VwGH 2013/18/0054

VwGH2013/18/005422.5.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Eder, Mag. Feiel und Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des I in W, vertreten durch Dr. Rudolf Mayer, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Universitätsstraße 8/2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 18. Juni 2010, Zl. E1/472.456/2007, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §61 Z3;
MeldeG 1991 §3;
StbG 1985 §10 Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §61 Z3;
MeldeG 1991 §3;
StbG 1985 §10 Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.211,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 18. Juni 2010 erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen kroatischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.

Die belangte Behörde stützte sich dabei auf zwei rechtskräftige Verurteilungen des Beschwerdeführers jeweils wegen der Vergehen nach § 27 Abs. 1 und 2 Z 2 SMG, § 27 Abs. 1 SMG vom 10. Februar 2003 und vom 3. Mai 2007 zu bedingten Freiheitsstrafen von sechs Monaten bzw. acht Monaten, weil der Beschwerdeführer gewerbsmäßig Cannabis bzw. Marihuana anderen überlassen und wiederholt erworben und besessen hatte.

Begründend führte die belangte Behörde zusammengefasst aus, dass der Beschwerdeführer, der erstmals von 6. September 1991 bis 3. Dezember 1991 und von 27. Mai 1992 bis 20. August 1992 in Österreich gemeldet gewesen sei, sich seit September 1992 durchgehend im Bundesgebiet aufhalte. Ab 23. Dezember 1992 habe er über Sichtvermerke bzw. Niederlassungsbewilligungen und seit 3. Mai 2006 über einen unbefristeten Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" verfügt.

Im Hinblick auf das - im angefochtenen Bescheid näher dargestellte - Gesamt(fehl)verhalten des Beschwerdeführers sah die belangte Behörde den Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG als verwirklicht an und bejahte die Voraussetzungen zur Erlassung eines Aufenthaltsverbots im Grunde des § 60 Abs. 1 FPG und des § 56 FPG.

Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 66 FPG berücksichtigte die belangte Behörde, dass sich der Beschwerdeführer knapp 18 Jahre im Bundesgebiet aufhalte, wo er mit seiner Mutter im gemeinsamen Haushalt lebe, und seine (zeitlich näher konkretisierten) beruflichen Bindungen. Dennoch überwiege das hoch zu veranschlagende öffentlichen Interesse, insbesondere an der Einhaltung strafrechtlicher Normen, die privaten Interessen.

Die belangte Behörde führte weiter aus, dass auch die "aufenthaltsverfestigenden Bestimmungen des § 61 FPG" der Erlassung des Aufenthaltsverbots nicht entgegenstehen würden. Der Beschwerdeführer habe erstmals am 23. Dezember 1992 über einen Aufenthaltstitel verfügt. Er sei bereits weniger als zehn Jahre später, nämlich etwa Mitte September 2002, erstmals straffällig geworden, weshalb ihm gemäß § 10 Abs. 1 StbG die Staatsbürgerschaft nicht hätte verliehen werden können.

Abschließend verneinte die belangte Behörde die Möglichkeit, im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens von der Erlassung des Aufenthaltsverbots Abstand nehmen zu können und begründete dessen Dauer näher damit, dass vor Verstreichen des festgesetzten Zeitraums ein Wegfall des für seine Erlassung maßgeblichen Grundes nicht erwartet werden könne.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen:

Der Beschwerdeführer macht geltend, dass er, was aktenkundig sei, auf Grund des Krieges in seiner Heimat schon im Jahr 1991 nach Österreich eingereist sei. Ihm hätte schon vor seiner ersten Verurteilung die Staatsbürgerschaft verliehen werden können, sodass gegen ihn kein Aufenthaltsverbot mehr hätte erlassen werden dürfen.

