Normen
12010E020 AEUV Art20;
62011CJ0256 Dereci VORAB;
NAG 2005 §2 Abs1 Z9;
NAG 2005 §47 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
12010E020 AEUV Art20;
62011CJ0256 Dereci VORAB;
NAG 2005 §2 Abs1 Z9;
NAG 2005 §47 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Aserbaidschan, vom 21. März 2011, ihm als Ehemann einer österreichischen Staatsbürgerin einen Aufenthaltstitel zu erteilen, gemäß § 2 Abs. 1 Z 9 und § 47 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.
Begründend führte die belangte Behörde aus, die Ehefrau des Beschwerdeführers habe im Zeitpunkt der Antragstellung das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet gehabt. Sie sei daher nicht als Familienangehörige im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 9 NAG anzusehen. Die nach dem NAG geforderte Altersgrenze von 21 Jahren im Zeitpunkt der Antragstellung stehe im Einklang mit Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2003/86/EG .
Einem Drittstaatsangehörigen, der Angehöriger eines Österreichers sei, dürfe ein Aufenthaltsrecht nicht verwehrt werden, wenn "die österreichische Ankerperson" in dem Fall, in dem der begehrte Aufenthaltstitel dem Antragsteller verweigert werde, de facto gezwungen wäre, Österreich und das Gebiet der Europäischen Union zu verlassen. In einem derartigen Fall würde die Nichtgewährung des Aufenthaltsrechts bedeuten, dass die Unionsbürgerschaft "der österreichischen Ankerperson" ihrer praktischen Wirksamkeit beraubt wäre.
Mit Blick auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) in der Rechtssache Zambrano, C-34/09 , sei jedenfalls in jenen Fällen der Kernbestand der Unionsbürgerrechte beeinträchtigt, in denen ein minderjähriger Unionsbürger aus dem Gebiet der Europäischen Union ausreisen müsste, um seinen drittstaatsangehörigen Eltern, weil diesen kein Aufenthaltsrecht gewährt werde, zu folgen.
Die österreichische Ehefrau des Beschwerdeführers - so die belangte Behörde, die offenkundig ihrer Entscheidung das diesbezügliche Vorbringen als den Tatsachen entsprechend zugrunde legte - sei schwanger; die Geburt des Kindes werde im Juni 2012 erwartet. Ihre "Arbeitsfähigkeit bzw." die "Einstellungsbereitschaft durch einen Arbeitgeber" sei "gegenwärtig nicht realisierbar".
Es sei aber nicht ersichtlich, dass sich die Ehefrau des Beschwerdeführers in einer Ausnahmesituation befinde. Das Vorbringen sei als bloßer Wunsch nach einem gemeinsamen Familienleben in Österreich zu werten "bzw." lägen dem Begehren nach einem gemeinsamen Familienleben in Österreich wirtschaftliche Überlegungen zugrunde. Weitere Umstände, die auf eine Ausnahmesituation schließen lassen könnten, seien weder vorgebracht worden noch seien solche aus dem Akteninhalt ersichtlich.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:
Eingangs ist festzuhalten, dass sich im vorliegenden Fall die Beurteilung des gegenständlichen Falles im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides am 12. Oktober 2012 nach den Bestimmungen des NAG idF BGBl. I Nr. 50/2012 richtet.
Gemäß § 2 Abs. 1 Z 9 NAG ist im Sinn dieses Bundesgesetzes Familienangehöriger: wer Ehegatte oder minderjähriges lediges Kind, einschließlich Adoptiv- oder Stiefkind, ist (Kernfamilie); dies gilt weiters auch für eingetragene Partner; Ehegatten und eingetragene Partner müssen das 21. Lebensjahr zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits vollendet haben; lebt im Fall einer Mehrfachehe bereits ein Ehegatte gemeinsam mit dem Zusammenführenden im Bundesgebiet, so sind die weiteren Ehegatten keine anspruchsberechtigten Familienangehörigen zur Erlangung eines Aufenthaltstitels.
Gemäß § 47 Abs. 2 NAG ist Drittstaatsangehörigen, die Familienangehörige von Zusammenführenden (solche sind gemäß § 47 Abs. 1 NAG Österreicher oder EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, die in Österreich dauernd wohnhaft sind und nicht ihr unionsrechtliches oder das ihnen auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in Anspruch genommen haben) sind, ein Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles (des NAG) erfüllen.
Die Ehefrau des Beschwerdeführers ist am 24. Oktober 1991 geboren. Sie hatte daher weder im Zeitpunkt der Antragstellung noch im Zeitpunkt der Entscheidung der belangten Behörde das 21. Lebensjahr vollendet. Die Ansicht der belangten Behörde, der Beschwerdeführer könne daher nicht als Familienangehöriger der Zusammenführenden im Sinn des § 47 Abs. 2 NAG angesehen werden, entspricht somit dem Gesetz.
