VwGH 2012/08/0314

VwGH2012/08/031411.12.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein des Schriftführers Mag. Berthou, über die Beschwerde des R S in Wien, vertreten durch Dr. Christine Wolf, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Bräuhausgasse 63/7-8, gegen den Bescheid des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 6. November 2012, Zl. 2012-0566-9-002558, betreffend Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §56;
AVG §66 Abs4;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §56;
AVG §66 Abs4;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Dem Beschwerdeführer, der im Bezug von Notstandshilfe stand, wurde mit Schreiben der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice (AMS) vom 4. Juli 2012 ein Kontrollmeldetermin für den 17. Juli 2012 vorgeschrieben. Zu diesem Termin erschien der Beschwerdeführer nicht.

Am 25. Juli 2012 erklärte er laut (von ihm allerdings nicht unterfertigter) Niederschrift vor dem AMS, dass er nicht bereit sei, dies zu begründen.

In einem an das AMS gerichtetem Schreiben vom 19. August 2012 brachte er vor, es sei "offensichtlich eine Erklärung aus der Rechtsdiktion des AlVG (hier § 49 AlVG) missdeutend vom AMS (…) so umgesetzt (worden), dass mehrere verpflichtende Zahltage (EUR 20,62 p/Tag) unterlassen wurden durchzuführen (anzuweisen)"; die Bezahlungen "an drei Auszahlungstagen (3x20,62 EUR)" fehlten auf dem Konto. Folglich sei ersichtlich, dass trotz der mit 19. Juli 2012 beim AMS erfolgten "Berufung" eine sachdienliche Bearbeitung nicht erfolgt sei. Im Anschluss brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen zum Ausdruck, dass sowohl die Vorschreibung von Kontrollmeldeterminen als auch die Leistungseinstellung wegen der Nichteinhaltung eines Termins seiner Ansicht nach mit Bescheid zu erfolgen hätten und solche Bescheide mit Zustellnachweis zugestellt werden müssten. Im vorliegenden Fall sei ein Bescheid nicht "ausgewiesen" worden. Bei einer Besprechung am 9. August 2012 sei zwar darauf hingewiesen worden, dass "die Post per normaler Post überbracht gilt"; im vorliegenden Fall dürfte es sich aber bei der angeblich überbrachten Post und der beigelegten Information um ein "Muster eines Bescheides" gehandelt haben.

Dieses Schreiben wertete die belangte Behörde als Berufung gegen einen Bescheid der regionalen Geschäftsstelle vom 2. August 2012, mit dem ausgesprochen worden sei, dass der Beschwerdeführer für den Zeitraum 17. Juli 2012 bis 19. Juli 2012 keine Leistung aus der Arbeitslosenversicherung erhalte, weil er den vorgeschriebenen Kontrolltermin am 17. Juli 2012 nicht eingehalten und sich erst am 20. Juli 2012 wieder bei der regionalen Geschäftsstelle gemeldet hätte.

Mit dem angefochtenen Bescheid sprach die belangte Behörde aus, dass der genannte Bescheid vom 2. August 2012 bestätigt werde.

Begründend führte sie im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe "mit 4. Juli 2012" postalisch die Vorschreibung eines Kontrollmeldetermins für den 17. Juli 2012 erhalten. Die Terminvorschreibung sei ihm durch Hinterlegung zugestellt worden. Beginn der Abholfrist sei der 6. Juli 2012 gewesen. Der Beschwerdeführer habe den Termin nicht eingehalten.

Am 9. August 2012 habe am Sitz der Landesgeschäftsstelle des AMS ein Gespräch mit dem Beschwerdeführer stattgefunden. Dabei sei auch die Nichteinhaltung des Kontrollmeldetermins besprochen worden, und der Beschwerdeführer habe im Lauf des Gesprächs den erstinstanzlichen Bescheid vom 2. August 2012 betreffend den Anspruchsverlust vom 17. Juli 2012 bis 19. Juli 2012 vorgelegt. Der in der Berufung erhobene Einwand des Beschwerdeführers, den Bescheid nicht erhalten zu haben, sei daher obsolet.

Entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers treffe es auch nicht zu, dass über die Vorschreibung des Kontrollmeldetermins ein eigener Bescheid zu erlassen sei.

