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Gedanken zu privaten Rechtsgutachten und Rechtsgutachtern*)*)o. Univ.-Prof. Dr. Bernhard König, Institut für Zivilgerichtliches Verfahren, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck.

WissenschaftBernhard König**)**)Zweitabdruck des Beitrags in Bruns/Kern/Münch/Piekenbrock/Stadler/Tsikrikas (Hrsg), Festschrift für Rolf Stürner zum 70. Geburtstag (Verlag Mohr Siebeck, 2013) 1625 ff. Em. Univ.-Prof. Dr. DDr.h.c. Rolf Stürner, Freiburg, ist einer der bedeutendsten Rechtswissenschaftler der Gegenwart; einer seiner Forschungsschwerpunkte ist das Zivilverfahrensrecht.RZ 2013, 206 Heft 10 v. 1.10.2013

Auf einen Blick:

Der vorliegende Beitrag widmet sich der Frage der Zulässigkeit der Vorlage privater, von den Parteien zur Vorbereitung oder Begleitung eines Rechtsstreits eingeholter Rechtsgutachten in zivilgerichtlichen Verfahren.

I. Einleitung

Die Frage der Zulässigkeit der Vorlage privater, von den Parteien zur Vorbereitung oder Begleitung eines Rechtsstreits eingeholter Rechtsgutachten in zivilgerichtlichen Verfahren - nicht gemeint sind hier sog. Sachgutachten, also die zur Vorbereitung oder Begleitung eines Rechtsstreits eingeholten (Privat-)Gutachten etwa eines medizinischen oder verkehrstechnischen Sachverständigen über Tatfragen1)1)Hiezu in letzter Zeit etwa OGH 17 Ob 21/10b (diese und die weiters zitierten Entscheidungen des OGH sind abrufbar unter www.ris.bka.gv.at ): Erhebt die andere Partei gegen die Ausführungen in einem solchen Privatgutachten "substanziierte" Einwände, ist entweder vom Gericht ein Sachverständiger zu bestellen oder hat das Gericht mit Zustimmung der Parteien (§ 364 öZPO) seine eigene Fachkenntnis zu verwerten (zustimmend Krammer, Der Sachverständige 2011, 151 f [Entscheidungsbesprechung]). Zur Verwertungspflicht solcher Gutachten auch BGH 10.10.2000 NJW 2001, 77., sondern "schriftlich ausgearbeitete Lösungen komplizierter Rechtsfragen unter Heranziehung von Literatur und Judikatur"2)2)Treffend OGH 1 Ob 630/90. - ist fast so alt wie das zivilgerichtliche Verfahren selbst. Solche Rechtsgutachten - früher waren es Consilien der Rechtsgelehrten (consilia sapientis iudicialis), aber auch Gutachten ganzer Juristenfakultäten3)3)Hiezu etwa Hasselwander, Aus der Gutachter- und Urteilstätigkeit an der alten Mainzer Juristenfakultät (1956); Baumgärtel, Die Gutachter- und Urteilstätigkeit der Erlanger Juristenfakultät in dem ersten Jahrhundert ihres Bestehens (1962); Lange, Das Rechtsgutachten im Wandel der Geschichte, JZ 1969, 157 ff, mwN in 161 FN 46. - haben außerhalb und innerhalb konkreter Zivilverfahren stets eine große Rolle gespielt4)4)Falk, Consilia - Studien zur Praxis der Rechtsgutachten in der frühen Neuzeit (2006) passim.. Zur jüngeren "Gutachtensgeschichte" berichtete Falk5)5)Jherings Kampf um die Festungsbollwerke - Eine Rechtsgeschichte zur Praxis der Parteigutachten, NJW 2008, 719 ff (auch abgedruckt in juridikum 2008, 134 ff). etwa von einem um die Mitte des 19. Jahrhunderts entstandenen Rechtsstreit zwischen den Schweizerischen Teilkantonen Basel-Stadt