EAS 3371
Unterhält ein in Österreich ansässiger, selbständig tätiger Rechtsanwalt - gemeinsam mit zwei weiteren Rechtsanwälten - in Liechtenstein eine Rechtsanwaltskanzlei (FL-Kanzlei), in der die steuerlich relevanten Anwaltsfunktionen des österreichischen Anwalts auch tatsächlich ausgeübt werden (Funktionsanalyse), und wird in Erweiterung der FL-Kanzlei eine schweizerische Rechtsanwaltsgesellschaft in Form einer AG (CH-AG) gegründet sowie die Beteiligung an einer liechtensteinischen Anstalt erworben, so ist es zwar nicht grundsätzlich auszuschließen, dass diese Anteile an der CH-AG bzw an der liechtensteinischen Anstalt der FL-Kanzlei zugerechnet werden. Dabei käme es im Wesentlichen darauf an, ob diese Anteile Teile des Betriebsvermögens der FL-Kanzlei darstellen oder auf andere Weise tatsächlich zu dieser gehören (vgl. dazu sinngemäß OECD-MK zu Art 10 Rz 31; Philipp/Loukota/Jirousek, Internationales Steuerrecht I/1, Z 10, Tz 10-151). Im vorliegenden Fall liegt allerdings kein Fall des den zuvor angeführten Fundstellen zugrunde liegenden Betriebstättenvorbehalts vor. Zum einem ist der Betriebstättenvorbehalt auf Grund des Wortlauts von Art. 10 Abs. 4 DBA-Liechtenstein nur auf den Anwendungsbereich des Art. 7 beschränkt und bezieht daher unter Art. 14 fallende Einkünfte nicht ein. Zum anderen wäre selbst bei Anwendung des Betriebstättenvorbehalts auf unter Art. 14 fallende Einkünfte die Anwendung dieser Bestimmung auf die aus der Beteiligung an der CH-AG resultierenden Dividenden schon deshalb verwehrt, weil in Bezug auf diese Einkünfte die ausschüttende Gesellschaft in einem Drittstaat (nämlich der Schweiz) ansässig ist. Damit liegt für beide Arten von Gesellschaftsanteilen ein unmittelbarer Anwendungsfall von Art. 14 DBA-Liechtenstein vor. Damit tritt jedoch derselbe Effekt ein, der im Anwendungsfall des Art. 10 durch den Betriebstättenvorbehalt herbeigeführt wird, demzufolge dem Betriebstättenstaat das uneingeschränkte Besteuerungsrecht an sämtlichen Betriebstätteneinnahmen zusteht (vgl. Philipp/Loukota/Jirousek, Internationales Steuerrecht I/1, Tz 10-153).
Die Kongruenz des Inhalts der Verteilungsnormen des Art. 7 und des Art. 14 bewirkt, dass auch der in Art. 7 Abs. 2 iVm Abs. 3 des OECD-MA in der bis 2000 geltenden Fassung vorgesehene Fremdvergleichsgrundsatz für die Gewinnzuordnung an feste Einrichtungen anzuwenden ist, obgleich dem Abs. 2 und 3 des Art. 7 gleichartige Normen in Art. 14 nicht eigens aufgenommen worden sind (vgl. Philipp/Loukota/Jirousek, Internationales Steuerrecht I/1, Tz 14-110, sowie Abs. 3 des OECD-Kommentars zu Art. 14 OECD-MA idF vor dem Update 2000). Daher findet nach Ansicht des BMF auch der "authorized OECD approach" (AOA) in dem Umfang, in dem er für die Betriebstättengewinnzuordnung als maßgeblich erklärt worden ist, auf Art. 14 Anwendung (vgl. Philipp/Loukota/Jirousek, Internationales Steuerrecht I/1, Tz 14-111, sowie Abs. 8 des OECD-Kommentars zu Art. 7 OECD-MA idF vor dem Update 2000).
Für die Zuordnung von Wirtschaftsgütern zum Betriebsvermögen einer Betriebstätte ist gemäß AOA das "wirtschaftliche Eigentum" maßgebend (AOA I/107). Das wirtschaftliche Eigentum kommt jenem Unternehmensteil zu, bei dem die Wirtschaftsgüter bei der Funktionsausübung aus wirtschaftlicher Sicht gesehen zum Einsatz gelangen (AOA I/101). Daraus folgt, dass für Belange der internationalen Gewinnzurechnung regelmäßig nur "notwendiges Betriebsvermögen", nicht aber "gewillkürtes Betriebsvermögen" einer Betriebstätte zurechenbar ist (VPR 2010 Rz 189). Auch Kapitalbeteiligungen können daher einer Betriebstätte nur zugerechnet werden, wenn sie funktional der Ausübung der operativen Tätigkeit der Betriebstätte dienen (in diesem Sinne auch BFH 30.8.1995, I R 112/94, BStBl II 1996, 563). Sie müssten Grundlage von wesentlichen Funktionen ("significant people functions") sein, zu denen auch das gesamte Risikomanagement zählt (AOA I/125). Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn die Kapitalbeteiligung zum "notwendigen Betriebsvermögen" der Betriebstätte zu zählen ist; der bloße Umstand, dass eine Beteiligung als gewillkürtes Betriebsvermögen in die Bücher der ausländischen Personengesellschaft aufgenommen worden ist, reicht hierfür aber nicht aus (VPR 2010 Rz 190 unter Hinweis auf EAS 3018). Ob dies im vorliegenden Fall tatsächlich der Fall ist, kann nicht im ministeriellen EAS-Verfahren geklärt werden.
Darüber hinaus wird im gegebenen Zusammenhang darauf hingewiesen, dass Abkommensvorteile - hier konkret jene des DBA Liechtenstein - nicht zu gewähren sind, wenn nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls davon auszugehen ist, dass die beschriebene Gestaltung vorrangig auf die Erlangung dieser Abkommensvorteile gerichtet war. Dies würde andernfalls dem Sinn und Zweck des Abkommens widersprechen, der nicht darin gelegen ist, bloß eine vorteilhaftere steuerliche Behandlung zu erlangen (vgl. Abs. 1 des Kommentars zu Artikel X Abs. 7 (ENTITLEMENT TO BENEFITS) in Preventing the Granting of Treaty Benefits in Inappropriate Circumstances, Action 6 - 2015 Final Report, OECD 2015, Section A - 55. Diese Kommentarstelle verweist auf Kommentarstellen zu Art. 1 OECD-MA, die bereits vor dem BEPS-Update Bestandteil dieses Kommentars waren und kann daher auch schon auf Abkommen, die vor 2015 abgeschlossen wurden, grundsätzlich Anwendung finden.).
Bundesministerium für Finanzen, 13. Juni 2016
Zusatzinformationen | |
---|---|
Materie: | Steuer |
betroffene Normen: | Art. 10 DBA FL (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Liechtenstein (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. Nr. 24/1971 |
Schlagworte: | Betriebstättenvorbehalt, Dividenden, feste Einrichtung, Gewinnzuordnung, authorized OECD approach, AOA, significant people functions, Abkommensvorteile, entitlement to benefits, Funktionsanalyse, wirtschaftliches Eigentum, notwendiges Betriebsvermögen, gewillkürtes Betriebsvermögen, BEPS |
Verweise: | EAS 3018 |