VwGH 2013/08/0195

VwGH2013/08/019516.12.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Berthou, über die Beschwerde des F F in O, vertreten durch Dr. Markus Distelberger, Rechtsanwalt in 3130 Herzogenburg, Schillerring 3, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Niederösterreich vom 17. Mai 2013, Zl. LGS NÖ/RAG/05661/2013, betreffend Zuerkennung von Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §36 Abs2;
NotstandshilfeV §2;
AlVG 1977 §36 Abs2;
NotstandshilfeV §2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers vom 4. März 2013 auf Gewährung der Notstandshilfe mangels Notlage abgewiesen.

In seinem vorletzten Antrag auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld vom 27. Februar 2012 habe der Beschwerdeführer angegeben, er sei ledig, Ar. S. und die gemeinsame Tochter, Cr. S., lebten mit ihm im gemeinsamen Haushalt und Ar. S. habe ein monatliches Nettoeinkommen von EUR 1.200,--.

Im darauffolgenden Antrag auf Zuerkennung der Notstandshilfe vom 4. März 2013 habe der Beschwerdeführer als Personenstand ebenfalls "ledig" angegeben, jedoch das Wort "Wohngemeinschaft" hinzugefügt. Als Angehörige habe er diesmal lediglich seine Tochter Cr. S. angeführt.

Am 21. März 2013 habe er gegenüber der regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice St. Pölten (im Folgenden: AMS) niederschriftlich bekannt gegeben, er lebe nicht in einer aufrechten Lebensgemeinschaft mit der Mutter seines Kindes an der gleichen Adresse, es handle sich nur um eine Wohngemeinschaft. Dazu habe er einen mit 13. März 2013 datierten Mietvertrag zwischen ihm und Ar. S. als Vermieterin vorgelegt. Aus dem Mietvertrag gehe hervor, dass Ar. S. dem Beschwerdeführer zu Wohnzwecken das im Haus O. im ersten Stock rechts befindliche Zimmer vermiete. Bad, Küche und Wohnzimmer würden gemeinsam nach den für eine Wohngemeinschaft üblichen Bestimmungen benützt. Die Miete betrage EUR 150,-- monatlich. Während der Dauer des Mietverhältnisses übernehme der Beschwerdeführer als Mieter die Kosten eventueller "Schönheitsreparaturen" sowie die Kosten von Bagatellschäden.

Am 17. April 2013 habe der Beschwerdeführer gegenüber dem AMS erklärt, er könne sich keine eigene Wohnung leisten, weil er im Privatkonkurs sei (Dauer noch ca. 2 Jahre). Es gebe eine getrennte Haushaltsführung. Er und Ar. S. würden abwechselnd kochen. Die gemeinsame Tochter wohne ebenfalls in diesem Haushalt.

Im Zuge der Prüfung des Berufungsvorbringens habe die belangte Behörde Kontakt mit dem für den Beschwerdeführer zuständigen Gemeindeamt O. aufgenommen. Von diesem sei mitgeteilt worden, dass der Beschwerdeführer mit Ar. S. und der gemeinsamen Tochter in einem im Eigentum von Ar. S. stehenden Einfamilienhaus lebe und es in diesem Haus keine Unterteilung der Wohneinheit gebe. Der Beschwerdeführer und Ar. S. würden eine Lebensgemeinschaft führen, das Vorliegen einer reinen Wohngemeinschaft sei auszuschließen.

Der Beschwerdeführer habe dazu mit Schreiben vom 28. April 2013 erneut angegeben, dass es sich um eine Wohngemeinschaft handle. Allgemeine Räume würden gemeinsam genutzt.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, unbestritten sei, dass eine Wohngemeinschaft zwischen dem Beschwerdeführer und Ar. S. vorliege. Der Umstand, dass der Mietvertrag vom 13. März 2013 erst nach der Antragstellung geschlossen worden sei, sei ein Indiz dafür, dass dieser nur für die Vorlage beim AMS verfasst worden sei. Aus dem Mietvertrag gehe hervor, dass der Beschwerdeführer bestimmte Kosten übernehme. Es stehe fest, dass er zumindest zum Teil (durch Mietzahlungen oder durch Mitfinanzierung der Ernährung) zum gemeinsamen Wirtschaften beitrage. Daher liege eine Wirtschaftsgemeinschaft vor. Dafür genüge eine Mitfinanzierung der Haushaltskosten, in diesem Fall der Miete, durch den Notstandshilfe beanspruchenden Partner. Da der Beschwerdeführer, Ar. S. und deren gemeinsame Tochter an der gleichen Adresse lebten, sei