und Basel-Land, bei dem es um ein erhebliches Punktum gegangen sei. Rechtlich war die Frage nach den Eigentumsverhältnissen an den Festungsbollwerken zu klären, die das alte Basel eingeschlossen hatten. Diese Festungsbollwerke wurden von der Stadt Basel geschliffen und nun wollte auch der erst nach Erbauung der Festungen gebildete Halbkanton Basel-Land seinen Anteil am durch die Schleifung entstandenen wertvollen Bauland. Im Prozess traten Jhering und Dernburg als Privatgutachter der jeweils anderen Seite auf. Der "Stil" des Gutachters Jhering war - obwohl "seine" Partei letztlich siegreich war - noch lange Gegenstand einer Polemik. Ich bin auf Berichte über einen Zürcher Prozess wegen Gewerbsstörung durch Patentanmaßung am Ende des 19. Jahrhunderts gestoßen6)6)Siehe König, Die verschuldensunabhängige Haftung für "ungerechtfertigten" einstweiligen Rechtsschutz (§ 394 EO), JBl 2005, 205 ff, 206 mwN., in dem - wie ein zeitgenössischer Schweizer Kommentator7)7)Meili, Die neuen Aufgaben der modernen Jurisprudenz, JBl 1892, 208 Anm 15. ironisch feststellte - "zwei österreichische juristische Armeecorps" als Privatgutachter auf jeweils einer Seite tätig wurden. Diese Armeecorps lesen sich wie das who is who der damaligen österreichischen Zivilistik: Grünhut, Krasnopolski, v. Schey, Menzel und Ofner auf der einen Seite sowie Randa, Strohal, Pfaff, Canstein, Schrutka-Rechtenstamm und Brunstein auf der anderen Seite. Dass solche "Armeecorps" bekannter Rechtsgelehrter bisweilen auch heute noch aufgeboten werden, zeigt ein Verfahren um ein großes österreichisches Brauereiunternehmen, bei dem es um einen nach Behauptung der Kläger zu niedrigen Verkaufspreis von Aktien ging: Die klagenden Parteien haben (vergeblich) vier Rechtsgutachter aufgeboten, während die beklagte Partei (nur, aber erfolgreich) ein Gutachten ins Rennen schickte8)8)OGH 6 Ob 148/07v (ein Gutachter wird namentlich genannt).. Auch in einer anderen Entscheidung des OGH9)9)OGH 2 Ob 235/05f (die Gutachter werden namentlich genannt). wird von sechs vorgelegten Rechtsgutachten berichtet, in einem weiteren Revisionsverfahren10)10)OGH 1 Ob 73/01v (die Gutachter werden nicht namentlich genannt). wurden, worauf der OGH hinweist, vier Rechtsgutachten gelegt. Darüber hinaus wird in zahlreichen weiteren Entscheidungen des OGH die Vorlage von Rechtsgutachten durch die Parteien erwähnt11)11)Ohne bzw mit anonymisierter Nennung der Gutachter etwa in OGH 10 ObS 48/94; 10 Ob 2120/96d; 4 Ob 189/98t; 3 Ob 235/00f; 9 ObA 108/04d; 6 Ob 180/04w; 8 Ob 40/04x; 2 Ob 169/10g; 9 Nc 7/12x (zu 1 Ob 35/12x - hier wurde der im zur Entscheidung berufenen OGH-Senat tätige Bruder des Privatgutachters für befangen erklärt); mit namentlicher Nennung der Gutachter etwa in OGH 4 Ob 117/99f; 6 Ob 313/01z; 6 Ob 259/02k; 6 Ob 217/05p; 10 Ob 32/07i; 6 Ob 221/09g; 2 Ob 1/09z; 2 Ob 219/11m.. Feststeht, dass die tatsächliche Zahl jener Zivilverfahren, in denen private Rechtsgutachten nicht nur parteienintern benützt, sondern auch im Verfahren selbst vorgelegt werden, nicht unbedeutend ist.

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