I. Einleitung
Die Auslegung mehrsprachiger Rechtsakte stellt den Rechtsanwender vor besondere methodische und praktische Herausforderungen. In seiner Dissertation möchte Benedikt Nehls dabei Hilfe geben für den Bereich mehrsprachiger völkerrechtlicher Verträge. Dieses Unterfangen ist überaus verdienstvoll, da die einschlägige Literatur in die Jahre gekommen ist und es einer Aufarbeitung der jüngeren Vertrags- und Rechtsprechungspraxis bedurfte. Zu bedauern ist indes, dass Nehls seinen Untersuchungsgegenstand nicht klar bestimmt und gegenüber verwandten Problemstellungen abgrenzt. So wird etwa das Unionsrecht gar nicht erwähnt, obwohl dort das Problem mehrsprachiger Rechtstexte seit langem diskutiert wird1 und Nehls sonst durchaus die Gründungsverträge internationaler Organisationen mit einbezieht. Auch auf die Erfahrungen mehrsprachiger Nationalrechtsordnungen geht Nehls nicht ein, so dass offenbleibt, inwiefern die von ihm entwickelten Grundsätze speziell nur für das von ihm zugrunde gelegte Völkerrecht gelten oder doch nur Varianten allgemeiner Regeln darstellen. Nur äußerst knapp thematisiert wird zudem das Verhältnis der Regeln betreffend die Auslegung mehrsprachiger völkerrechtlicher Verträge zu den allgemeinen Auslegungskanones (190 ff). Und schließlich bleiben theoretische Grundlagen ausgeblendet, wie Sprachphilosophie,2 die analytische Struktur der Auslegungskanones oder die (mögliche) Rechtsquellenqualität von Auslegungsregeln3. Nehls legt ein Verständnis der Auslegung als Rechtsfindungsmethodik zugrunde, so dass die Auslegungsregeln den Rechtsanwender zum richtigen Ergebnis