagebücher und sonstigen Geschäftsbehelfe sowie die Speicherung des Inhalts der staatsanwaltschaftlichen Tagebücher, Aktenbestandteile, Behelfe und sonstigen Unterlagen haben nach Maßgabe der technischen und personellen Möglichkeiten mit Hilfe der Verfahrensautomation Justiz (VJ) zu erfolgen. Die Daten der Register und sonstigen Geschäftsbehelfe dürfen vom Inhalt der Tagebücher und den sonstigen Geschäftsbehelfen nicht abweichen.

(3) Der Bundesminister für Justiz hat durch Verordnung zu bestimmen, welche Register und Geschäftsbehelfe bei den staatsanwaltschaftlichen Behörden zu führen sowie welche Gattungen von Angelegenheiten darin einzutragen sind, welche Organe sie zu führen haben und wie lange sie aufzubewahren oder verfügbar zu halten sind. Die Form und Einrichtung der Register und Geschäftsbehelfe und wie bei deren Führung im Einzelnen zu verfahren ist, ist im VJ-Online-Handbuch oder in sonstigen Erlässen zu regeln. Das VJ-Online-Handbuch ist in der jeweils aktuellen Fassung über die Intranethomepage der Justiz abrufbar zu halten; die sonstigen Erlässe sind dort zu verlautbaren.

(4) Soweit Parteien und Beteiligten ein Recht auf Einsicht in das Tagebuch zusteht, haben sie nach Maßgabe der vorhandenen technischen Möglichkeiten Anspruch darauf, Ablichtungen oder Ausdrucke der ihre Sache betreffenden Akten und Aktenteile zu erhalten. Den Parteien kann unter Bedachtnahme auf eine einfache und sparsame Verwaltung und eine ausreichende Sicherung vor Missbrauch durch dritte Personen auch elektronische Einsicht in sämtliche gemäß § 35 Abs. 4 zugängliche, ihre Sache betreffende Daten, die in der Verfahrensautomation Justiz gespeichert sind, ermöglicht werden.

(5) Für den elektronischen Rechtsverkehr mit den Staatsanwaltschaften sind die §§ 89a bis 89g GOG anzuwenden.

Haftung für IT- Einsatz

§ 34b. (1) Für die durch den Einsatz der Informations- und Kommunikationstechnik verursachten Schäden aus Fehlern bei der Führung staatsanwaltschaftlicher Geschäfte einschließlich der Justizverwaltungsgeschäfte sowie der dafür notwendigen Register und sonstigen Geschäftsbehelfe und der öffentlichen Register haftet der Bund. Die Haftung ist ausgeschlossen, wenn der Schaden durch ein unabwendbares Ereignis verursacht wird, das weder auf einem Fehler in der Beschaffenheit noch auf einem Versagen der Mittel der automationsunterstützten Datenverarbeitung beruht. Im Übrigen ist das Amtshaftungsgesetz, BGBl. Nr. 20/1949, anzuwenden.

(2) Bei der elektronischen Übermittlung von Eingaben und Erledigungen haftet der Bund nach Abs. 1, sofern der Fehler entstanden ist

  1. 1. bei Daten, die an die Staatsanwaltschaft übermittelt worden sind, ab ihrem Einlangen bei der Bundesrechenzentrum GmbH;
  1. 2. bei Daten, die von der Staatsanwaltschaft zu übermitteln sind, bis zu ihrem Einlangen im Verfügungsbereich des Empfängers.“

3. Dem § 42 wird folgender Abs. 6 angefügt:

„(6) Die §§ 13 Abs. 2, 34a und 34b in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 119/2005 treten mit 1. Jänner 2006 in Kraft. § 13 Abs. 2 tritt mit 31. Dezember 2007 wieder außer Kraft. Mit dem Außer-Kraft-Treten tritt § 13 Abs. 2 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 507/1994, wieder in Kraft.“

Artikel III

Änderungen des Tilgungsgesetzes

Das Tilgungsgesetz, BGBl. Nr. 68/1972, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 100/2005, wird wie folgt geändert:

1. Im § 6 Abs. 1 wird nach der Z 2 folgende Z 2a eingefügt:

  1. „2a. den zur Einleitung und Durchführung des Strafvollzuges zuständigen Anstalten zum Zweck der Vorbereitung der Klassifizierung (§§ 134, 161 des Strafvollzugsgesetzes),“

2. Im § 9 wird folgender Abs. 1d eingefügt:

„(1d) § 6 Abs. 1 Z 2a in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 119/2005 tritt mit 1.Jänner 2006 in Kraft.“

Artikel IV

In-Kraft-Treten

Artikel I dieses Bundesgesetzes tritt mit 1. Jänner 2006 in Kraft.

Fischer

Schüssel

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)