Normen
FrPolG 2005 §38 Abs1;
FrPolG 2005 §38 Abs3;
SPG 1991 §88;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §38 Abs1;
FrPolG 2005 §38 Abs3;
SPG 1991 §88;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von 1.346,40 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist russischer Staatsangehöriger und gehört der tschetschenischen Volksgruppe an. Gemäß seinen Angaben reiste er am 5. März 2009 nach Österreich ein und stellte hier (erstmals) einen Antrag auf internationalen Schutz.
Im Zuge dessen wurde sein Reisepass gemäß § 38 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG vorläufig sichergestellt und in der Folge an die Bezirkshauptmannschaft V (BH) übermittelt.
Nach rechtskräftiger Zurückweisung des genannten Antrags sowie eines Folgeantrags - jeweils in Verbindung mit einer Ausweisung nach Polen - beantragte der rechtsanwaltlich vertretene Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 27. Oktober 2009 bei der BH die Ausfolgung seines Reisepasses; er sei mittlerweile aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgereist, weshalb die Rechtsgrundlage für die Einbehaltung des Reisepasses weggefallen sei; dieser möge daher an die Rechtsvertreter ausgefolgt werden.
Die BH kam diesem Antrag nicht nach, woraufhin der Beschwerdeführer beim Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich eine insbesondere auf § 88 SPG gestützte Beschwerde erhob. Diese Administrativbeschwerde blieb erfolgslos.
Mit Beschluss vom 29. September 2011, Zl. 2010/21/0111, lehnte der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde ab. Im Ablehnungsbeschluss verwies er auf den Grundsatz der Subsidiarität der Beschwerdemöglichkeiten nach § 88 SPG und die Pflicht der Fremdenpolizeibehörde, über einen Ausfolgeantrag (so sie ihm nicht stattgibt) mit Bescheid abzusprechen.
Die BH folgte den Reisepass nicht aus und entschied auch (weiterhin) nicht über den Ausfolgeantrag des Beschwerdeführers. Mit dem im Devolutionsweg ergangenen Bescheid vom 21. Mai 2013 wies die Bundesministerin für Inneres (die belangte Behörde) dann aber den Antrag des Beschwerdeführers auf Ausfolgung seines Reisepasses "mangels Antragslegitimation" als unzulässig zurück. Nach Darstellung des Verfahrensganges und Wiedergabe der §§ 6, 8, 13 sowie 73 AVG wurde das wie folgt begründet:
"Sie stellten einen Antrag auf Ausfolgung des sichergestellten Reisepasses. Sollten die rechtlichen Gründe für eine Sicherstellung nicht mehr vorliegen, sind die Sicherstellung aufzuheben und der Reisepass auszufolgen. Liegen die Gründe für eine Sicherstellung weiterhin vor, ist, obgleich die Sicherstellung nicht aufzuheben ist, dennoch über den Antrag abzusprechen. Seitens des Gesetzgebers wurde kein Antragsrecht auf Ausfolgung eines sichergestellten Reisepasses eingeräumt und ist daher ihr Antrag als unzulässig zurückzuweisen (so auch VwGH vom 29.09.2011, 2010/21/0111-6).
Daher war Ihr Antrag auf Ausfolgung des Reisepasses mangels Antragslegitimation als unzulässig zurückzuweisen."
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde, wozu der Beschwerdeführer eine Replik erstattete, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Der Reisepass des Beschwerdeführers wurde gemäß § 38 Abs. 1 FPG vorläufig sichergestellt. Wie mit vorläufig sichergestellten Dokumenten weiter zu Verfahren ist, ist in § 38 Abs. 3 FPG geregelt. Dort heißt es:
"(3) Über die Sicherstellung von Beweismitteln ist dem Betroffenen eine schriftliche Bestätigung auszufolgen; die Beweismittel sind der Fremdenpolizeibehörde zu übergeben und von dieser, sobald sie nicht mehr für Verfahren oder für eine Abschiebung, Durchbeförderung, Zurückschiebung oder Zurückweisung nach diesem Bundesgesetz oder dem AsylG 2005 benötigt werden, dem Betroffenen zurückzustellen, es sei denn, sie wären nach einem anderen Bundesgesetz sicherzustellen."
Benötigt die Fremdenpolizeibehörde "die Beweismittel", worunter insbesondere Dokumente zu verstehen sind, nicht mehr, so hat sie diese also dem Betroffenen zurückzustellen. Mit dieser behördlichen Verpflichtung korrespondiert eine entsprechende Berechtigung des Betroffenen, was aus seinem konkreten Interesse am Erhalt bzw. Besitz seiner Dokumente resultiert. Ist für die Festlegung behördlicher Pflichten das Interesse individualisierbarer Personen ausschlaggebend, so ist nämlich davon auszugehen, dass diesen Personen eine Berechtigung eingeräumt wird (vgl. auch Thienel/Schulev-Steindl, Verwaltungsverfahrensrecht5 (2009), 92 in Anlehnung an VwSlg 9151 A/1976). Das zieht die Parteistellung bzw. die Befugnis zur Rechtsverfolgung nach sich (vgl. zum Ganzen auch Hengstschläger/Leeb, AVG § 8 Rz 6 mit Bezug auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes).
Die Konsequenz ist, dass einem Fremden, der die Ausfolgung seiner Dokumente begehrt, nicht entgegengehalten werden kann, ihm komme keine Antragslegitimation zu. Das hat der Verwaltungsgerichtshof schon in seinem zuvor genannten Ablehnungsbeschluss zum Ausdruck gebracht, in dem er auf die Pflicht der Fremdenpolizeibehörde, über einen Ausfolgeantrag (so sie ihm nicht stattgibt) mit Bescheid abzusprechen, hingewiesen hat. Eine bloße Antragszurückweisung mangels Antragslegitimation, wie es der belangten Behörde offenkundig vorschwebt, war damit nicht gemeint; andernfalls hätte auch der diesem Hinweis vorangestellte Grundsatz der Subsidiarität der Beschwerdemöglichkeiten nach § 88 SPG keinen Sinn gemacht.
Für den vorliegenden Fall bedeutet das, dass der Ausfolgeantrag des Beschwerdeführers nicht mangels Antragslegitimation hätte zurückgewiesen werden dürfen. Ob der Antrag berechtigt war, ist hier nicht entscheidend. Auch eine allenfalls fehlende Berechtigung nimmt jedenfalls, anders als von der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift zum Ausdruck gebracht, nicht die Antragslegitimation.
Die auf das Fehlen der Antragslegitimation gestützte Zurückweisung des Ausfolgeantrages des Beschwerdeführers erweist sich mithin als verfehlt.
Der bekämpfte Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Von der Durchführung der beantragen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.
Der Spruch über den Aufwandsatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 17. Oktober 2013
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