VwGH 2013/21/0064

VwGH2013/21/00642.8.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des OM in B, vertreten durch Dr. Benno Wageneder, Rechtsanwalt in 4910 Ried/Innkreis, Promenade 3, gegen den Bescheid der Österreichischen Botschaft Beirut vom 11. März 2013, betreffend Visum, zu Recht erkannt:

Normen

32009R0810 Visakodex Art32 Abs1 litb;
32009R0810 Visakodex Art32 Abs2;
EURallg;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;
32009R0810 Visakodex Art32 Abs1 litb;
32009R0810 Visakodex Art32 Abs2;
EURallg;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein libanesischer Staatsangehöriger, stellte am 7. Februar 2013 bei der Österreichischen Botschaft Beirut (der belangten Behörde) den formularmäßigen Antrag auf Erteilung eines "Schengen-Visums" für die Dauer von 60 Tagen. Als einladende Person wurde seine österreichisch Ehefrau, als Zweck der Reise "Besuch von Familienangehörigen oder Freunden" angegeben.

Die belangte Behörde teilte dem Beschwerdeführer mit formularmäßiger Erledigung vom 7. März 2013 mit, dass keine weiteren Dokumente benötigt würden; eine Prüfung habe aber ergeben, dass dem Antrag gemäß den Bestimmungen des Visakodex (Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009) "bzw. des Österreichischen Fremdenpolizeigesetzes" nicht stattgegeben werden könne. Zur Begründung wurden die folgenden beiden Textbausteine angekreuzt:

"Die vorgelegten Informationen über den Zweck und die Bedingungen des beabsichtigten Aufenthalts waren nicht glaubhaft." und "Ihre Absicht, vor Ablauf des Visums aus dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten auszureisen, konnte nicht festgestellt werden."

Unter einem wurde dem Beschwerdeführer die Möglichkeit eingeräumt, innerhalb von sieben Kalendertagen eine abschließende Stellungnahme einzubringen.

In seiner Stellungnahme vom 20. März 2011 bestritt der Beschwerdeführer die ihm unterstellte Absicht, nach Ablauf der Gültigkeit des Visums nicht in seine Heimat zurückkehren zu wollen. Seine Ehefrau habe sich einer Knieoperation unterzogen und befinde sich in der Regenerationsphase. Sie tue sich nach wie vor mit dem Gehen schwer und brauche Unterstützung beim Einkaufen, bei der Grabpflege usw. Als Ehemann sei der Beschwerdeführer verpflichtet, ihr vorübergehend zu helfen, auch wenn er in der Zwischenzeit seinen Betrieb an einen Vertreter übergeben müsse. Seine Eltern seien bereits weit über achtzig und brauchten immer wieder seinen Beistand. Länger als ein paar Wochen werde er sie nicht allein lassen. Er sei bisher sein Leben lang im Libanon gewesen und "mit dem Land verwurzelt". Er sei kein junger Mann mehr, der auswandern wolle, um sein Glück in Westeuropa zu versuchen. Grundsätzlich habe er zumindest ein Recht darauf, seine österreichische Ehefrau als Tourist zu besuchen, wenn es schon kein Grundrecht darauf gebe, den gemeinsamen Lebensmittelpunkt in Österreich zu begründen. Im Übrigen würden sie sich strafbar machen, sollte der Beschwerdeführer nach Ablauf des Visums nicht freiwillig das Land verlassen.

In der Folge verweigerte die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid unter Verwendung des nach dem Visakodex dafür vorgesehenen Formulars das Visum. Zur Begründung waren folgende Textbausteine angekreuzt: "Die vorgelegten Informationen über den Zweck und die Bedingungen des beabsichtigten Aufenthalts waren nicht glaubhaft." und "Ihre Absicht, vor Ablauf des Visums aus dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten auszureisen, konnte nicht festgestellt werden.".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer bestreitet die mangelnde Wiederausreiseabsicht und weist - wie schon im Verwaltungsverfahren - auf seine Berufstätigkeit in seiner Heimat und die Notwendigkeit der Betreuung seiner betagten Eltern hin. Es dürfe nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass Fremde unter Missachtung der fremdenrechtlichen Vorschriften im Anschluss an die Gültigkeitsdauer eines Visums unrechtmäßig im Schengenraum aufhältig blieben.

Die belangte Behörde führt in der Gegenschrift aus, dass der Antrag des Beschwerdeführers "in Konsultation beim Bundesministerium für Inneres gebracht" worden sei. Laut Rückmeldung des Bundesministeriums für Inneres werde der Erteilung eines Visums nicht zugestimmt, weil erhebliche Bedenken hinsichtlich gesicherter Wiederausreise vorliegen würden und die Niederlassungsabsicht evident zu sein scheine. Nach abschließender Stellungnahme durch den Beschwerdeführer sei der Antrag mit 11. März 2013 abgelehnt worden.

Ein früherer Visumantrag vom 7. Juni 2010 sei abgelehnt worden, wobei die abgegebene Verpflichtungserklärung der nunmehrigen Ehefrau des Beschwerdeführers am 20. April 2010 widerrufen worden sei. Laut damaliger Mitteilung der Bezirkshauptmannschaft R. habe es sich um eine Internetbekanntschaft gehandelt.

Vom Beschwerdeführer werde vorgebracht, dass er am 3. September 2011 in Beirut die Ehe geschlossen habe, wobei seine Ehefrau in Beirut nicht persönlich anwesend gewesen sei, sondern einem Dritten Vollmacht für die Eheschließung erteilt habe.

Ein "Antrag auf Aufenthalt" habe bisher nicht gestellt werden können, weil der Beschwerdeführer zwei Mal die Deutschprüfung nicht bestanden habe.

