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18.3.4 Nachversteuerung bei Betriebsaufgaben vor dem 1. Juli 2023

BMF2023-0.871.81913.3.2024

Rz 5714
Wird das Gebäude (der Gebäudeteil) innerhalb von fünf Jahren (60 Monaten) nach Aufgabe des Betriebes durch den Steuerpflichtigen oder einen unentgeltlichen Rechtsnachfolger (Erbe, Geschenknehmer) veräußert, kommt es zur Nacherfassung der bisher unversteuerten stillen Reserven beim Steuerpflichtigen oder seinem/n Erben. Die Veräußerung gilt als rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 295a BAO, das die Steuerfestsetzung im Wege der Abänderung des Bescheides des Aufgabejahres nach sich zieht, wobei die nacherfasste stille Reserve zum (begünstigten) Aufgabegewinn gehört.

Der Eintritt des rückwirkenden Ereignisses ist dem zuständigen Finanzamt vom Steuerpflichtigen anzuzeigen, wenn das rückwirkende Ereignis in der Begründung des Bescheides angeführt ist (§ 120 Abs. 3 BAO). Nachversteuert wird maximal jene steuerfrei belassene stille Reserve, die durch die nachfolgende Veräußerung tatsächlich realisiert worden ist. Sollte es daher zwischen der Betriebsaufgabe und der tatsächlichen Veräußerung des Gebäudes zu einer Wertminderung des Gebäudes kommen, reduziert diese die Bemessungsgrundlage bis maximal null (= bei Verkauf zum seinerzeitigen Restbuchwert, aber auch darunter).

Bei Betriebsaufgaben ist zu unterscheiden:

Betriebsaufgabe vor dem 1.4.2012:

Die Nachversteuerung der steuerfrei gebliebenen stillen Reserven erfolgt zum Tarif des Jahres der Betriebsaufgabe.

Sind nachträgliche Wertsteigerungen eingetreten, sind diese bei Veräußerungen vor dem 1.4.2012 nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 30 EStG 1988 idF vor dem 1. StabG 2012 als Spekulationseinkünfte zu erfassen. Bei Veräußerung nach dem 31.3.2012 liegen Einkünfte aus privaten Grundstücksveräußerungen vor. Als Anschaffungskosten gilt in diesem Fall der (bereits nach § 24 Abs. 6 EStG 1988 nacherfasste) gemeine Wert im Zeitpunkt der Betriebsaufgabe.

Betriebsaufgabe nach dem 31.3.2012:

Die Nachversteuerung der steuerfrei gebliebenen stillen Reserven erfolgt zum besonderen Steuersatz.

Sind nachträgliche Wertsteigerungen eingetreten, sind diese als Einkünfte aus privaten Grundstücksveräußerungen zu erfassen.

Als Anschaffungskosten gilt in diesem Fall der (bereits nach § 24 Abs. 6 EStG 1988 nacherfasste) gemeine Wert im Zeitpunkt der Betriebsaufgabe.

Wird im Veräußerungsfall ein unter dem Buchwert im Zeitpunkt der Betriebsaufgabe liegender Veräußerungserlös erzielt, gilt als Anschaffungskosten der Buchwert im Zeitpunkt der Betriebsaufgabe. Im Zeitpunkt der Veräußerung kommt es somit zu einem Verlust aus privaten Grundstücksveräußerungen.

Beispiel:

Buchwert

100

100

100

gemeiner Wert bei Betriebsaufgabe

180

180

180

Stille Reserve

80

80

80

Späterer Veräußerungserlös

150

200

90

Nachzuversteuern sind

50

80

0

Einkünfte gemäß § 30 EStG 1988

0

20

-10

Rz 5714a
Wird das Gebäude nach Ablauf der fünfjährigen Nachversteuerungsfrist veräußert, gilt als Anschaffungskosten ebenfalls der gemeine Wert inklusive der nunmehr unversteuerten stillen Reserven zum Zeitpunkt der Betriebsaufgabe. Es kommt somit nur zur Erfassung der über diese unversteuerten stillen Reserven hinausgehenden Wertsteigerung.

