Zusammenfassung Hans Kelsen hat in zwei Aufsätzen aus dem Jahr 1928 den Begriff des positiven Kompetenzkonflikts in einer vom überkommenen Begriffsverständnis abweichenden extensiven Weise gedeutet und auch auf die Fälle erstreckt, in denen die Zuständigkeit zur Entscheidung der Hauptsache nicht fraglich ist, aber ein Organ über eine Vorfrage selbständig entscheidet, über die ein anderes Organ als Hauptfrage entschieden hat. Es wird gezeigt, dass diese Auslegung des positiven Rechts zur Erreichung eines bestimmten rechtspolitischen Ziels erfolgte und nicht nur fragwürdig, sondern auch unzweckmäßig ist, weil sie die dogmatische Unterscheidung zwischen dem Bestehen einer rechtlichen Bindung an eine in Rechtskraft erwachsene Entscheidung über eine Vorfrage und einem Streit über die Zuständigkeit zur Entscheidung einer Hauptfrage ignoriert.