VwGH 2011/05/0054

VwGH2011/05/005418.3.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Waldstätten, Dr. Enzenhofer und Dr. Moritz sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Kalanj, über die Beschwerde des Magistrates der Stadt Wien, vertreten durch Köhler Draskovits Unger Rechtsanwälte GmbH in 1060 Wien, Amerlingstraße 19, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 10. Februar 2011, Zl. UVS- 02/11/9458/2010-12, betreffend Entfernung von Plakatständern durch Sofortmaßnahme (mitbeteiligte Partei: A. Partei in Wien, vertreten durch Suppan & Spiegl Rechtsanwälte GmbH in 1160 Wien, Konstantingasse 6-8/9; weitere Partei: Wiener Landesregierung), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §7;
B-VG Art118 Abs6;
B-VG Art131 Abs2;
EMRK Art10 Abs2;
EMRK Art10;
UVSG Wr 1990 §14a;
VwGG §42 Abs2 Z1;
WerbeständerV Wr 1980 §2;
WerbeständerV Wr 1980;
WStV 1968 §108 Abs2;
AVG §7;
B-VG Art118 Abs6;
B-VG Art131 Abs2;
EMRK Art10 Abs2;
EMRK Art10;
UVSG Wr 1990 §14a;
VwGG §42 Abs2 Z1;
WerbeständerV Wr 1980 §2;
WerbeständerV Wr 1980;
WStV 1968 §108 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Ein Kostenersatz findet nicht statt.

Begründung

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde gemäß § 67c Abs. 3 AVG die zwangsweise Entfernung von neun großformatigen Wahlwerbeständern im September 2010 im Wege unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt auf Basis des § 2 der Verordnung des Magistrates der Stadt Wien betreffend die Freihaltung des Stadtbildes von störenden Werbeständern (Werbeständerverordnung) wegen Verstoßes gegen Art. 10 EMRK für rechtswidrig erklärt.

Gemäß § 79 Abs. 1 und 4 AVG wurde die Stadt Wien verpflichtet, der mitbeteiligten Partei die mit EUR 1.659,60 bezifferten Kosten auf Grund der UVS-Aufwandersatzverordnung binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

In der Bescheidbegründung verwies die belangte Behörde zunächst auf die vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat Wien am 2. Februar 2011 abgehaltene mündliche Verhandlung.

Seitens des Magistrates der Stadt Wien und der mitbeteiligten Partei sei übereinstimmend davon ausgegangen worden, dass die neun näher genannten großflächigen Plakatständer politischen Inhalts in einem Akt unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt entfernt worden seien. Zuvor sei kein Bewilligungsverfahren durchgeführt worden. Die Großplakatständer seien letztlich "sua sponte" von der mitbeteiligten Partei wie von anderen wahlwerbenden Parteien aufgestellt worden. Ein bescheidmäßiges Untersagungsverfahren habe nicht stattgefunden.

Bereits mit dem hg. Erkenntnis vom 28. April 1993, Zl. 92/02/0204, sei ein auf Basis des § 82 StVO erlassener Strafbescheid gegen zwei Studentinnen für rechtswidrig erklärt worden, da er deren Recht auf freie Meinungsäußerung eingeschränkt habe. Auch in jüngerer Rechtsprechung folge der Verwaltungsgerichtshof dem auf Art. 10 EMRK fußenden Primat des Grundrechtes auf freie Meinungsäußerung und nehme etwa einen Beamten in Schutz, der Kritik an der eigenen Behörde ausgesprochen habe, da ihn die diesbezügliche Disziplinierung in seinem Grundrecht auf Meinungsäußerung eingeschränkt habe. Auch die Europäische Rechtsprechung betone den Vorrang der Grundrechte gegenüber staatlichen Eingriffen (nähere Anführung von Judikatur). Der Verwaltungsgerichtshof habe in weiteren Judikaten auch klargestellt, dass § 82 StVO nicht den Vertrieb von Schriften zum Gegenstand habe, sondern dem Schutz eines von der Meinungsfreiheit völlig verschiedenen Rechtsgutes diene. Auch der Verfassungsgerichtshof habe dieser Rechtsauffassung entsprochen. Ebenso betonten die Zivilgerichte bei der Beurteilung der Freiheit auf Meinungsäußerung den Primat der grundrechtlichen Stellung des Art. 10 EMRK.