"auch das Vorliegen einer seelischen Gemeinschaft nicht auszuschließen. Beide Partner leisten einander Beistand und Dienste. Dies sind weitere äußere Zeichen dafür, die für das Vorliegen einer Lebensgemeinschaft sprechen."

Eine Lebensgemeinschaft liege vor. Das Einkommen der Ar. S. sei anzurechnen. Der Beschwerdeführer habe sich geweigert, Unterlagen zur Überprüfung des Haushaltseinkommens - gemeint sei die Lohnbescheinigung von Ar. S. aber auch Kreditbestätigungen etc. - dem AMS vorzulegen. Es sei daher nicht möglich, seinen Anspruch auf Notstandshilfe unter Berücksichtigung möglicher freigrenzenerhöhender Umstände zu berechnen. Die Nichtvorlage der Lohnbescheinigung liege ausschließlich in der Sphäre des Beschwerdeführers. Seine Rechtsansicht, wonach keine Lebensgemeinschaft vorliege, entbinde ihn nicht von der Verpflichtung zur Vorlage der anspruchsrelevanten Unterlagen. Dem Antrag auf Zuerkennung der Notstandshilfe sei daher keine Folge zu geben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

1. Die Beschwerde bringt vor, die belangte Behörde mische Sachverhaltsfeststellungen, Beweiswürdigung und rechtliche Erwägungen durcheinander. Die einfache Zahlung von Miete für die Nutzung des Hauses im Rahmen einer Wohngemeinschaft oder ein abwechselndes Kochen sei noch kein gegenseitiger Beistand im Sinne einer Lebensgemeinschaft. Darüber hinaus habe sich die belangte Behörde bei ihrer Feststellung, dass es im genannten Haus keine Unterteilung der Wohneinheit gebe und dass der Beschwerdeführer mit Ar. S. eine Lebensgemeinschaft führen würde, auf eine Auskunft des Gemeindeamtes O. gestützt. Es sei weder angeführt worden, welche konkrete Mitarbeiterin oder welcher Mitarbeiter der Gemeinde O. diese Angaben gemacht habe, noch welche konkreten Beobachtungen dazu gemacht worden seien. Die belangte Behörde hätte die Auskunftsperson des Gemeindeamtes und vor allem auch Ar. S. förmlich als Zeugen zu den Umständen einer Lebensgemeinschaft befragen müssen.

2.1. Der Beschwerde ist darin Recht zu geben, dass der angefochtene Bescheid eine Trennung von Sachverhaltsfeststellungen, Beweiswürdigung und rechtlicher Beurteilung vermissen lässt bzw. meint, die Wiedergabe von Beweisergebnissen würde die Feststellung des Sachverhalts ersetzen.

2.2. Darüber hinaus hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt und deshalb erforderliche Feststellungen nicht getroffen:

Im vorliegenden Zusammenhang der Anrechnung von Partnereinkommen im Zuge der Bemessung der Notstandshilfe wird das Wesen einer Lebensgemeinschaft in einem eheähnlichen Zustand erblickt, der dem typischen Erscheinungsbild des ehelichen Zusammenlebens entspricht. Dazu gehört im Allgemeinen die Geschlechts-, Wohn- und (vor allem) Wirtschaftsgemeinschaft, wobei aber - wie auch bei einer Ehe - das eine oder andere Merkmal weniger ausgeprägt sein oder ganz fehlen kann. Jenes Element, um dessentwillen die Lebensgemeinschaft im konkreten Regelungszusammenhang von Bedeutung ist, nämlich das gemeinsame Wirtschaften, ist jedoch unverzichtbar.

