I. Bedeutung und Struktur sozialer Grundrechte
1. Einführung
Im Jahre 1960 erhob ein Bewohner des Freistaates Bayern unter Berufung auf das in der Bayerischen Verfassung garantierte Recht auf Arbeit (Art 166 Abs 2) Verfassungsbeschwerde zum Bayerischen Verfassungsgerichtshof. Das Gericht wies den Antrag ab, nachdem es aufgrund eingehender historischer und verfassungssystematischer Argumentation zum Ergebnis gelangt war, daß die Verfassung dem Einzelnen insoweit keine Ansprüche einräume. „Der Staat wäre denn auch ... außerstande, jedem einzelnen Bürger gegenüber dafür einzustehen, daß er sich durch Arbeit eine auskömmliche Existenz beschaffen könne, gleichviel welche wirtschaftliche Lage in der Welt, besonders aber in Deutschland und bei seinen Partnern bestehen mag“1). Auf der anderen Seite hat das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) in einer wahrhaft grundlegenden Entscheidung aus dem Jahre 1954 ohne spezielle Grundlage aus einer Zusammenschau verschiedener Verfassungsprinzipien ein verfassungsmäßiges Recht auf Fürsorge gefolgert2) und ist hierin auch durch das Bundesverfassungsgericht (BVfG) bestätigt worden3). Dasselbe Gericht erkannte erst in jüngster Zeit Ansprüchen, die dem Einzelnen aus der Sozialversicherung erwachsen, die Qualität verfassungsrechtlich gesicherter Eigentumspositionen zu4). Wohl am bekanntesten geworden ist seine Rechtsprechung zum Problem des numerus clausus, in der ein grundsätzlicher Anspruch auf Hochschulzugang anerkannt und ein Recht auf Schaffung von Ausbildungsplätzen erwogen wurde, und deren verfassungstheoretische, rechtspraktische und hochschulpolitische Folgen nach wie vor in der Diskussion sind5).