EGMR, 07.12.2021, BswNr 39378/15
Offenlegung von Daten von Verfassern beleidigender Kommentare durch Medienunternehmen
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Es gibt kein absolutes Recht auf Anonymität – es ist daher bei der Offenlegung von Nutzerdaten zwischen den widerstreitenden Interessen abzuwägen (hier: Interesse des Politikers auf Schutz seines Rufes einerseits und Recht auf Pressefreiheit andererseits). Sind Äußerungen im konkreten Fall zwar ernsthaft beleidigend, aber weder als Hassrede noch als Aufstachelung zur Gewalt, noch sonst als eindeutig rechtswidrig zu qualifizieren und erfolgen diese im Rahmen einer öffentlichen Debatte über Fragen von legitimem öffentlichem Interesse, so ist es unzutreffend, wenn nationale Gerichte eine Interessenabwägung nur im Verfahren gegen den Verfasser der mutmaßlich diffamierenden Äußerungen und nicht auch im Verfahren gegen den jeweiligen Diensteanbieter (Medienunternehmen) vornehmen. In diesem Fall übersehen die nationalen Gerichte (Berufungsgericht und OGH) nämlich die Funktion der Anonymität bei der Förderung des freien Meinungs-, Ideen- und Informationsaustausches, weshalb ein Verstoß gegen Art 10 EMRK vorlag.