6.9.1 Negatives Wirtschaftsgut
Eine Verpflichtung kann im bilanzrechtlichen Sinn erst dann als Verbindlichkeit angesehen werden, wenn es sich dabei um ein negatives Wirtschaftsgut handelt. Die Verpflichtung muss, um als Verbindlichkeit angesehen zu werden, sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach feststehen; der Zeitpunkt der Passivierung ist von der Fälligkeit unabhängig (VwGH 11.12.1964, 2334/63).6.9.2 Einzelfälle
6.9.3 Bewertung
6.9.3.1 Verfügungsbetrag und Rückzahlungsbetrag
Verbindlichkeiten sind in aller Regel wie Umlaufvermögen zu behandeln. Sie sind daher gemäß § 6 Z 3 EStG 1988 unter sinngemäßer Anwendung des § 6 Z 2 lit. a EStG 1988 mit den Anschaffungskosten zu bewerten; als Anschaffungskosten ist der Rückzahlungsbetrag anzusetzen, den der Steuerpflichtige beim Eingehen der Schuld schuldig geworden ist (VwGH 23.11.1994, 91/13/0111; VwGH 24.5.1993, 92/15/0041). IdR stimmt dieser Betrag mit dem Verfügungsbetrag (Betrag, der dem Schuldner zugeflossen ist) überein. Ist bei einer Verbindlichkeit der Rückzahlungsbetrag höher als der Verfügungsbetrag (zB Disagio, Damnum) oder sind Geldbeschaffungskosten angefallen, so ist nach § 6 Z 3 EStG 1988 zwingend ein Aktivposten anzusetzen, der auf die Laufzeit der Verbindlichkeit verteilt abzuschreiben ist (siehe Abschnitt 6.9.7). Der Ansatz geht als zwingende steuerliche Aktivierung dem - für Wirtschaftsjahre vor 2016 geltenden -UGB-bilanziellen Wahlrecht zur Aktivierung des Disagios/Damnums gemäß § 198 Abs. 7 UGB idF vor dem RÄG 2014 vor (VwGH 10.12.1985, 85/14/0078). Für Wirtschaftsjahre ab 2016 ist das Disagio/Damnum auch unternehmensrechtlich zwingend zu aktivieren (§ 198 Abs. 7 UGB idF RÄG 2014).Verbindlichkeiten, denen kein Anschaffungsvorgang zu Grunde liegt (zB Bereicherungsansprüche oder Schadenersatzansprüche Dritter), sind ebenfalls mit dem Nennbetrag auszuweisen.Solange nicht feststeht, dass eine Schuld ganz oder teilweise erloschen ist, muss sie mindestens mit dem Betrag bewertet werden, den der Steuerpflichtige beim Eingehen der Schuld schuldig geworden ist (VwGH 30.10.1953, 0690/51; VwGH 24.11.1961, 1295/59; VwGH 10.12.1985, 85/14/0078; VwGH 18.10.1988, 88/13/0198; VwGH 24.5.1993, 92/15/0041). Der Ansatz des niedrigeren Teilwertes ist solange unzulässig, als nicht einwandfrei feststeht, dass die Verbindlichkeit ganz oder teilweise erloschen ist. Dabei kann es nicht darauf ankommen, ob eine Schuld iSd § 156 Abs. 1 und § 156a IO zunächst teilweise erlischt und mit ihrem (allenfalls aliquoten) Wiederaufleben nur für den Fall der ganzen oder teilweisen Nichterfüllung des Sanierungsplanes gerechnet werden muss, sondern darauf, ob der Unternehmer zum Bilanzstichtag, allenfalls mit seinen bis zum Tag der Erstellung der Bilanz gewonnenen Erkenntnissen mit Sicherheit damit rechnen kann, dass die Verbindlichkeit nicht mehr zur Gänze abzustatten sein wird (VwGH 21.4.1970, 1527/69).6.9.3.2 Ansatz des Teilwertes
Ist der Teilwert einer Verbindlichkeit gestiegen, so kann bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG 1988 der höhere Teilwert angesetzt werden. Bei der Gewinnermittlung gemäß § 5 Abs. 1 EStG 1988 muss im Hinblick auf § 211 Abs. 1 in Verbindung mit § 201 Abs. 2 Z 4 UGB Teilwert (Erfüllungsbetrag) im Jahr der Entstehung angesetzt werden (so Höchstwertprinzip; zum Fall einer erneuten "Werterholung" siehe Rz 2440). Ein höherer Wert der Verbindlichkeit kann sich vor allem aus einer Wertsicherung, bei Verbindlichkeiten in ausländischer Währung aus Kurssteigerungen sowie bei besonders hoch verzinslichen Verbindlichkeiten ergeben.Ist der Teilwert unter den Rückzahlungsbetrag gesunken, dann darf der niedrigere Betrag nicht angesetzt werden, um den Ausweis nicht realisierter Gewinne zu vermeiden (VwGH 23.11.1994, 91/13/0111).Sinkt der Teilwert der Verbindlichkeit, nachdem ein höherer Teilwert (nicht verwirklichter Verlust) ausgewiesen wurde, besteht im Rahmen der Gewinnermittlung gemäß § 4 Abs. 1 EStG 1988 das Recht, nicht aber eine Verpflichtung, den nunmehr wieder gesunkenen Teilwert - jedenfalls begrenzt durch die ursprünglichen Anschaffungskosten - anzusetzen; siehe Rz 2143 ff. Für Wirtschaftsjahre vor 2016 gilt dieses Wahlrecht auch im Rahmen der Gewinnermittlung gemäß § 5 Abs. 1 EStG 1988.Für Wirtschaftsjahre ab 2016 ist im Rahmen der Gewinnermittlung gemäß § 5 Abs. 1 EStG 1988 der niedrigere Teilwert von Verbindlichkeiten (zB bei Fremdwährungsverbindlichkeiten) zwingend anzusetzen.