Dem gegenüber setze die Behörde auf die befugte Entfernung auf der Grundlage der ortspolizeilichen Verordnung über Werbeständer. Es werde konzediert, dass bereits Ende Juli die diesbezüglichen Anträge eingegangen seien, was mit einer Aufstellung etwa Anfang September korreliere (fünf Wochen vor dem Wahltermin). Aus organisatorischen Gründen sei jedoch eine Bearbeitung in dieser kurzen Frist nicht möglich gewesen, nicht einmal von Teilakten. Der Verfassungsgerichtshof habe in ständiger Rechtsprechung darauf hingewiesen, dass die Behörde organisatorische Maßnahmen in ausreichendem Umfang zu treffen habe, um sicherzustellen, dass die Grundrechte keine unzulässige, unverhältnismäßige Einschränkung erführen. Respektive zu unzulässigen Haftzeiten habe der Verfassungsgerichtshof eine rigorose Rechtsprechung verfolgt. Vor diesem Hintergrund hätten die Einwendungen der Behörde als fehlende organisatorische Maßnahme gewertet werden müssen, da unbesrittenermaßen die eingereichten Anträge in ihrer Gesamtheit keiner Behandlung innerhalb der verbleibenden Frist von etwa sechs Wochen zugeführt worden seien, sondern vorerst mangels eigener Sachverständiger ein Gutachten eingeholt worden und selbst danach keine meritorische Entscheidung ergangen sei. Ein Stichtag für die Antragstellung sei nicht festgelegt gewesen. Der Wahltermin vom 10. Oktober 2010 sei schon lange bekannt gewesen. Es sei daher durch den Unabhängigen Verwaltungssenat Wien die Feststellung des Fehlens entsprechender organisatorischer Maßnahmen auszusprechen. Der Einwand, 1.100 genehmigte Werbeständer seien genug, vermöge angesichts des Grundrechts auf unbeschränkte Meinungsfreiheit nicht zu überzeugen. Doch auch die gesetzliche Grundlage, die zur zwangsweisen Entfernung herangezogen worden sei, habe beim Unabhängigen Verwaltungssenat Bedenken erwecken müssen. Die Ermächtigung zur zwangsweisen Entfernung in § 2 der Werbeständerverordnung ziele lediglich auf den fehlenden Aufkleber ab. Sonstige Einwände, wie die in der öffentlichen mündlichen Verhandlung und in der Gegenschrift vorgebrachten Sicherheitsbedenken, könnten somit nicht auf der Grundlage der Werbeständerverordnung "zwangsweise vollzogen werden". Die Anwendbarkeit der Werbeständerverordnung, insbesondere deren § 2 als Basis für die Zwangsmaßnahme, scheide somit aus und vermöge den Grundrechtseingriff nicht zu rechtfertigen (der Verwaltungsstraftatbestand des fehlenden Aufklebers sei von der mitbeteiligten Partei nicht bestritten worden).

Nach Auffassung des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien wäre anhand der Bestimmungen der StVO, allenfalls je nach Ausmaß der Bauordnung für Wien, bescheidmäßig eine Aufstellung in einem ordentlichen Verfahren zu prüfen, nicht jedoch auf Basis des Wiener Gebrauchsabgabegesetzes, und auch nach der Werbeständerverordnung wäre keine hinreichende Grundlage für die zwangsweise Entfernung von Plakatständern politischen Inhaltes zu suchen. Es sei evident, dass lediglich die letztgenannte Bestimmung seitens der Behörde rechtlich herangezogen worden sei. Dies ergebe sich aus der Gegenschrift und dem Verhandlungsprotokoll. Eine im Vorfeld erfolgte bescheidmäßige Versagung sei nicht vorgelegen, sodass die beschwerdeführende Partei in Ausübung der Meinungsfreiheit, neben anderen wahlwerbenden Gruppen, somit versucht habe, wenn auch bewilligungslos, ihre politischen Inhalte zu vermitteln. Die von der Behörde mitgeteilten sicherheitstechnischen und straßenpolizeilichen Bedenken hätten in einem abzuführenden Verfahren festgestellt werden müssen. Auf einfachgesetzlichen Bestimmungen des Landesgesetzgebers fußende ortspolizeiliche Verordnungen dürften jedoch den Grundrechtscharakter der Bestimmung des Art. 10 EMRK nicht aushöhlen. Für die unmittelbare verwaltungsbehördliche zwangsmäßige Entfernung sei somit keine gesetzliche Handhabe vorgelegen, sodass sich der angefochtene Verwaltungsakt in seiner Gesamtheit als rechtswidrig erweise.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und, ebenso wie die mitbeteiligte Partei, in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 2 des Gesetzes über den Unabhängigen Verwaltungssenat Wien, LGBl. Nr. 53/1990 (das Gesetz in der Fassung LGBl. Nr. 32/2010), lautet:

"Aufgaben

§ 2. Der Unabhängige Verwaltungssenat entscheidet gemäß Art. 129 a Abs. 1 B-VG

1. in Verfahren wegen Verwaltungsübertretungen, ausgenommen Finanzstrafsachen des Bundes,

2. über Beschwerden von Personen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein, ausgenommen in Finanzstrafsachen des Bundes,

3. in sonstigen Angelegenheiten, die ihm durch die die einzelnen Gebiete der Verwaltung regelnden Bundes- oder Landesgesetze zugewiesen werden,

4. über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in Angelegenheiten der Z 1, soweit es sich um Privatanklagesachen oder um das landesgesetzliche Abgabenstrafrecht handelt, und der

Z 3."

