Die aktuellen Auswirkungen des Unionsrechts auf alle Bereiche des nationalen Rechts wurden in der Mitte der 90er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts, als Österreich dem EWR und der EU beitrat, wohl unterschätzt. Im Vordergrund stehen nämlich nicht einzelne "legalpointilistische" Normen des Unionsrechts oder einzelne Entscheidungen des EuGH an sich, sondern die Veränderung der Kultur der Rechtssetzung und der Rechtsanwendung. Scheinbar unverrückbare Institute des nationalen Rechts stehen plötzlich auf dem Prüfstand des Unionsrechts, etwa die Rechtskraft: Arno Kahl und Christoph Brenn befassen sich in ihren Beiträgen mit der Frage, ob der Vorrang des Unionsrechts gegenüber nationalen Normen auch auf rechtskräftige Verwaltungsbescheide und Gerichtsurteile auszudehnen ist. Jüngste Urteile des EuGH (etwa in der Rs C-555/07 , Kücükdeveci) lassen eine wachsende Bedeutung des Grundrechtsschutzes in Form unmittelbarer Anwendung erwarten: Neben die eingefahrenen nationalen Bahnen des Gesetzesprüfungsantrags tritt die direkte Heranziehung der in der Grundrechtecharta verbrieften Rechtspositionen durch die nationalen Verwaltungsbehörden und Gerichte. Meinrad Handstanger spricht von einem "doppelten" Grundrechtsschutz, der die Aufgabenverteilung zwischen VfGH und VwGH relativiert.