VwGH 2012/22/0240

VwGH2012/22/024014.3.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde 1. des M, 2. der S, 3. des S und

4. der N, alle in W, vertreten durch Dr. Tassilo Wallentin, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Gonzagagasse 14/10, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 6. Dezember 2010, Zlen. E1/240.740/2010, E1/240.781/2010, E1/240.768/2010 und E1/391.556/2010, jeweils betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 idF 2009/I/029;
MRK Art8;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 idF 2009/I/029;
MRK Art8;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführer haben dem Bund je zu gleichen Teilen Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde die Beschwerdeführer, ein Ehepaar und ihre Kinder, alle armenische Staatsangehörige, gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG aus.

Zur Begründung verwies die belangte Behörde darauf, dass der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin gemeinsam am 15. November 2003 unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Bundesgebiet gelangt seien. Sie hätten am selben Tag unter anderen Namen Asylanträge eingebracht und in der Folge das Bundesgebiet verlassen. Nach Rückkehr aus Deutschland hätten sie bei einer Vorsprache am 4. August 2004 um Fortsetzung der Asylverfahren ersucht. Ihre Asylanträge seien mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 16. Dezember 2009 rechtskräftig abgewiesen worden. Die erstinstanzlichen Ausweisungsbescheide seien jedoch behoben worden, weil die Zweitbeschwerdeführerin zu diesem Zeitpunkt mit ihrem dritten Kind hochschwanger gewesen sei.

Am 3. Dezember 2005 sei der Drittbeschwerdeführer in Wien geboren worden. Sein Asylantrag sei ebenso wie jener der am 9. Jänner 2010 in Wien geborenen Viertbeschwerdeführerin im Dezember 2009 bzw. Jänner 2010 rechtskräftig abgewiesen worden.

Die Beschwerdeführer hätten vorgebracht, dass der Erstbeschwerdeführer an depressiven Verstimmungen, Kopfschmerzen und Schlafstörungen leiden würde. Die Zweitbeschwerdeführerin würde an depressiver Verstimmung und somatischen Beschwerden leiden und wäre in psychotherapeutischer Behandlung. Der Erstbeschwerdeführer hätte an einem Deutschkurs teilgenommen. Die Zweitbeschwerdeführerin hätte immer wieder verschiedene Tätigkeiten im Haus der Flüchtlingsbetreuung übernommen. Sie würde sich im Rahmen des Projektes um Gemüsebeete und die Grünanlagen kümmern. Auch der Erstbeschwerdeführer wäre immer wieder mit verschiedenen Tätigkeiten im dortigen Haus eingebunden. Der Drittbeschwerdeführer besuchte einen Kindergarten und würde bereits sehr gut deutsch sprechen. Das Ehepaar hätte sich von Beginn an sehr gut in die Hausgemeinschaft integriert.

Es sei eine Bestätigung vorgelegt worden, wonach die Zweitbeschwerdeführerin über Deutschkenntnisse auf dem "A2-Niveau" verfügte. Dem Erstbeschwerdeführer sei bestätigt worden, dass er in einem namentlich genannten Unternehmen eingestellt würde. Sämtliche Beschwerdeführer hätten am 4. Februar 2010 Niederlassungsbewilligungen beantragt.

Am 26. Mai 2007 sei die Zweitbeschwerdeführerin beim Diebstahl von Kosmetik- und Toiletteartikeln betreten worden. Das Strafverfahren sei mit Diversion erledigt worden.

Der Erstbeschwerdeführer sei ein körperlich gesunder Mann im arbeitsfähigen Alter. Die Zweitbeschwerdeführerin habe im Heimatland Verwandte und sei selbst unter Beachtung ihres nicht ungetrübten psychischen Gesundheitszustandes in der Lage, am Arbeitsmarkt in Armenien Fuß zu fassen. Im Heimatland sei eine medizinische Versorgung gewährleistet, auch die Behandlung von posttraumatischem Belastungssyndrom und Depression.

Da die Beschwerdeführer illegal im Inland aufhältig seien, seien die Voraussetzungen zur Erlassung einer Ausweisung gegeben. Die bloße Antragstellung auf Erteilung eines humanitären Aufenthaltstitels bewirke nicht eine Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes.

