VwGH 2013/21/0046

VwGH2013/21/004614.11.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des PL in L, vertreten durch Dr. Johanna Fischer, Rechtsanwältin in 4020 Linz, Roseggerstraße 58, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 12. Oktober 2012, Zl. VwSen-720285/23/BMa/Th, betreffend Aufenthaltsverbot (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §61 Z3;
FrPolG 2005 §64 Abs1 Z1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §64 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §67 Abs1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §67 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
StbG 1985 §10 Abs1;
VwGG §42 Abs3a;
VwRallg;
FrPolG 2005 §61 Z3;
FrPolG 2005 §64 Abs1 Z1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §64 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §67 Abs1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §67 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
StbG 1985 §10 Abs1;
VwGG §42 Abs3a;
VwRallg;

 

Spruch:

Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, dass in Stattgebung der gegen das erstinstanzliche Aufenthaltsverbot erhobenen Berufung dieses ersatzlos behoben wird.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der 1985 geborene Beschwerdeführer ist rumänischer Staatsangehöriger.

Mit Bescheid vom 18. November 2010 verhängte die Bundespolizeidirektion Linz (BPD) über ihn gemäß § 86 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein auf sieben Jahre befristetes Aufenthaltsverbot. Dem lag wiederholte Straffälligkeit des Beschwerdeführers zugrunde, was zu insgesamt elf rechtskräftigen Verurteilungen geführt habe.

Die BPD ging davon aus, dass der Beschwerdeführer seit Februar 1990 seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet habe und erstmals im März 2000 delinquent geworden sei. Im Sinn des Verfestigungstatbestandes des § 61 Z 3 FPG (in der Fassung vor dem FrÄG 2011) hätte dem Beschwerdeführer daher "vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes" die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) verliehen werden können. Der Heranziehung des genannten Aufenthaltsverbots-Verbotstatbestandes, der bei Verurteilung zu mindestens einer einjährigen unbedingten Freiheitsstrafe nicht zum Tragen komme, stehe jedoch entgegen, dass der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes Wels vom 6. Juli 2010 zu einer zehnmonatigen Freiheitsstrafe und danach mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 8. Oktober 2010 zu einer fünfmonatigen Freiheitsstrafe als Zusatzstrafe gemäß den §§ 31 und 40 StGB - unter Bedachtnahme auf das vorgenannte Urteil des Landesgerichtes Wels vom 6. Juli 2010 - verurteilt worden sei. Sohin sei von der Verhängung einer unbedingten Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Monaten auszugehen, weshalb sich die Verhängung des Aufenthaltsverbotes (auch) im Grunde des § 61 Z 3 FPG als zulässig erweise.

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich (die belangte Behörde) gab der dagegen erhobenen Berufung mit dem noch im Mai 2011 erlassenen Bescheid vom 10. Mai 2011 Folge und behob den dargestellten erstinstanzlichen Bescheid. Entgegen der Ansicht der BPD komme eine Zusammenrechnung der beiden in diesem Bescheid angeführten Freiheitsstrafen nicht in Betracht. Dem Aufenthaltsverbot stehe somit § 61 Z 3 FPG entgegen.

Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich erhob gegen diesen Bescheid Amtsbeschwerde. Mit Erkenntnis vom 14. Juni 2012, Zl. 2011/21/0153, gab der Verwaltungsgerichtshof dieser Beschwerde statt und behob den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Anders als von der belangten Behörde vertreten seien Verurteilungen, die zueinander im Verhältnis der §§ 31 und 40 StGB stehen, als Einheit zu werten. Bei der von der belangten Behörde vorzunehmenden Beurteilung nach § 61 Z 3 FPG wäre daher insoweit das Gesamtausmaß der verhängten Freiheitsstrafen maßgeblich gewesen, sodass diese Bestimmung (in der Fassung vor dem FrÄG 2011) die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer nicht unzulässig gemacht habe.

Mit Bescheid vom 12. Oktober 2012 erkannte die belangte Behörde hierauf neuerlich über die Berufung des Beschwerdeführers gegen das erstinstanzliche Aufenthaltsverbot. Sie gab dieser Berufung mit der Maßgabe statt, dass die Dauer des Aufenthaltsverbotes auf drei Jahre herabgesetzt und dem Beschwerdeführer gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub in der Dauer von einem Monat gewährt werde; im Übrigen wurde der erstinstanzliche Bescheid bestätigt.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde erwogen:

Die belangte Behörde ging in der Bescheidbegründung mangels gegenteiliger Übergangsbestimmung zutreffend davon aus, dass der bekämpfte Bescheid nunmehr auf Basis der Rechtslage nach dem am 1. Juli 2011 in Kraft getretenen FrÄG 2011 zu erlassen und dass die Zulässigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegenständlich an § 67 FPG (in der genannten Fassung) zu messen war. Auch bei einer Beurteilung am Maßstab des § 67 Abs. 1 FPG ist allerdings zu prüfen, ob eine "Aufenthaltsverfestigung", jetzt nach § 64 FPG, vorliegt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. November 2011, Zl. 2011/22/0264, Punkt 7.3. der Entscheidungsgründe). Konkret wäre auf § 64 Abs. 1 Z 1 FPG Bedacht zu nehmen gewesen, der in der maßgeblichen Fassung des FrÄG 2011 wie folgt lautet:

"Aufenthaltsverfestigung

§ 64. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich auf Grund eines Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, darf eine Ausweisung gemäß § 62 und ein Aufenthaltsverbot gemäß § 63 nicht erlassen werden, wenn

1. ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, verliehen hätte werden können, oder

2. …"

Der zitierte Verfestigungstatbestand greift nunmehr uneingeschränkt; die gegen den Beschwerdeführer verhängten Freiheitsstrafen stehen, anders als nach der noch im ersten Rechtsgang zu beachtenden Vorgängerbestimmung des § 61 Z 3 FPG (in der Fassung vor dem FrÄG 2011), seiner Anwendung nicht entgegen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 19. April 2012, Zl. 2011/21/0291).

Insoweit hat sich die Rechtslage gegenüber jener, die im Vorerkenntnis 2011/21/0153 zu beurteilen war, maßgeblich geändert. Das hat die belangte Behörde nicht beachtet. Es ist seit Inkrafttreten des FrÄG 2011 mit 1. Juli 2011 nur mehr darauf abzustellen, ob dem Fremden vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft nach § 10 Abs. 1 StbG hätte verliehen werden können. Das ist nach den schon von der BPD im erstinstanzlichen Bescheid getroffenen und von der belangten Behörde übernommenen Feststellungen sowie nach Maßgabe der Erwägungen im hg. Erkenntnis vom 11. Juni 2013, Zl. 2012/21/0088 (vgl. insbesondere die Punkte 2. und 3. der Entscheidungsgründe), hier der Fall, weshalb die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer im Grunde des § 64 Abs. 1 Z 1 FPG nicht in Betracht kommt.

Da die Rechtssache in diesem Sinn entscheidungsreif ist und auch die weiteren Voraussetzungen des § 42 Abs. 3a VwGG vorliegen, war daher nach der genannten Bestimmung in der Sache selbst zu entscheiden und in Stattgebung der gegen das erstinstanzliche Aufenthaltsverbot erhobenen Berufung dieses Aufenthaltsverbot gemäß § 66 Abs. 4 AVG ersatzlos zu beheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 14. November 2013

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