VwGH 2011/23/0356

VwGH2011/23/035621.3.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Robl, Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold und Mag. Feiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde der D in W, vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 31. Mai 2010, Zl. SD 81/05, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §66;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §66;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 11. Dezember 2004 war gegen die Beschwerdeführerin, eine kroatische Staatsangehörige, gemäß § 49 Abs. 1 und § 48 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden.

Der dagegen erhobenen Berufung gab die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid vom 31. Mai 2010 keine Folge und sie bestätigte den angefochtenen Bescheid mit der Maßgabe, dass sich das Aufenthaltsverbot auf § 87 iVm § 86 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) stütze.

In ihrer Begründung führte die belangte Behörde zusammengefasst aus, dass sich die 1975 in Deutschland geborene Beschwerdeführerin zunächst seit 1989 rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe.

Wegen zweier - näher dargestellter - Verurteilungen wegen (vor allem) Vermögensdelikten am 11. Juli 1994 zu einer Geldstrafe und am 19. April 1999 zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, wovon ein Teil von 16 Monaten bedingt nachgesehen worden sei, sei gegen die Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 17. Dezember 1999 ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden. Dieses sei mit Bescheid vom 4. November 2002 (gemäß § 68 Abs. 2 AVG) wieder aufgehoben worden. In der Folge sei ihr eine (auf ihre Mutter bezogene) Niederlassungsbewilligung "Familiengemeinschaft mit Österreicher" erteilt und anschließend verlängert worden.

Mit zwei weiteren - ebenfalls näher dargestellten - Urteilen sei die Beschwerdeführerin im Jahr 2004 wegen versuchter (teilweise gewerbsmäßiger) Ladendiebstähle zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Monaten bzw. zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, wobei ein Teil von neun Monaten bedingt nachgesehen worden sei, verurteilt worden. Mit Urteil des Bezirksgerichtes Josefstadt vom 14. Februar 2007 sei sie schließlich wegen (des Vergehens des Diebstahls nach) § 127 StGB zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt worden, weil sie am 19. September 2006 einem Anderen ein Mobiltelefon und eine Packung Zigaretten im Gesamtwert von EUR 400,-- weggenommen habe.

Nach Darstellung des Vorbringens der Beschwerdeführerin erwog die belangte Behörde rechtlich, dass auf die Beschwerdeführerin im Sinn des § 87 FPG der § 86 Abs. 1 FPG anzuwenden sei. Auf Grund ihrer Verurteilungen sei der - als Orientierungsmaßstab heranzuziehende - Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllt. Angesichts ihres den Verurteilungen zugrunde liegenden Fehlverhaltens lägen (auch) die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 FPG vor.

Die belangte Behörde ging im Hinblick auf den bisherigen inländischen Aufenthalt und die familiären Bindungen der Beschwerdeführerin (zu ihren Eltern und zu ihren beiden minderjährigen Kindern) von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen "Eingriff in ihr Privatleben" aus. Dessen ungeachtet sei diese Maßnahme im Grunde des § 66 FPG zulässig und zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten. Das bisherige Verhalten der Beschwerdeführerin zeige nämlich, dass sie nicht in der Lage oder gewillt sei, die österreichischen Rechtsvorschriften einzuhalten. Eine Zukunftsprognose für sie könne daher nicht positiv ausfallen. Berufliche Bindungen der Beschwerdeführerin - so führte die belangte Behörde weiter aus - seien nicht aktenkundig. Die zweifelsfrei erheblichen familiären Bindungen würden dadurch relativiert, dass die Beschwerdeführerin seit 9. Oktober 2008 amtlich von ihrer Wohnanschrift abgemeldet und zur Aufenthaltsermittlung zum Antritt des Strafvollzugs ausgeschrieben sei. Ihre beiden Kinder seien seit 21. April 2008 bei ihrer Mutter gemeldet. Die privaten Interessen hätten daher hinter den hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interessen in den Hintergrund zu treten. Von der Erlassung des Aufenthaltsverbots könne auch nicht im Rahmen des Ermessens Abstand genommen werden.