Wegen des mehrjährigen, im Fall der Kinder seit der Geburt bestehenden Aufenthaltes im Inland, wegen der Sprachkenntnisse und einer "im Übrigen" erfolgten Integration sei mit der Ausweisung ein Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführer verbunden. Der lange Aufenthalt beruhe jedoch auf Asylanträgen, die sich in der Folge als unberechtigt erwiesen hätten. Der Aufenthalt sämtlicher Beschwerdeführer sei während der Anhängigkeit der jeweiligen Asylverfahren lediglich geduldet und vom Verfahrensausgang abhängig und insofern unsicher gewesen. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin hätten mehrfach wechselnde Identitäten und Geburtsdaten angegeben, was eine rasche Abwicklung der jeweiligen Asylverfahren erschwert habe. Die Beschwerdeführer hätten von Anfang an nicht darauf vertrauen können, dass ihr Asylverfahren positiv erledigt werde.

Die gesamte Familie befinde sich in der Grundversorgung. Der Erstbeschwerdeführer habe am 16. Februar 2005 und am 21. Februar 2005 eine Arbeitstätigkeit ausgeübt und sei vom 6. Juli 2010 bis zum 12. September 2010 geringfügig beschäftigt gewesen. Es sei davon auszugehen, dass es sich bei diesen Arbeiten jeweils um "Schwarzarbeit" gehandelt habe.

Der Erstbeschwerdeführer habe zwar einen Deutschkurs besucht, ein zu erwartendes Sprachniveau jedoch nicht entsprechend nachgewiesen. Der gesamten Familie möge entsprechend den vorgelegten "Sozialberichten" eine gewisse soziale bzw. auch kulturelle Integration zugebilligt werden. Private Bindungen seien jedoch zu einem Zeitpunkt begründet worden, als sich sämtliche Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltes im Bundesgebiet bewusst gewesen sein mussten. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin seien zwar verwaltungsstrafrechtlich und "gerichtsstrafrechtlich unbescholten". Die Zweitbeschwerdeführerin habe jedoch den Tatbestand des Ladendiebstahles verwirklicht und beide hätten unrichtige Angaben über ihre Identität bzw. Geburtsdaten gemacht.

Die Beschwerdeführer verfügten über familiäre Bindungen im Herkunftsstaat.

Der Befolgung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften durch den Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der geordneten Abwicklung des Fremdenwesens und Arbeitsmarktes ein sehr hoher Stellenwert zu. Die Beeinträchtigung dieses Interesses durch die Beschwerdeführer sei von solchem Gewicht, dass die vorhandenen gegenläufigen privaten und familiären Interessen nicht höher zu bewerten seien als das Interesse der Allgemeinheit an der Ausreise der gesamten Familie.

Es seien keine besonderen Umstände ersichtlich, die die Behörde im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens zu einer Abstandnahme von der Erlassung der Ausweisung hätten veranlassen müssen.

Auch wenn ein unter tragischen Umständen bedauerlicherweise verstorbenes weiteres Familienmitglied (Kind) am Wiener Zentralfriedhof begraben sei, stehe es der Familie frei, vom Ausland aus das Grab zu besuchen oder gegebenenfalls die sterblichen Überreste des Kleinkindes in das Ausland zu verbringen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage samt Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Eingangs ist festzuhalten, dass angesichts der Zustellung des angefochtenen Bescheides im Dezember 2010 die Bestimmungen des FPG in der Fassung BGBl. I Nr. 135/2009 maßgeblich sind.

Die Beschwerdeführer bestreiten nicht, dass ihre Asylanträge rechtskräftig abgewiesen wurden und sie behaupten nicht, über Aufenthaltsberechtigungen für Österreich zu verfügen. Demnach hegt der Gerichtshof keine Bedenken gegen die Ansicht der belangten Behörde, dass der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei.

Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen unter Berücksichtigung der in § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. für viele etwa das hg. Erkenntnis vom 29. Februar 2012, 2010/21/0233).