§ 14a des Gesetzes über den Unabhängigen Verwaltungssenat Wien lautet:

"Amtsbeschwerde

§ 14a. Gegen Entscheidungen des Unabhängigen Verwaltungssenates in Angelegenheiten gemäß § 2, die in Gesetzgebung Landessache sind, kann der Magistrat Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit an den Verwaltungsgerichtshof erheben."

Die Verordnung des Magistrats der Stadt Wien betreffend die Freihaltung des Stadtbildes von störenden Werbeständern (Werbeständerverordnung), Amtsblatt der Stadt Wien Nr. 20/1980 idF Nr. 41/2002, lautet:

"Auf Grund der §§ 76 und 108 der Wiener Stadtverfassung wird verordnet:

§ 1. (1) Auf öffentlichen Verkehrsflächen, in öffentlichen Grünanlagen und in anderen Bereichen, die für das Stadtbild von Bedeutung sind, ist das Aufstellen und das Stehenlassen von Ständern, Tafeln, Gerüsten und sonstigen Anlagen, die ihrem Wesen nach zur Gänze oder doch zu einem wesentlichen Teil als Träger von Ankündigungen, Werbemitteilungen und sonstigen textlichen oder bildlichen Darstellungen bestimmt sind, verboten, sofern diese weder einer Gebrauchserlaubnis nach dem Gebrauchsabgabegesetz 1966 noch einer Baubewilligung nach der Bauordnung für Wien bedürfen.

(2) Maximal 1100 mit fortlaufender Nummer gekennzeichnete Anlagen je wahlwerbender Partei, die ausschließlich der politischen Werbung vorbehalten sind, bleiben vom Verbot nach Abs. 1 zu Wahlzeiten ausgenommen. Als Wahlzeit gilt jeweils bei der Wahl des Bundespräsidenten und bei den Wahlen zum Europäischen Parlament, zum Nationalrat, zum Gemeinderat und zu den Bezirksvertretungen der Zeitraum fünf Wochen vor der Wahl bis zum Ablauf einer Woche nach dem Wahltag sowie bei Volksabstimmungen nach bundes- oder landesgesetzlicher Vorschrift der Zeitraum fünf Wochen vor der Volksabstimmung bis zum Ablauf einer Woche nach dem Abstimmungstag. Dasselbe gilt sinngemäß bei Volksbefragungen nach dem Wiener Volksbefragungsgesetz.

(3) Bei Anlagen gemäß Abs 2 ist auf Kosten der wahlwerbenden Parteien am oberen Rand ein deutlich erkennbarer, witterungsbeständiger und fälschungssicherer amtlicher Aufkleber (Anlage I zu dieser Verordnung) anzubringen, der einen Hinweis auf die wahlwerbende Partei in Kurzbezeichnung und eine Nummer, beginnend mit der arabischen Ziffer 1 in aufsteigender Reihenfolge, enthalten und auf dem ein amtliches Zeichen der Behörde ersichtlich sein muss.

(4) Die Anlagen gemäß Abs 2, die nicht mehr ausschließlich der politischen Werbung dienen, sind spätestens am zweiten Tag nach dem jeweiligen Wahltag von den wahlwerbenden Parteien entfernen zu lassen.

§ 2. Anlagen, die entgegen dem Verbot des § 1 Abs 1 oder ohne einen entsprechenden Aufkleber im Sinne des § 1 Abs 3 aufgestellt, angebracht oder stehen gelassen werden oder entgegen § 1 Abs 4 nicht entfernt werden, sind vom Magistrat auf Kosten der jeweiligen wahlwerbenden Partei ohne vorausgegangenes Verfahren zu entfernen und sechs Monate lang aufzubewahren. Die Eigentümer sind durch öffentliche Bekanntmachung aufzufordern, die Anlagen innerhalb dieser Frist zu übernehmen. Nach Ablauf der Frist gilt die unwiderlegliche Vermutung, daß sich der Eigentümer der nicht übernommenen Anlagen entledigen wollte.

§ 3. Wer dem Verbot gemäß § 1 Abs 1 zuwiderhandelt oder eine Anlage gemäß § 1 Abs 2 ohne einen entsprechenden Aufkleber im Sinne des § 1 Abs 3 aufstellt, anbringt oder stehen lässt oder entgegen § 1 Abs 4 nicht entfernt, begeht eine Verwaltungsübertretung und unterliegt der hiefür im § 108 Abs 2 Wiener Stadtverfassung - WStV, LGBl für Wien Nr 28/1968 in der jeweils geltenden Fassung, vorgesehenen Strafe.