Ausweis einer Verbindlichkeit
Maßgeblich für den Ausweis von Verbindlichkeiten ist das wirtschaftliche Bestehen einer konkreten Belastung (Last), wie zB die Verpflichtung eines Gastwirtes, bestimmte Produkte einer Brauerei gegen Verzicht auf sonst übliche Rabatte anzukaufen (VwGH 29.9.1987, 87/14/0086; VwGH 16.3.1989, 88/14/0055) oder die Verpflichtung zur Gebrauchsüberlassung im Falle einer Forderungsveräußerung. Eine Verbindlichkeit ist in jenem Zeitpunkt zu passivieren, in dem die betreffende Belastung dem Grunde nach auftritt (VwGH 2.6.1976, 1667/75). Auf den Zeitpunkt der Fälligkeit bzw. der Rechnungslegung kommt es dabei nicht an (VwGH 11.12.1964, 2334/63). Bei Warenlieferungen ist das der Zeitpunkt der Lieferung (Verschaffung des wirtschaftlichen Eigentums).Verbindlichkeiten auf Grund einer Haftung
Verbindlichkeiten auf Grund einer Haftung sind zu passivieren, sobald mit der Inanspruchnahme gerechnet werden muss; dasselbe gilt für eine Verpflichtung aus einer übernommenen Bürgschaft (VwGH 2.6.1976, 1667/75; die Abgrenzung zur Rückstellung ist fließend, vgl. VwGH 13.9.1988, 87/14/0132); ein etwaiger Rückforderungsanspruch ist zu aktivieren.Verjährte Verbindlichkeit
Eine verjährte Schuld ist weiterhin bilanziell als solche auszuweisen, wenn der Steuerpflichtige zB aus geschäftlichen Rücksichten von einer möglichen Verjährungseinrede nicht Gebrauch machen will (VwGH 21.12.1971, 0285/69; VwGH 18.10.1989, 88/13/0198). Diese Absicht von einer möglichen Verjährungseinrede nicht Gebrauch machen zu wollen, muss aus dem Verhalten des Steuerpflichtigen erkennbar sein (VwGH 18.10.1989, 88/13/0198). Der Wille, die verjährte Schuld nicht mehr zu tilgen, manifestiert sich erst durch die entsprechende Ausbuchung im Rechenwerk gegenüber der Außenwelt (VwGH 18.10.1989, 88/13/0198). Eine verjährte Schuld ist abzuschreiben, sobald Gewissheit besteht, dass von der Verjährungseinrede Gebrauch gemacht wird, und der Verjährungsgegner keinen Unterbrechungstatbestand geltend machen kann (VwGH 1.12.1992, 92/14/0148).Sind Nachteile in den Geschäftsbeziehungen zum Gläubiger oder eine Schädigung des wirtschaftlichen Rufs des Schuldners zu befürchten, dann kann die Verbindlichkeit trotz Verjährung weiterhin ausgewiesen bleiben. Die bloße Erwartung eines späteren Schuldnachlasses rechtfertigt keine niedere Bewertung (VwGH 27.4.1962, 1464/60).Andererseits sind formal noch bestehende und noch nicht verjährte Verbindlichkeiten nicht mehr zu bilanzieren, wenn sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr erfüllt werden müssen (VwGH 27.9.2000, 96/14/0141).