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Vertragsstaatlichkeit. Die Vereinbarung - eine Grundform des Öffentlichen Rechts. Von Walter Leisner. Duncker & Humblot, Berlin 2009. 164 Seiten, broschiert, € 68,80.

FachliteraturPeter PernthalerZfV 2010/974ZfV 2010, 608 Heft 4 v. 3.9.2010

In Fortsetzung seiner provokanten Theorie von der "Privatisierung" des Öffentlichen Rechts (2007) legt Leisner nunmehr die rechtsformale Ergänzung vor, wonach die Vereinbarung - und nicht das System der normativen Hoheitsakte - die Grundform des Öffentlichen Rechts der Demokratie sei oder jedenfalls sein sollte. Wie in allen seinen jüngeren Werken vermischt der Autor durchaus richtige Erkenntnisse und empirische Beobachtungen der neueren Rechtsentwicklung mit ideologischen Grundpositionen und phantastischen Schlussfolgerungen, die jeder vernünftigen Staats- und Rechtsdogmatik unzugänglich sind. Richtig sieht Leisner das Vordringen zivil- und öffentlich-rechtlicher Vertragsformen und die dahinter stehenden Entwicklungstendenzen zu mehr Kooperation, Selbstregelung, Privatisierung und dem damit verbundenen Abbau von Befehl und Zwang als Kennzeichen der öffentlichen Ordnung. Eine breite empirische Untersuchung der zunehmenden Bedeutung von Verträgen in Raumordnung, Forst, Wasser, Natur- und Umweltschutz, aber auch des Kontraktmanagements (zB in den Universitäten), sowie insgesamt der Privatisierung und Deregulierung öffentlicher Aufgaben hätte durchaus einige der Thesen Leisners bestätigen können. Auch partnerschaftliche Entwicklungen im Sozialrecht und in der Betriebsverfassung, im kooperativen Föderalismus und in der Konkordanz-Demokratie (etwa im System des Sprach- und Minderheitenschutzes oder des Nationalitätenstaates) wären gewiss lohnende Untersuchungsbereiche der verschiedenen Formen rechtlicher Vereinbarungen als alternative oder ergänzende Ordnungsmodelle gewesen. Wenn Leisner dagegen die Demokratie und die klassischen Hoheitsfunktionen des Staates wie Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit, aber auch die Repräsentation, das Völkerrecht und das Europarecht als (privat-)vertragliche Funktionen erklären will, verschüttet er ganz bewusst die Wesensmerkmale moderner Staatlichkeit, Souveränität und parlamentarischer Demokratie. Besonders deutlich wird dies, wenn er England und die Schweiz als gelungene Beispiele seines Modells der "Vertragsstaatlichkeit" rühmt: Der englische Konstitutionalismus kennt zwar grundlegende Vereinbarungen als Rechtsquellen, die aber die allumfassende Souveränität von "König im Parlament" ebenso wenig infrage stellen, wie die rechtsfortbildende und rechtschöpfende richterliche Autorität des Case-Law-Systems. Auch das Schweizer Verfassungssystem kennt starke kooperative Elemente, daneben aber eine fast unbeschränkte Souveränität des Volkes, die sich in Abstimmungen als "Volks-Entscheide" und nicht als Verträge manifestiert. Dass Leisner die nicht-vertragliche Staatsgewalt sehr wohl benötigt, um die nötigen Schranken der Vertragsfreiheit durchzusetzen und ihre Gefahren des (sozialen) Missbrauches und der Korruption des Staates zu bekämpfen, zeigt er selbst deutlich auf. Im Ergebnis wird man daher gerade aus der von Leisner beschworenen Tendenz der (zunehmenden) "Vertragsstaatlichkeit" die Notwendigkeit einer fortlaufend erneuerten Balance zwischen dem Ausbau der Vertragsfreiheit und der ordnungssichernden und gemeinwohlgebundenen Hoheitsgewalt ableiten müssen.

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