Beispiel:

Buchwert

100

100

100

gemeiner Wert bei Betriebsaufgabe

180

180

180

Stille Reserve

80

80

80

Späterer Veräußerungserlös nach mehr als 5 Jahren

150

200

90

Nachzuversteuern sind

0

0

0

Einkünfte gemäß § 30 EStG 1988

0

20

-10

Rz 5714b
Im Falle der Betriebsaufgabe vor dem 31.3.2012 kann es dazu kommen, dass das nunmehr im Privatvermögen befindliche Gebäude zum 31.3.2012 nicht steuerverfangen war. Daher ist im Falle der späteren Veräußerung die pauschale Einkünfteermittlung nach § 30 Abs. 4 EStG 1988 anzuwenden. Unabhängig davon, ob die Veräußerung innerhalb oder außerhalb der fünfjährigen Nachversteuerungsfrist nach § 24 Abs. 6 EStG 1988 erfolgt, können die Einkünfte pauschal nach § 30 Abs. 4 EStG 1988 ermittelt werden. Ein allfälliger Verlust kann sich allerdings nur bei Anwendung des § 30 Abs. 3 EStG 1988 ergeben.

Daneben ist im Falle der Nachversteuerung nach § 24 Abs. 6 EStG 1988 auch der Nachversteuerungsbetrag (die stillen Reserven zum Zeitpunkt der Betriebsaufgabe) zu berücksichtigen. Übersteigt der Aufgabewert des Gebäudes die pauschalen Anschaffungskosten nach § 30 Abs. 4 EStG 1988, können die pauschal ermittelten Einkünfte nicht um diesen Differenzbetrag gekürzt werden; eine Doppelerfassung von stillen Reserven kann allerdings durch eine Einkünfteermittlung nach den allgemeinen Grundsätzen vermieden werden.

Dieselben Grundsätze gelten auch für den Fall, dass die Veräußerung außerhalb der fünfjährigen Nachversteuerungsfrist erfolgt.

Beispiel 1:

Ein im Jahr 1990 angeschafftes Betriebsgebäude dient dem Stpfl auch als Hauptwohnsitz. Der Betrieb wird zum 31.12.2011 aufgegeben. Die auf den betrieblich genutzten Gebäudeteil entfallenden stillen Reserven von 80.000 Euro (Buchwert 70.000 Euro/Aufgabewert 150.000 Euro) werden gemäß § 24 Abs. 6 EStG 1988 nicht erfasst.

Im Jahr 2015 wird das Gebäude um 180.000 Euro veräußert.

Die stillen Reserven in Höhe von 80.000 Euro sind gemäß § 24 Abs. 6 EStG 1988 über § 295a BAO im Aufgabejahr nachzuerfassen.

Im Jahr der Veräußerung sind hinsichtlich des den Aufgabegewinn übersteigenden Veräußerungserlöses Einkünfte gemäß § 30 EStG 1988 zu erfassen. Da es sich hier um ein Altgebäude handelt, sind die Einkünfte nach § 30 Abs. 4 EStG 1988 pauschal zu ermitteln. Wird von keiner Umwidmung ausgegangen, betragen die pauschalen Anschaffungskosten 154.800 Euro (180.000*0,86). Diese übersteigen den Aufgabewert, es kommt daher zu keiner Doppelerfassung.

Beispiel 2:

Bei identem Sachverhalt wird das Gebäude um 170.000 Euro veräußert.

In diesem Fall betragen die gemäß § 30 Abs. 4 EStG 1988 ermittelten pauschalen Anschaffungskosten 146.200 Euro (170.000*0,86). Eine Doppelerfassung von stillen Reserven in Höhe von 3.800 Euro kann nur durch die Ermittlung der Einkünfte nach § 30 EStG 1988 an Hand der tatsächlichen Verhältnisse (§ 30 Abs. 3 EStG 1988) verhindert werden. Bei der Ermittlung der Einkünfte nach § 30 Abs. 3 EStG 1988 ist der Aufgabewert vom Veräußerungserlös in Abzug zu bringen. Der Saldo in Höhe von 20.000 Euro ist sodann nach § 30 EStG 1988 zu erfassen.

Beispiel 3:

Bei identem Sachverhalt wird das Gebäude um 170.000 Euro im Jahr 2018 veräußert. Es kommt zu keiner Nachversteuerung nach § 24 Abs. 6 EStG 1988. Im Falle der pauschalen Einkünfteermittlung nach § 30 Abs. 4 EStG 1988 käme es aber zu einer teilweisen Nacherfassung der gemäß § 24 Abs. 6 EStG 1988 endgültig steuerfreien stillen Reserven in Höhe von 3.800 Euro. Dies kann nur verhindert werden, in dem die Einkünfte gemäß § 30 EStG 1988 an Hand der tatsächlichen Verhältnisse ermittelt werden. Auch in diesem Fall ist der Aufgabewert vom Veräußerungserlös in Abzug zu bringen und nur die nach der Betriebsaufgabe eingetretene Wertsteigerung von 20.000 Euro zu versteuern.