Es seien - so die belangte Behörde weiter - sämtliche Verfahrensvorschriften gemäß Visakodex und Fremdenpolizeigesetz eingehalten worden. Ein Nachweis des "Besitzes einer Firma mit zwei Mitarbeitern" sei nicht beigebracht worden, sondern lediglich eine schriftliche Bestätigung, dass der Beschwerdeführer als Handwerker tätig sei. "Weder Eigentumsnachweis noch Registrierung einer Firma" hätten "belegt" werden können. Das behauptete jahrelange Bestehen eines Betriebes müsse in Zweifel gezogen werden, weil der Beschwerdeführer zumindest 2009 in Syrien gelebt und gearbeitet habe. Diese Zweifel hätten nicht ausgeräumt werden können. Auch die behauptete familiäre Verpflichtung im Libanon durch die Betreuung der Eltern sei nicht belegt worden. Dem Antragsteller sei die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt worden, wobei keinerlei weitere Nachweise beigebracht worden seien. Eines weiteren Ermittlungsverfahrens habe es nicht bedurft.

Mit diesen Ausführungen bezieht sich die belangte Behörde erkennbar auf die letzte Alternative des Art. 32 Abs. 1 lit. b Visakodex, wonach ein Visum dann zu verweigern ist, wenn begründete Zweifel an der vom Antragsteller bekundeten Absicht bestehen, das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vor Ablauf der Gültigkeit des beantragten Visums zu verlassen.

Zu diesem Verweigerungsgrund hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass nicht ohne weiteres - generell - unterstellt werden dürfe, dass Fremde unter Missachtung der fremdenrechtlichen Vorschriften im Anschluss an die Gültigkeitsdauer eines Visums weiterhin im Schengenraum (unrechtmäßig) aufhältig bleiben. Es wird daher konkreter Anhaltspunkte in diese Richtung bedürfen, und die Behörde kann die Versagung eines Visums nicht gleichsam mit einem "Generalverdacht" zu Lasten aller Fremden begründen. Regelmäßig wird daher, wenn nicht gegenteilige Indizien bekannt sind, davon auszugehen sein, dass der Fremde vor Ablauf der Gültigkeit des beantragten Visums wieder ausreisen wird (vgl. zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom 16. Mai 2013, Zl. 2012/21/0158, mwN).

Für Erledigungen der vorliegenden Art, mit denen über einen Visumantrag abgesprochen wird, bestehen dahin Begründungserleichterungen, dass das Ankreuzen von Textbausteinen in dem nach Art. 32 Abs. 2 iVm Anhang VI des Visakodex zu verwendenden Standardformular genügt, ohne dass es einer Bezugnahme auf den konkreten Fall oder ausdrücklicher Feststellungen bedarf, sofern der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt im Akt nachvollziehbar ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat aber in diesem Zusammenhang auch schon wiederholt darauf hingewiesen, dass vor der Abweisung des Visumantrages auch im Anwendungsbereich des Visakodex Gelegenheit zu einer Stellungnahme einzuräumen ist. Dazu wurde bereits judiziert, dass das bloße Ankreuzen des Textbausteines "Ihre Absicht, vor Ablauf des Visums aus dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten auszureisen, konnte nicht festgestellt werden." keinen ausreichenden Vorhalt darstellt; vielmehr sind die konkreten Umstände anzuführen, die beim Botschaftsorgan die Zweifel an der Wiederausreiseabsicht begründen. Nur wenn die aus der Sicht der Botschaft bestehenden Anhaltspunkte für den Verdacht eines Verbleibens in Österreich (bzw. im Schengenraum) über die Gültigkeitsdauer des Visums hinaus im Rahmen der Einräumung des Parteiengehörs konkret dargelegt werden, wird der Antragsteller nämlich in die Lage versetzt, aber dann auch verpflichtet, die sich daraus ergebenden Bedenken durch unter Beweis zu stellendes geeignetes Vorbringen zu zerstreuen. Einem in dieser Weise konkretisierten Vorhalt kommt vor dem Hintergrund der in Visaverfahren bestehenden Begründungserleichterung besondere Bedeutung zu (siehe zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 16. Mai 2013, Zl. 2012/21/0158, mwN).

Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist der belangten Behörde zunächst vorzuwerfen, dass sie einen ausreichend konkretisierten Vorhalt an den Beschwerdeführer unterlassen hat. Es wurden ihm insbesondere auch nicht die Nachweise für eine berufliche und familiäre Verankerung in seiner Heimat, deren Fehlen in der Gegenschrift bemängelt wird, abverlangt, sondern er erhielt - im Gegenteil - die Mitteilung, dass keine weiteren Dokumente benötigt würden.

Außerdem ergeben sich auch aus den vorgelegten Verwaltungsakten keine Anhaltspunkte, aus denen ohne weiteres auf eine fehlende Wiederausreiseabsicht geschlossen werden könnte. Zwar haben der Beschwerdeführer und seine Ehefrau in der Vergangenheit offenbar den Wunsch nach einer Familienzusammenführung in Österreich geäußert, aus Anlass der vorliegenden Antragstellung haben aber beide ausdrücklich erklärt, dass eine solche derzeit nicht beabsichtigt sei, und versichert, dass die Ausreise vor Ablauf der Gültigkeit des Visums erfolgen werde. Warum dies - auch unter Berücksichtigung der mit dem Antrag vorgelegten Reservierungsbestätigungen betreffend den Hin- und Rückflug (vgl. zu deren möglicher Relevanz etwa die Judikaturnachweise im hg. Erkenntnis vom 17. November 2011, Zl. 2010/21/0423) - als nicht glaubwürdig erachtet wurde, ist aktenmäßig nicht nachvollziehbar.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Wien, am 2. August 2013

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