VwGH 2011/16/0195

VwGH2011/16/019529.4.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Mairinger und Mag. Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Wagner, über die Beschwerde der M in W, vertreten durch MMag. Dr. Christopher Schrank, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Mariahilfer Straße 116, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom 7. Juni 2011, Zl. RV/0143- W/11, betreffend Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen für den Zeitraum Juli bis Oktober 2008, zu Recht erkannt:

Normen

FamLAG 1967 §2 Abs5 lita;
FamLAG 1967 §2a Abs1;
FamLAG 1967 §5 Abs3;
FamLAG 1967 §2 Abs5 lita;
FamLAG 1967 §2a Abs1;
FamLAG 1967 §5 Abs3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 19. Oktober 2010 forderte das Finanzamt von der Beschwerdeführerin Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge im Gesamtbetrag von 1.549,60 EUR zurück, welche die Beschwerdeführerin für ihre Enkeltochter Sabine für den Zeitraum Juli bis Oktober 2008 bezogen hat. "Lt. ausführlicher Begründung in der Berufungsentscheidung" der belangten Behörde vom 1. Oktober 2010 (welche in den vorgelegten Verwaltungsakten nicht enthalten ist) sei eine Haushaltszugehörigkeit nur bis Juni 2008 gegeben gewesen.

Mit Schriftsatz vom 15. November 2010 berief die Beschwerdeführerin dagegen mit der Begründung, sie habe nicht nur, aber auch während des Rückforderungszeitraumes ihre Enkelin in Pflege und Erziehung gehabt und ihr den gesamten Lebensunterhalt finanziert. Sabine sei außerdem bis zum 8. September 2008 bei der Beschwerdeführerin hauptgemeldet gewesen und habe keinen Nebenwohnsitz gehabt, sodass schon allein aus diesem Grund die Beträge für Juli und August 2008 zu Recht bezogen worden seien. Sabine sei auch weiterhin bei der Beschwerdeführerin gewesen, sei aber von ihrer Mutter, J.M., ohne Wissen der Beschwerdeführerin und ohne ihre Zustimmung abgemeldet worden, obwohl sie weiter bei der Beschwerdeführerin im Haushalt gelebt habe.

Die belangte Behörde nahm mit A.L., der leitenden Sozialarbeiterin der Regionalstelle Soziale Arbeit des Amtes für Jugend und Familie des Magistrats der Stadt Wien am 29. März 2011 eine Niederschrift auf. A.L. habe ausgesagt, Sabine sei seit 20. Jänner 2004 im Rahmen der vollen Erziehung der Stadt Wien untergebracht gewesen. Die Pflege und Erziehung sei von unterschiedlichen Personen ausgeübt worden: "Die Großmutter bis zum 28.5.2008, dann die Kinderklinik G, dann das Krankenhaus R und dann vom Vater." Auf Grund eines Berichtes aus Serbien - es sei die österreichische Botschaft in Belgrad vom Jugendamt ersucht worden, Erhebung beim in Serbien lebenden Vater Sabines durchzuführen, bei dem sich Sabine ab dem 16. August 2008 befunden habe - habe das Jugendamt die volle Erziehung beendet. Mit 1. April 2009 sei durch den Jugendwohlfahrtsträger ein "Abklärungsverfahren von Gefährdung des Kindeswohls" mit Aufnahme Sabines im Krisenzentrum N wieder begonnen worden.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Bei der Schilderung des Verwaltungsgeschehens findet sich folgender Text:

"Angemerkt wird, dass in der Berufungsentscheidung des UFS Wien, GZ RV/0870-W/10 vom 1. Oktober 2010, auf Seite 8 unter 'Sachverhaltsmäßig steht folgendes fest' - soweit dies den gegenständlichen Rückzahlungszeitraum betrifft - wörtlich ausgeführt wurde:

'Nach bzw. seit dem 18. Juni 2009 durfte sich Sabine M. wegen Kindeswohlgefährdung auf Grund eines Verbotes des Jugenwohlfahrtsträgers nicht mehr bei der Großmutter, (Beschwerdeführerin), aufhalten.

Seit dem 18. Juni 2008 war die Mutter von Sabine (M.), Frau (J.M.), Ansprechperson des Jugendwohlfahrtsträgers und hat sich auch seither um ihre Tochter gekümmert.

Sabine (M.) hielt sich vom 15. August 2008 bis 1. April 2009 in Serbien auf.'

Angemerkt wird weiters, dass der Zeitraum, über den in der Berufungsentscheidung des UFS Wien, GZ RV/870-W/10 vom 1. Oktober 2010, betreffend die Abweisung eines Antrages der Bw. auf Gewährung der (erhöhten) Familienbeihilfe abgesprochen wurde, die Monate November 2008 bis Februar 2010 und somit nicht den gegenständlichen Rückzahlungszeitraum betraf."