Rz 5714c
Die Nachversteuerung von nach § 24 Abs. 6 EStG 1988 steuerfrei gebliebenen stillen Reserven ist auch dann vorzunehmen, wenn die Voraussetzungen der Hauptwohnsitzbefreiung nach § 30 Abs. 2 Z 1 EStG 1988 im Zeitpunkt der Veräußerung des Gebäudes erfüllt sind.

Beispiel:

Ein Gebäude wird von einem Steuerpflichtigen seit der Anschaffung als Hauptwohnsitz genutzt. Das Gebäude besteht aus zwei "Wohnungen", wobei die zweite "Wohnung" für betriebliche Zwecke genutzt wird und 30% der Gesamtfläche ausmacht. Es liegt daher ein Eigenheim im Sinne des § 18 Abs. 1 Z 3 lit. b EStG 1988 vor.

Im Zuge der Betriebsaufgabe bleiben die auf den betrieblich genutzten Teil des Gebäudes entfallenden stillen Reserven in Höhe gemäß § 24 Abs. 6 EStG 1988 steuerfrei.

Zwei Jahre nach der Betriebsaufgabe wird das Gebäude veräußert. Grundsätzlich liegen Einkünfte nach § 30 EStG 1988 vor, doch weil es sich um ein Eigenheim handelt und auch die übrigen Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 Z 2 EStG 1988 erfüllt sind, kommt die Hauptwohnsitzbefreiung zur Anwendung. Ungeachtet der Hauptwohnsitzbefreiung sind allerdings die zum Zeitpunkt der Betriebsaufgabe auf den betrieblich genutzten Teil des Gebäudes entfallenden stillen Reserven nach § 24 Abs. 6 EStG 1988 nachzuversteuern.

Rz 5715
Rechtslage für Betriebsaufgaben vor dem 1.4.2012:

Die Einkünfte aufgrund der Nachversteuerung sind - gemäß § 295a BAO als rückwirkendes Ereignis - im Aufgabejahr anzusetzen. Der Hälftesteuersatz des § 37 Abs. 5 EStG 1988 kommt nur dann zur Anwendung, wenn auch für den restlichen Aufgabegewinn die Voraussetzungen nach § 37 Abs. 5 EStG 1988 vorgelegen sind (Antragstellung, Ablauf der Siebenjahresfrist seit der Betriebseröffnung oder dem letzten entgeltlichen Erwerbsvorgang). Hat der Steuerpflichtige für den (restlichen) Aufgabegewinn die Dreijahresverteilung nach § 37 Abs. 2 Z 1 EStG 1988 beansprucht, kann der nachzuversteuernde Betrag in die Dreijahresverteilung eingebunden oder das Wahlrecht für den gesamten Aufgabegewinn neu ausgeübt werden. Die ex-nunc-Nachversteuerung in Zehntelbeträgen bei gleichzeitiger Anwendung des Hälftesteuersatzes (siehe Fassung bis zur Veranlagung 2004) ist nur in Übergangsfällen ohne Option auf die neue Rechtslage möglich.

Rechtslage für Betriebsaufgaben nach dem 31.3.2012:

Die Einkünfte aufgrund der Nachversteuerung sind - gemäß § 295a BAO als rückwirkendes Ereignis - im Aufgabejahr anzusetzen. Wurde im Rahmen der Veranlagung des Aufgabejahres nicht von der Regelbesteuerungsoption Gebrauch gemacht, kommt der besondere Steuersatz gemäß § 30a Abs. 1 EStG 1988 zur Anwendung. Die Regelbesteuerungsoption kann aber auch im Rahmen des § 295a BAO für das Aufgabejahr erstmals ausgeübt oder widerrufen werden.

Rz 5716
Wird das Gebäude nach der Betriebsaufgabe vom Steuerpflichtigen unter Lebenden unentgeltlich übertragen und vom Geschenknehmer innerhalb von fünf Jahren nach der Betriebsaufgabe des Geschenkgebers veräußert, kommt es zur Nacherfassung der bisher unversteuerten stillen Reserven im Jahr der Betriebsaufgabe beim Geschenkgeber bzw. dessen Erben als Gesamtrechtsnachfolger des Geschenkgebers.

Rz 5717
Wurde ein Nachversteuerungstatbestand verwirklicht, kann dieser nicht durch rückwirkende Vereinbarungen beseitigt werden (VwGH 22.9.1999, 99/15/0109).

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