Da die Ehefrau des Beschwerdeführers das 21. Lebensjahr (auch) im Zeitpunkt der Bescheiderlassung noch nicht vollendet hatte, liegt im vorliegenden Fall aber auch keine Konstellation vor, die jener entsprechen würde, die dem Vorabentscheidungsersuchen zugrunde lag, das vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 29. Mai 2013, Zl. EU 2013/0002 (2011/22/0175), an den EuGH herangetragen wurde.
Der Beschwerde ist aber dennoch Erfolg beschieden.
Der EuGH hat im Urteil vom 15. November 2011, C-256/11 "Dereci u.a.", ausgesprochen, dass Art. 20 AEUV nationalen Maßnahmen entgegensteht, die bewirken, dass den Unionsbürgern der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen dieser Status verleiht, verwehrt wird. Das Kriterium der Verwehrung des Kernbestands der Rechte, die der Unionsbürgerstatus verleiht, bezieht sich auf Sachverhalte, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sich der Unionsbürger de facto gezwungen sieht, nicht nur das Gebiet des Mitgliedstaats, dem er angehört, sondern das Gebiet der Union als Ganzes zu verlassen. Sollten derartige Gründe - der bloße Wunsch nach Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft im Gebiet der Union reicht allerdings nicht aus - bestehen, würden sowohl die gegenüber einem Fremden ausgesprochene Anordnung, das Bundesgebiet wegen des unrechtmäßigen Aufenthalts zu verlassen, als auch die Verweigerung eines Aufenthaltstitels gegenüber dem Angehörigen des Unionsbürgers dem Unionsrecht widersprechen und daher nicht zulässig sein (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 13. November 2012, Zl. 2011/22/0099, mwN).
Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 24. April 2012, Zl. 2011/22/0212, festgehalten, dass für den Fall, dass Gründe im soeben genannten Sinn vorliegen sollten, bei der Beurteilung, ob dem Fremden der Aufenthalt im Bundesgebiet dennoch verweigert werden darf, zu beachten ist, dass die Verweigerung des Aufenthaltstitels nur dann zulässig wäre, wenn die Trennung des Fremden von seinem die österreichische Staatsbürgerschaft (und somit auch die Unionsbürgerschaft) besitzenden Angehörigen hinzunehmen wäre. Da es sich dabei um die Einschränkung von aus der Unionsbürgerschaft herrührender Rechte handelt, kann bei dieser Beurteilung kein geringerer Maßstab angelegt werden, als er vom Unionsrecht im Fall eines Angehörigen eines sonstigen ("gewanderten") Unionsbürgers vorgegeben wird. Nur dann hat auch dieser die Trennung von seinen Angehörigen und somit allenfalls damit verbunden die Einschränkung der Rechte aus der Unionsbürgerschaft hinzunehmen. Gründe, die zur Versagung des Aufenthaltstitels gemäß dem NAG herangezogen werden, sind dann anhand dieses Maßstabes zu messen. Ausgehend davon kann nicht gesagt werden, dieser wäre bloß deshalb erfüllt, weil beide oder einer der Ehepartner im Zeitpunkt der Antragstellung das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet gehabt hätten (vgl. zum Ganzen das bereits erwähnte Erkenntnis vom 24. April 2012).
Zwar hat die belangte Behörde erkannt, eine Prüfung nach dem Gesagten vornehmen zu müssen. Sie hat sich aber bei ihrer Beurteilung, ob ein Grund im Sinn des Urteils des EuGH vom Urteil vom 15. November 2011 gegeben ist, auf eine textbausteinartige und formelhafte Begründung beschränkt, ohne sich in der gebotenen Weise mit den Umständen des konkreten Falles zu beschäftigen. Insbesondere ist der belangten Behörde vorzuwerfen, dass ihr zwar die absehbare Niederkunft der Ehefrau des Beschwerdeführers im Juni 2012 bekannt war. Die belangte Behörde hat aber - was die Beschwerde zu Recht rügt - zur Zeit der Bescheiderlassung im Oktober 2012 darauf überhaupt nicht Bedacht genommen und spricht im angefochtenen Bescheid demgegenüber immer noch - unter Wiedergabe von zeitlich vor dem Geburtstermin erstattetem Berufungsvorbringen, das als nicht entscheidungswesentlich angesehen wurde - von einem "(ungeborene(n)) Kind".
Da somit der angefochtene Bescheid an einem für den Verfahrensausgang relevanten Begründungsmangel leidet und der Sachverhalt in wesentlichen Punkten einer Ergänzung bedarf, war er wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 26. Juni 2013
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