Zur Dauer des Aufenthaltsverbots führte die belangte Behörde abschließend aus, dass in Anbetracht des Gesamt(fehl)verhaltens der Beschwerdeführerin auch unter Bedachtnahme auf ihre private Situation ein Wegfall des für die Erlassung maßgeblichen Grundes nicht vor Verstreichen des festgesetzten Zeitraums erwartet werden könne.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die zu diesem Zeitpunkt (Juni 2010) geltende Fassung.

Die Beschwerdeführerin bestreitet ihre strafgerichtlichen Verurteilungen nicht, sie wendet jedoch gegen die Gefährdungsprognose und im Hinblick auf die Interessenabwägung nach § 66 FPG im Wesentlichen ein, dass sie zuletzt wegen eines Vorfalls im Jahr 2006 verurteilt worden sei. Damals sei sie jedoch unter dem schlechten Einfluss ihres "Ex-Lebensgefährten" gestanden und es sei ihre damalige Suchtgifterkrankung Ursache für die Straffälligkeit gewesen. Seit drei Jahren sei sie von ihrem früheren Lebensgefährten getrennt; den (Suchtmittel-)Entzug habe sie erfolgreich abgeschlossen. Sie habe sich in den letzten vier Jahren wohlverhalten und sei nicht mehr straffällig geworden.

Nach ihrer Geburt in Deutschland habe sie bereits mehr als die Hälfte ihres Lebens in Österreich verbracht. Zu Kroatien habe sie hingegen keinerlei Bezug. Seit dem Jahr 2002 lebe sie wieder durchgehend im Bundesgebiet, wo sie intensiv von ihren Eltern - die österreichische Staatsbürger seien - unterstützt werde. Ihr älterer Sohn besuche in Österreich die Schule; ihr jüngerer Sohn werde im Inland wegen einer chronischen Erkrankung fortlaufend medizinisch behandelt. Seit Überwindung ihrer Suchtgifterkrankung führe sie mit ihren Kindern auch wieder ein intensives Familienleben. Sie habe zudem inzwischen das Gewerbe der Hausbetreuung angemeldet und eine verbindliche Arbeitsplatzzusage.

Die belangte Behörde habe sich im über fünfeinhalb Jahre dauernden Berufungsverfahren mit ihrer aktuellen Lebenssituation überhaupt nicht auseinander gesetzt und ohne weitere Ermittlungen und ohne Gewährung von Parteiengehör den angefochtenen Bescheid erlassen.

Diesem Beschwerdevorbringen kommt insofern Berechtigung zu, als die belangte Behörde im Hinblick auf die Dauer des Berufungsverfahrens von knapp fünf Jahren und sechs Monaten Gelegenheit hätte geben müssen, für die Gefährdungsprognose und die persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin an einem Verbleib im Bundesgebiet maßgebliche Änderungen ihrer aktuellen Situation vorzutragen (vgl. dazu etwa zuletzt das Erkenntnis vom 21. Februar 2013, Zl. 2011/23/0640). Da die belangte Behörde dieser Verpflichtung nicht entsprochen hat, war der Beschwerdeführerin ihr in der Beschwerde erstattetes Vorbringen, einen Suchtmittelentzug erfolgreich abgeschlossen zu haben, nicht verwehrt (siehe dazu auch das Erkenntnis vom 21. Februar 2013, Zl. 2011/23/0195, mwN).

Waren aber die der Beschwerdeführerin zur Last liegenden strafbaren Handlungen als Ausfluss ihrer Drogenabhängigkeit anzusehen - wofür sowohl die Ausführungen im erstinstanzlichen Bescheid als auch die Entscheidungsgründe des Strafurteils vom 19. April 1999, das dem angefochtenen Bescheid als Bestandteil seiner Begründung angeschlossen wurde, sprechen würden - käme dem vorgebrachten Therapieerfolg maßgebliche Bedeutung schon im Hinblick auf die Prüfung der Gefährlichkeitsprognose zu (vgl. das Erkenntnis vom 18. Oktober 2012, Zl. 2011/23/0417, mwN).

Die belangte Behörde hat den angefochtenen Bescheid daher mit einem relevanten Verfahrensmangel belastet. Schon deshalb war der Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 5 und 6 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 21. März 2013

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