Zu den persönlichen Verhältnissen bringen die Beschwerdeführer vor, dass sie hervorragend deutsch sprächen, strafrechtlich und verwaltungsrechtlich unbescholten seien, seit Jahren in Österreich lebten und der Erstbeschwerdeführer einen arbeitsrechtlichen Vorvertrag habe.

Zunächst ist festzuhalten, dass angesichts der gemeinsamen Ausweisung in das Familienleben der Beschwerdeführer nicht eingegriffen wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 2012, 2012/22/0221 bis 0223).

In welcher Weise nach Meinung der Beschwerde die belangte Behörde "sachfremde und irrelevante Gründe" herangezogen habe, ist nicht nachvollziehbar. Sollte damit das Verhalten des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin bei ihrer Asylantragstellung gemeint sein, durfte die belangte Behörde berücksichtigen, dass dabei falsche Angaben gemacht wurden, wodurch - ebenso wie durch den festgestellten und unbestrittenen Ladendiebstahl - das öffentliche Interesse an der Erlassung der Ausweisung verstärkt wird.

Die belangte Behörde verwies zu Recht auf das große öffentliche Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften, das grundsätzlich von Fremden nach Abweisung ihrer Asylanträge fordert, den rechtmäßigen Zustand durch Ausreise aus dem Bundesgebiet wieder herzustellen. Unbestritten durften die Beschwerdeführer jedenfalls nach erstinstanzlicher Abweisung ihrer Asylanträge nicht darauf vertrauen, sich auf Dauer in Österreich niederlassen zu dürfen. Die beschwerdeführenden Kinder sind in einem Alter, in dem ihnen die schulische und kulturelle Integration im Heimatland möglich ist. Eine Wiedereingliederung ist auch den dort aufgewachsenen und über 20 Jahre dort lebenden Erst- und Zweitbeschwerdeführern möglich, zumal sich unbestritten Familienangehörige im Heimatland aufhalten. Weiters ist zu berücksichtigen, dass von einer beruflichen Integration des Erstbeschwerdeführers nicht die Rede sein kann. In einer Gesamtbetrachtung weisen somit die persönlichen Verhältnisse der Beschwerdeführer in Österreich nicht eine solche Intensität auf, dass die zur Durchsetzung der genannten öffentlichen Interessen verfügte Ausweisung einen unverhältnismäßigen Eingriff nach Art. 8 EMRK darstellt.

In der Beschwerde wird der belangten Behörde umfangreich vorgeworfen, diese hätte die erforderlichen Beweise zu erheben gehabt, habe nur unzureichend ermittelt und jedwede Ermittlungstätigkeit in Bezug auf private oder familiäre Interessen der Beschwerdeführer unterlassen und sei ihrer Begründungspflicht nur unzureichend nachgekommen.

Dem ist zu entgegnen, dass zum einen der angefochtene Bescheid ausreichend und nachvollziehbar begründet ist. Zum anderen wird die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensmängel nicht dargelegt. In der Beschwerde wird nämlich in keiner Weise aufgezeigt, welche konkreten Tatsachen die belangte Behörde hätte feststellen können, die zu einem für die Beschwerdeführer günstigen Ergebnis hätten führen können.

Der Vorwurf einer Verletzung der Manuduktionspflicht ist nicht zielführend, umfasst doch diese Verpflichtung nicht eine Vorgangsweise der Behörden, die Antragsteller zu unterweisen, wie sie ihr Vorbringen inhaltlich zu gestalten haben, um den angestrebten Erfolg zu erreichen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. September 2010, 2009/22/0039).

Der diesbezüglichen Rüge ist zu entgegnen, dass im Berufungsverfahren vor der Sicherheitsdirektion nicht die Verpflichtung besteht, eine Verhandlung durchzuführen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 2012, 2012/22/0215).

Letztlich ist nicht zu sehen, aus welchen Gründen die belangte Behörde im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens von der Erlassung der Ausweisung hätte Abstand nehmen müssen.

Da somit dem angefochtenen Bescheid die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil der Vorlageaufwand nur einmal zuzusprechen ist, wenn - wie hier - mehrere Akten gemeinsam vorgelegt wurden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. September 2009, 2008/22/0731).

Wien, am 14. März 2013

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