Der im Gesetz angeordneten Berücksichtigung des Partnereinkommens liegt die Annahme zu Grunde, dass der Partner wegen der Lebens-(Wohn-)gemeinschaft auch zum gemeinsamen Wirtschaften zumindest zum Teil (etwa durch Mitfinanzierung der gemeinsamen Wohnkosten oder Ernährung) beiträgt. Gemeinsames Wohnen allein begründet daher noch keine Wirtschaftsgemeinschaft (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. November 2012, Zl. 2010/08/0118).

In einem Fall, in dem eine Wohnung nicht zur Gänze gemeinsam genutzt wird, kann das Vorliegen einer Lebensgemeinschaft nicht auf den bloßen Umstand gestützt werden, dass der Lebenspartner zu den Wohnkosten beiträgt, sondern es käme zusätzlich darauf an, ob die wechselseitigen Beiträge unüblich hoch oder niedrig sind. Wenn das Zusammenleben und das für die Mitbenützung einer Wohnung geleistete Entgelt z.B. der in einem reinen Untermietverhältnis bestehenden Situation entspricht, kann daraus allein noch nicht auf das Bestehen einer Wirtschaftsgemeinschaft geschlossen werden (vgl. das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2013/08/0164).

Die belangte Behörde hat die zur Beurteilung des Vorliegens einer Lebensgemeinschaft erforderlichen Tatsachenfeststellungen nur bruchstückhaft und widersprüchlich getroffen bzw. sich überhaupt mit Zitaten von Stellungnahmen des Beschwerdeführers und des "für den Berufungswerber zuständigen" Mitarbeiters des Gemeindeamtes O. begnügt. Der Begründung des Bescheides kann nicht entnommen werden, welche der zitierten Stellungnahmen die belangte Behörde zu Feststellungen erhoben hat und ob und aus welchen Gründen sie davon ausgeht, dass die Wohnung (nicht) zur Gänze gemeinsam genutzt wurde.

2.3. Auf welches Beweisergebnis sich die Feststellung der belangten Behörde stützt, dass der Beschwerdeführer auch durch "Mitfinanzierung der Ernährung" zum gemeinsamen Wirtschaften beitrage, hat die belangte Behörde nicht begründet und ist dem Akt nicht zu entnehmen. Dasselbe gilt für die Feststellung, dass beide Partner einander "Beistand und Dienste" leisten würden, abgesehen davon, dass diese Feststellungen nicht genügend konkretisiert und daher für eine rechtliche Beurteilung ungeeignet sind.

2.4. Die Beschwerde weist auch zutreffend darauf hin, dass die belangte Behörde Verfahrensgrundsätze verletzt hat, indem sie trotz des strittigen Sachverhalts keine Zeugen vernommen hat (vgl. hiezu nochmals das Erkenntnis Zl. 2013/08/0164).

2.5. Schließlich hatte die belangte Behörde ihren Bescheid auch mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, weil sie die Abweisung des Antrags auf Zuerkennung der Notstandshilfe auf den Umstand gestützt hat, dass der Beschwerdeführer die Lohnbescheinigung von Ar. S. nicht vorgelegt hat. Diese Lohnbescheinigung wäre von Ar. S. vorzulegen gewesen (vgl. § 36c Abs. 6 AlVG und das dazu ergangene hg. Erkenntnis vom 29. Juni 2005, Zl. 2005/08/0033).

3. Der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Das auf Zuerkennung eines höheren Aufwandersatzes sowie der gesetzlichen Umsatzsteuer gerichtete Mehrbegehren war abzuweisen, weil es einerseits in der genannten Verordnung nicht gedeckt ist und andererseits der durch die Verordnung pauschaliert festgesetzte Schriftsatzaufwand auch die anfallende Umsatzsteuer abdeckt. Das auf Ersatz der Eingabengebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG gerichtete Mehrbegehren war abzuweisen, weil der Beschwerdeführer im Rahmen des Verfahrenshilfe von deren Entrichtung befreit worden ist.

Wien, am 16. Dezember 2013

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