Auf einen Blick:
Der vorliegende Beitrag widmet sich der Frage der Zulässigkeit der Vorlage privater, von den Parteien zur Vorbereitung oder Begleitung eines Rechtsstreits eingeholter Rechtsgutachten in zivilgerichtlichen Verfahren.
I. Einleitung
Die Frage der Zulässigkeit der Vorlage privater, von den Parteien zur Vorbereitung oder Begleitung eines Rechtsstreits eingeholter Rechtsgutachten in zivilgerichtlichen Verfahren - nicht gemeint sind hier sog. Sachgutachten, also die zur Vorbereitung oder Begleitung eines Rechtsstreits eingeholten (Privat-)Gutachten etwa eines medizinischen oder verkehrstechnischen Sachverständigen über Tatfragen1), sondern "schriftlich ausgearbeitete Lösungen komplizierter Rechtsfragen unter Heranziehung von Literatur und Judikatur"2) - ist fast so alt wie das zivilgerichtliche Verfahren selbst. Solche Rechtsgutachten - früher waren es Consilien der Rechtsgelehrten (consilia sapientis iudicialis), aber auch Gutachten ganzer Juristenfakultäten3) - haben außerhalb und innerhalb konkreter Zivilverfahren stets eine große Rolle gespielt4). Zur jüngeren "Gutachtensgeschichte" berichtete Falk5) etwa von einem um die Mitte des 19. Jahrhunderts entstandenen Rechtsstreit zwischen den Schweizerischen Teilkantonen Basel-Stadt und Basel-Land, bei dem es um ein erhebliches Punktum gegangen sei. Rechtlich war die Frage nach den Eigentumsverhältnissen an den Festungsbollwerken zu klären, die das alte Basel eingeschlossen hatten. Diese Festungsbollwerke wurden von der Stadt Basel geschliffen und nun wollte auch der erst nach Erbauung der Festungen gebildete Halbkanton Basel-Land seinen Anteil am durch die Schleifung entstandenen wertvollen Bauland. Im Prozess traten Jhering und Dernburg als Privatgutachter der jeweils anderen Seite auf. Der "Stil" des Gutachters Jhering war - obwohl "seine" Partei letztlich siegreich war - noch lange Gegenstand einer Polemik. Ich bin auf Berichte über einen Zürcher Prozess wegen Gewerbsstörung durch Patentanmaßung am Ende des 19. Jahrhunderts gestoßen6), in dem - wie ein zeitgenössischer Schweizer Kommentator7) ironisch feststellte - "zwei österreichische juristische Armeecorps" als Privatgutachter auf jeweils einer Seite tätig wurden. Diese Armeecorps lesen sich wie das who is who der damaligen österreichischen Zivilistik: Grünhut, Krasnopolski, v. Schey, Menzel und Ofner auf der einen Seite sowie Randa, Strohal, Pfaff, Canstein, Schrutka-Rechtenstamm und Brunstein auf der anderen Seite. Dass solche "Armeecorps" bekannter Rechtsgelehrter bisweilen auch heute noch aufgeboten werden, zeigt ein Verfahren um ein großes österreichisches Brauereiunternehmen, bei dem es um einen nach Behauptung der Kläger zu niedrigen Verkaufspreis von Aktien ging: Die klagenden Parteien haben (vergeblich) vier Rechtsgutachter aufgeboten, während die beklagte Partei (nur, aber erfolgreich) ein Gutachten ins Rennen schickte8). Auch in einer anderen Entscheidung des OGH9) wird von sechs vorgelegten Rechtsgutachten berichtet, in einem weiteren Revisionsverfahren10) wurden, worauf der OGH hinweist, vier Rechtsgutachten gelegt. Darüber hinaus wird in zahlreichen weiteren Entscheidungen des OGH die Vorlage von Rechtsgutachten durch die Parteien erwähnt11). Feststeht, dass die tatsächliche Zahl jener Zivilverfahren, in denen private Rechtsgutachten nicht nur parteienintern benützt, sondern auch im Verfahren selbst vorgelegt werden, nicht unbedeutend ist.