Diesem Vorbringen kommt im Ergebnis Berechtigung zu:

Gemäß § 61 Z 3 FPG (in der hier anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 100/2005) darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn dem Fremden vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), BGBl. Nr. 311, hätte verliehen werden können, es sei denn er wäre gerichtlich rechtskräftig zu mindestens einer unbedingten einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden oder er hätte näher bezeichnete Tatbestände verwirklicht (die Ausnahmen spielen im vorliegenden Fall keine Rolle).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird die Wendung "vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes" in dieser Bestimmung dahin ausgelegt, dass der Fremde vor dem ersten der von der Behörde zulässigerweise zur Begründung des Aufenthaltsverbots herangezogenen Umstände, die in ihrer Gesamtheit die Maßnahme tragen, somit bei Beginn seines das Aufenthaltsverbot begründenden strafbaren Verhaltens, die Verleihungsvoraussetzungen erfüllt haben muss (vgl. etwa das Erkenntnis vom 21. Februar 2012, Zl. 2011/23/0272, mwN). Diesen Zeitpunkt nahm die belangte Behörde im Hinblick auf die Verurteilungen mit "Mitte September 2002" an.

Im vorliegenden Fall war daher zu beurteilen, ob dem Beschwerdeführer "Mitte September 2002" gemäß § 10 Abs. 1 StbG die Staatsbürgerschaft hätte verliehen werden können. Eine Verleihungsmöglichkeit zu anderen Zeitpunkten vermag den Aufenthaltsverbots-Verbotsgrund des § 61 Z 3 FPG nicht zu verwirklichen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. September 2009, Zl. 2007/18/0653).

Nach § 10 Abs. 1 Z 1 StbG in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 124/1998 konnte die Staatsbürgerschaft einem Fremden verliehen werden, wenn er seit mindestens zehn Jahren seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet hatte. Für das Bestehen eines zehnjährigen ununterbrochenen Hauptwohnsitzes im Sinn des § 10 Abs. 1 Z 1 StbG in dieser Fassung ist einerseits der tatsächliche Aufenthalt an einem bestimmten Ort und andererseits die Absicht, diesen zum Mittelpunkt der Lebensbeziehungen zu machen, (nicht aber die - erst mit der am 23. März 2006 in Kraft getretenen Novelle BGBl. I Nr. 37/2006 eingefügte - Rechtmäßigkeit des Aufenthalts) erforderlich. Diese Voraussetzungen können auch bei Verletzung der Meldepflicht gemäß § 3 Meldegesetz 1991 gegeben sein. Die polizeiliche Meldung ist zwar ein wichtiges Indiz für das Bestehen eines inländischen Hauptwohnsitzes, nicht aber notwendige Voraussetzung (vgl. zum Ganzen abermals das bereits angeführte Erkenntnis vom 24. September 2009, mwN).

Die belangte Behörde hat ihre Ansicht, dass § 61 Z 3 FPG nicht zum Tragen komme, im vorliegenden Fall damit begründet, dass der Beschwerdeführer erstmals am 23. Dezember 1992 über einen Aufenthaltstitel verfügt habe, weshalb sie einen zehnjährigen rechtmäßigen Aufenthalt im Beurteilungszeitpunkt "Mitte September 2002" verneinte. Im Hinblick darauf hat die belangte Behörde aber keine ausreichenden Feststellungen zu dem vom Beschwerdeführer bereits in seiner Stellungnahme und in der Berufung im Verwaltungsverfahren erstatteten Vorbringen, dass er bereits 1991 nach Österreich gekommen sei und sich seit 1991 (wenn auch allenfalls nicht durchgehend gemeldet und zunächst unrechtmäßig) in Österreich aufgehalten habe, getroffen. Dies wäre aber nach dem Gesagten - weil die Begründung des Hauptwohnsitzes und seine Beibehaltung nicht allein bei einem rechtmäßigen Aufenthalt möglich ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. September 2006, Zl. 2003/01/0518, mwN) - erforderlich gewesen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 22. Mai 2013

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