Nach Wiedergabe verschiedener Rechtsvorschriften stellte die belangte Behörde fest, die Beschwerdeführerin habe im Rückforderungszeitraum vom 1. Juli bis zum 31. Oktober 2008 (erhöhte) Familienbeihilfe für ihre Enkelin Sabine M. bezogen. Diese habe sich in der Zeit vom 28. Mai 2008 bis 9. Juni 2008 durchgängig stationär in der Kinderklinik G und ab dem 9. Juni 2008 bis zum 15. August 2008, wiederum durchgängig, im Krankenhaus R aufgehalten. Die Beschwerdeführerin habe ihre Enkelin im angeführten Zeitraum in den genannten Einrichtungen besucht, dieser Süßigkeiten usw. mitgebracht und deren Wäsche gewaschen. Während des Aufenthaltes von Sabine in der Kinderklinik G habe die Beschwerdeführerin in diesem über ein eigenes Bett verfügt und bei ihrer Enkelin übernachtet. Ab dem 16. oder 18. August 2008 habe sich Sabine bei ihrem Vater in Serbien aufgehalten. Dieser Aufenthalt habe bis zum 1. April 2009 angedauert.

Die belangte Behörde nehme in Ausübung freier Beweiswürdigung als erwiesen an, dass Sabine im gegenständlichen Zeitraum nicht dem Haushalt der Beschwerdeführerin angehört habe und dass diese in der Zeit vom 1. Juli bis zum 31. Oktober 2008 nicht überwiegend für die Unterhaltskosten ihrer Enkelin aufgekommen sei. Dies gründe die belangte Behörde aus den unbedenklichen Auskünften des Amtes für Jugend und Familie. Indem sich Sabine in den beiden genannten Spitälern befunden habe, sei eine Zugehörigkeit Sabines zum Haushalt der Beschwerdeführerin faktisch unmöglich und somit keinesfalls gegeben gewesen. Was Sabines Serbienaufenthalt anbelange, sei darauf zu verweisen, dass die Beschwerdeführerin diesem nicht widersprochen habe. Somit sei auch für die Zeit nach Sabines Spitalsaufenthalten keine Zugehörigkeit der Enkelin der Beschwerdeführerin zu deren Haushalt gegeben. Die Finanzierung des gesamten Lebensunterhaltes Sabines während des Rückforderungszeitraumes sei von der Beschwerdeführerin nicht nachgewiesen worden. Einem diesbezüglichen Vorhalt vom 14. April 2011 sei die Beschwerdeführerin nicht nachgekommen.

Der Umstand, dass die Beschwerdeführerin denkmöglich höchstens zwölf Nächte bei ihrer Enkelin im W verbracht und dabei ihre Enkelin betreut habe, vermöge keine Zugehörigkeit Sabines zum Haushalt der Beschwerdeführerin zu vermitteln. Die Leistungen der Beschwerdeführerin für ihre Enkelin (Waschen deren Wäsche in der Zeit der Spitalsaufenthalte, Mitbringen von Süßigkeiten usw.) begründeten nicht die überwiegende Tragung der Unterhaltskosten.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher sich die Beschwerdeführerin ersichtlich im Recht verletzt erachtet, dass Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge nicht rückgefordert werden.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und reichte eine Gegenschrift ein, in welcher sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. a des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 - FLAG haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder.

Gemäß § 2 Abs. 2 FLAG hat Anspruch auf Familienbeihilfe die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.

Gemäß § 2 Abs. 3 FLAG sind Kinder im Sinne des betreffenden

Abschnittes des FLAG die Nachkommen einer Person.

§ 2 Abs. 5 FLAG lautet:

"(5) Zum Haushalt einer Person gehört ein Kind dann, wenn es bei einheitlicher Wirtschaftsführung eine Wohnung mit dieser Person teilt. Die Haushaltszugehörigkeit gilt nicht als aufgehoben, wenn

a) sich das Kind nur vorübergehend außerhalb der gemeinsamen Wohnung aufhält,

  1. b) das Kind für Zwecke der Berufsausübung ...
  2. c) sich das Kind wegen eines Leidens oder Gebrechens nicht nur vorübergehend in Anstaltspflege befindet, wenn die Person zu den Kosten des Unterhalts mindestens in Höhe der Familienbeihilfe für ein Kind beiträgt; handelt es sich um ein erheblich behindertes Kind, ..."

    Wer Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, hat gemäß § 26 Abs. 1 FLAG die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen.

    Gemäß § 33 Abs. 4 Z. 3 lit. a EStG 1988 in der im Beschwerdefall für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2008 geltenden Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 59/2001 und gemäß § 33 Abs. 3 EStG 1988 in der im Beschwerdefall für den Zeitraum ab 1. Jänner 2009 geltenden Fassung des Steuerreformgesetzes 2009, BGBl. I Nr. 26, steht Steuerpflichtigen, denen auf Grund des FLAG Familienbeihilfe gewährt wird, im Wege der gemeinsamen Auszahlung mit der Familienbeihilfe ein Kinderabsetzbetrag in näher genannter Höhe für jedes Kind zu. Wurden Kinderabsetzbeträge zu Unrecht bezogen, ist § 26 FLAG anzuwenden.

