Zu den bemerkenswerten Erscheinungen positiver Rechtsordnungen gehört zweifellos der Umstand, dass darin Rechtmäßigkeit und Geltung von Normen nicht unbedingt zusammenfallen müssen. So können insbesondere gerichtliche Urteile auch Rechtskraft und damit Gültigkeit erlangen, wenn sie inhaltlich unzutreffend sind. Rechtsordnungen ermächtigen somit in einem gewissen Umfang auch zur Erlassung rechtswidriger rechtlicher Anordnungen. Dieses Phänomen wurde insbesondere von Vertretern der Reinen Rechtslehre herausgearbeitet und wird (von Adolf Julius Merkl) als „Fehlerkalkül“ oder (in Anlehnung an eine Formulierung Hans Kelsens) als „alternative Ermächtigung“ einer positiven Rechtsordnung bezeichnet. Vor allem Höchstgerichte machen sich mitunter durch großzügige Rechtsfortbildung den Umstand zunutze, dass ihre Urteile auch dann Geltung erlangen, wenn sie sich im Lichte des positiven Rechts als unrichtig erweisen. Das sorgt nicht selten unter Juristinnen und Juristen für Ärger und Kritik, weil Gerichte damit ihre Funktion als Vollzugsgewalt verfehlen und sich darüber hinaus die Rolle von Rechtschöpfern anmaßen.