Die Verhängung der Sanktion gemäß § 49 AlVG sei daher zu Recht erfolgt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

1. Der Beschwerdeführer bringt vor, dass ihm der erstinstanzliche Bescheid vom 2. August 2012 nicht zugegangen sei. Dies sei auch in den Akten dokumentiert, und die Behauptung der belangten Behörde, der Beschwerdeführer hätte einen erstinstanzlichen Bescheid bei sich gehabt, reiche nicht aus, um verfahrensrechtliche Fehler zu beheben.

2. Tatsächlich ergibt sich aus den vorgelegten Verwaltungsakten nicht, dass der erstinstanzliche Bescheid dem Beschwerdeführer zugestellt (und somit erlassen) worden ist. Vorgelegt wurde lediglich ein "Screenshot" (Bildschirmausdruck), aus dem eine Bezugseinstellung vom 17. bis 19. Juli 2012 wegen der Versäumung eines Kontrolltermins hervorgeht. Dass ein entsprechender Bescheid tatsächlich erlassen worden ist, lässt sich den Verwaltungsakten aber nicht entnehmen. Auch das dem Verwaltungsgerichtshof nachträglich übermittelte "Duplikat" eines solchen Bescheides belegt nicht dessen Erlassung.

Im - nicht die Voraussetzungen einer formellen Niederschrift im Sinn des § 14 AVG erfüllenden - "Kurzprotokoll" vom 9. August 2012, auf das sich die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides bezieht, ist zwar festgehalten, dass der Beschwerdeführer den Bescheid im Zuge einer Besprechung vorgelegt habe, womit die Berufungsfrist zu laufen begonnen habe. Der Beschwerdeführer hat aber schon in dem als Berufung behandelten Schreiben vom 19. August 2012 vorgebracht, dass es sich beim erwähnten Schriftstück nur um das "Muster eines Bescheides" gehandelt habe. Mit diesem Einwand hat sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nicht auseinandergesetzt. Damit ist nicht klar, ob es sich bei dem Schriftstück, das der Beschwerdeführer vorgelegt haben soll, um den fraglichen erstinstanzlichen Bescheid gehandelt hat.

Auch aus der Erhebung der "Berufung" lässt sich nicht erschließen, dass dem Beschwerdeführer der erstinstanzliche Bescheid tatsächlich zugegangen ist; in dem als Berufung behandelten Schreiben wird nämlich an keiner Stelle auf diesen Bescheid Bezug genommen, es wendet sich vielmehr gegen die Tatsache der Nichtanweisung der Notstandshilfe für drei Tage sowie allgemein gegen die Vorgangsweise des AMS.

3. Eine Berufung kann sich aber nur gegen einen Bescheid richten. Liegt kein Bescheid vor, so kann eine eingebrachte Berufung einer meritorischen Behandlung nicht zugeführt werden; sie muss vielmehr als unzulässig zurückgewiesen werden. Ist die erstbehördliche Erledigung nicht rechtswirksam erlassen worden, so hat dies den Mangel der Zuständigkeit der Behörde zu einem meritorischen Abspruch über das Rechtsmittel des Beschwerdeführers zur Folge. Die Zuständigkeit reicht in derartigen Fällen nur soweit, das Rechtsmittel wegen Unzulässigkeit zurückzuweisen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. August 2012, Zl. 2009/08/0209, mwN).

Geht - wie hier - aus den Verwaltungsakten eine Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides nicht hervor, ist die Behörde grundsätzlich verpflichtet, den maßgeblichen Sachverhalt amtswegig zu ermitteln und in ihrem Bescheid Feststellungen über jene Tatsachen zu treffen, aus denen sich der rechtliche Schluss ableiten lässt, ein erstinstanzlicher Bescheid sei durch Zustellung an die Partei erlassen worden (vgl. neuerlich das zitierte Erkenntnis vom 13. August 2012).

Nur bejahendenfalls wäre im Beschwerdefall davon auszugehen, dass eine (allerdings mangelhafte und daher zu verbessernde - vgl. dazu Hengstschläger/Leeb, AVG § 63 Rz 77 ff) Berufung eingebracht wurde. Ist hingegen die Zustellung eines erstinstanzlichen Bescheides nicht festzustellen, kann der Schriftsatz des Beschwerdeführers nur als Stellungnahme gegenüber der regionalen Geschäftsstelle bzw. als Bescheidantrag an diese gewertet werden.

4. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 11. Dezember 2013

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