    Eingangs ist festzuhalten, dass die belangte Behörde in freier Beweiswürdigung zwar einen Sachverhalt feststellen durfte, dass die Frage der Haushaltszugehörigkeit aber eine (nach § 2 Abs. 5 FLAG vorzunehmende) rechtliche Würdigung eines solcherart festgestellten Sachverhaltes darstellt.

    Die belangte Behörde entnimmt aus der faktischen Unmöglichkeit einer Haushaltszugehörigkeit Sabines zum Haushalt der Beschwerdeführerin während des Zeitraums der Spitalsaufenthalte, dass die Beschwerdeführerin für diesen Zeitraum mangels Haushaltszugehörigkeit ihrer Enkeltochter keinen Anspruch auf Familienbeihilfe habe.

    Dabei übersieht die belangte Behörde die von der Beschwerdeführerin zu Recht ins Treffen geführte Bestimmung des § 2 Abs. 5 lit. a FLAG, wonach die Haushaltszugehörigkeit bei einem vorübergehenden Aufenthalt außerhalb der gemeinsamen Wohnung nicht als aufgehoben gilt. Ungeachtet der faktischen Unmöglichkeit des gemeinsamen Wohnens in diesem Zeitraum stellt das Gesetz bei einer vorübergehenden Abwesenheit die Fiktion auf, dass die Haushaltszugehörigkeit nicht als aufgehoben gilt.

    Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem zu § 2a FLAG ergangenen Erkenntnis vom 24. Jänner 2007, 2003/13/0141, VwSlg 8.199/F, zu dem dort in Rede stehenden gemeinsamen Haushalt beider Elternteile ausgeführt, dass ein bestehender gemeinsamer Haushalt etwa durch gewisse durch Lebensumstände bedingte, auf nicht allzu lange Zeit berechnete Unterbrechungen des Zusammenlebens (wie etwa Krankenhaus- und Erholungsaufenthalte) nicht beseitigt wird. Dazu hat er auch in jenem Beschwerdefall die Dauer einer Untersuchungshaft gezählt. Der im vorliegenden Beschwerdefall unstrittig vom 28. Mai bis zum 15. August 2008, somit weniger als drei Monate dauernde Krankenhausaufenthalt Sabines kann bei dieser Dauer als nur vorübergehender Aufenthalt außerhalb einer gemeinsamen Wohnung angesehen werden.

    Ausgehend davon, dass die belangte Behörde diese Bestimmung verkannte, hat sie keinerlei Feststellungen getroffen, welchem Haushalt Sabine vor ihrem Krankenhausaufenthalt angehört hatte. Insbesondere der Inhalt der erwähnten Niederschrift vom 29. März 2011 mit der Sozialarbeiterin des Amtes für Jugend und Familie des Magistrats der Stadt Wien, wonach die Pflege und Erziehung von Sabine im Rahmen der vollen Erziehung der Stadt Wien von unterschiedlichen Personen ausgeübt worden sei und die Großmutter (die Beschwerdeführerin) diese bis zum 28. Mai 2008 ausgeübt habe, hätte die belangte Behörde zu Feststellungen veranlassen müssen, in wessen Haushalt Sabine vor dem Krankenhausaufenthalt, vor dem 28. Mai 2008 gelebt hatte. Sollte dies der Haushalt der Beschwerdeführerin gewesen sein, so wäre ein solcher gemeinsamer Haushalt durch die Krankenhausaufenthalte allein im genannten Zeitraum nicht aufgehoben worden. Im Zuge der Schilderung des Verwaltungsgeschehens getroffene "Anmerkungen" über den Inhalt einer einen anderen Zeitraum betreffenden Berufungsentscheidung ersetzen eine Sachverhaltsfeststellung nicht.

    Soweit die Zeit des Serbienaufenthaltes Sabines betroffen ist, spräche die Dauer dieses Aufenthaltes von Mitte August 2008 bis 1. April 2009, sohin in einem Zeitraum von etwa siebeneinhalb Monaten, bei einer ex-post-Betrachtung für einen nicht nur vorübergehenden Aufenthalt, somit für einen ständigen Aufenthalt iSd § 5 Abs. 3 FLAG. Allerdings ist für die Frage, ob ein Aufenthalt ein vorübergehender oder ein ständiger ist, von einer ex ante - Betrachtung auszugehen (vgl. insbesondere das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2012, 2012/16/0008). Mangels jeglicher Feststellungen über die näheren Umstände des Aufenthalts Sabines in Serbien lässt der angefochtene Bescheid keine rechtlichen Beurteilung zu, ob dieser Aufenthalt (ex ante betrachtet) als vorübergehender oder als ständiger Aufenthalt im Sinn der hg. Rechtsprechung angesehen werden kann.

    Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

    Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

    Wien, am 29. April 2013

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte