I. Vorbemerkung
Im Rahmen einer mehr als drei Jahre zurückliegenden Arbeit an einer Entscheidungsbesprechung1) sah ich mich mit der Frage konfrontiert, wie sich die Unterworfenen eines Arbeitsnormenvertrages verhalten sollten, wenn das strittige Ordnungsproblem von den KollV-Parteien entweder unzureichend oder widersprüchlich geregelt worden war. Eine dilemmatische Situation zeichnete sich ab, wenn eine individualrechtliche Substitution qua Weisungsrecht des AG, Einzelabreden oder Vertragsergänzung nicht in Betracht kam, weil die Eigenart der Materie eine ausschließlich einheitliche, auf die Arbeitsverhältnisse unmittelbar einwirkende Gestaltung erforderte. Waren somit den Normadressaten die Hände gebunden, dann mußte der Verweis auf ein zukünftiges Tätigwerden der KollV-Parteien einer Rechtsverweigerung gleichkommen. Er ließe sich allenfalls rechtfertigen, wenn es die KollV-Unterworfenen in der Hand hätten, entsprechende Aktivitäten, etwa durch Ausübung von Mitgliedschaftsrechten, in die Wege zu leiten. Da zudem eine positivrechtlich niedergelegte Verpflichtung der Koalitionen, von ihrer Rechtsetzungsautonomie umfassend, lückenlos, widerspruchsfrei und sachgerecht Gebrauch machen, nicht existiert, hielt ich es für eine vordringliche Aufgabe von Rechtswissenschaft und -praxis, den Betroffenen durch eine extensive Nutzung des methodischen Instrumentariums aus dieser Sackgasse zu helfen. Um eine möglichst interessen- und sachnahe Regelung zu finden, empfahl ich über die in §§ 6 und 7 ABGB kodifizierten Kriterien der Auslegung hinausgehend, die Summe der in einzelnen KollV und BV immer wiederkehrenden Bestimmungen zu Rechtsinstituten des kollektiven Arbeitsrechts zusammenzufassen, welche nicht nur – sofern sie allgemeine Grundsätze des Rechts konkretisieren – als dispositive Normen im Einzelfall den Vorschriften eines KollV bzw einer BV ergänzend zur Seite treten sollten, sondern auch den Koalitionen ihren rechtsschöpferischen Auftrag erleichtern könnten.