„Es gibt gewisse Grundfragen in jeder Wissenschaft, die, mögen sie in der Fülle des behandelten Stoffes zeitweilig auch untertauchen, mögen sie im Gedränge der Einzelfragen ihr Interesse verlieren, vermöge ihres für die betreffende Wissenschaft fundamentalen Charakters doch immer wieder an die Oberfläche kommen und Beachtung heischen. Für die Rechtswissenschaft stellt eine solche Frage die Rechtsauslegung dar“.1) Diese Feststellung hat Merkl schon 1916 zum Interpretationsproblem getroffen; sie hat seither an Aktualität nicht nur nichts eingebüßt, sondern im Gegenteil zugenommen. Da das Verfassungsrecht als normative Grundordnung des Staates notwendiger Weise relativ abstrakte Normen enthält, kommt seiner Interpretation eine besondere Bedeutung zu; eine Bedeutung, die deshalb auch eine wachsende ist, weil sich der Staat in einer zunehmenden Aufgabenvermehrung befindet, die von einem immer deutlicher werdenden Wandel der Stellung des Einzelnen und der Gesellschaft zum und im Staat begleitet wird. Will man die Zulässigkeit dieser wachsenden Inanspruchnahme des Staates beurteilen, wird man sich auch der Möglichkeiten und Grenzen der Verfassungsinterpretation bewußt werden müssen; zur Behandlung dieses Themas sei