§ 4. Diese Verordnung tritt mit 19. Mai 1980 in Kraft."

Art. 10 EMRK hat folgenden Wortlaut:

"Artikel 10 - Freiheit der Meinungsäußerung

(1) Jedermann hat Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Freiheit der Meinung und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ohne Eingriffe öffentlicher Behörden und ohne Rücksicht auf Landesgrenzen ein. Dieser Artikel schließt nicht aus, daß die Staaten Rundfunk-, Lichtspiel- oder Fernsehunternehmen einem Genehmigungsverfahren unterwerfen.

(2) Da die Ausübung dieser Freiheiten Pflichten und Verantwortung mit sich bringt, kann sie bestimmten, vom Gesetz vorgesehenen Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen unterworfen werden, wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes oder der Rechte anderer unentbehrlich sind, um die Verbreitung von vertraulichen Nachrichten zu verhindern oder das Ansehen und die Unparteilichkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten."

In der Beschwerde wird die Verletzung des Parteiengehörs und der Regelungen über das Nichtmitwirken eines befangenen Organs an der Entscheidung sowie über die ordnungsgemäße Ermittlung des tatbestandsrelevanten Sachverhaltes geltend gemacht. Darüber hinaus wird inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides vorgebracht.

Der Verhandlungsleiter (Anmerkung: ident mit dem Bescheidapprobanten) der belangten Behörde habe Dr. R., Bediensteter der MA 65, als informierten Vertreter des Magistrats der Stadt Wien nicht zur Verhandlung zugelassen. Seitens des Magistrates der Stadt Wien sei die Vertretung bei der mündlichen Verhandlung durch den ausgewiesenen rechtsfreundlichen Vertreter einerseits und durch einen informierten Vertreter (Bediensteten) des Magistrats andererseits vorgesehen gewesen. Im Ladungsbescheid sei ausdrücklich aufgefordert worden, einen informierten Vertreter zu entsenden. Erfolgt sei die Entsendung von Mag. W. (MA 46), Mag. H. (MA 48) und Dr. R. (MA 65). Die Abteilung, der Dr. R. angehöre, sei für rechtliche Verkehrsangelegenheiten zuständig und maßgeblich in die Antrags-, Entfernungs- und Vollstreckungsverfahren der übrigen Abteilungen miteingebunden. Gerade Dr. R. habe in diesen Angelegenheiten selbst Besprechungen abgewickelt und gemeinsam mit Vertretern der übrigen Abteilungen Ortsaugenscheine vorgenommen. Des Weiteren habe er anhand von ihm vorgelegter Fotodokumentationen und Pläne die rechtliche Beratung der übrigen Abteilungen durchgeführt. Gerade Dr. R. als Behördenvertreter hätte detailliert die rechtlichen Überlegungen aufzeigen und untermauern können. Er hätte auch auf Grund seiner langjährigen verkehrsrechtlichen Erfahrung auf die Irrelevanz des Vorliegens oder Nichtvorliegens von Bewilligungen gemäß § 82 StVO hinweisen können. Der Verhandlungsleiter habe bei der mündlichen Verhandlung und auch im angefochtenen Bescheid diese Norm für die Entscheidungsfindung über die Rechtmäßigkeit von Entfernungen auf der Grundlage des § 2 der Werbeständerverordnung weitschweifig miteinbezogen. Dr. R. hätte auch das Spannungsverhältnis des Grundrechts gemäß Art. 10 EMRK und der Werbeständerverordnung zu entkräften gewusst. Zudem hatte nur Dr. R. Kenntnis von dem Umstand, dass bereits 1.100 gekennzeichnete Anlagen an die mitbeteiligte Partei vergeben worden seien. Diesen Umstand hätte er bei seiner Einvernahme darlegen können. Außerdem habe Dr. R. Kenntnis darüber gehabt, welche konkreten Werbeanlagen von der inkriminierten Maßnahme betroffen gewesen seien. Er sei derjenige gewesen, der nähere Kenntnis der betreffenden Örtlichkeit gehabt habe. Der Ausschluss von Dr. R. habe eine Verletzung des Parteiengehörs zur Folge gehabt. Dr. R. hätte auch bei der Sachverhaltsermittlung angeben können, dass sich die gegenständlichen Werbeanlagen ausnahmslos auf öffentlichen Verkehrsflächen im Sinne der Werbeständerverordnung befunden hätten und dass für die mitbeteiligte Partei sämtliche Kennzeichnungen bereits vergeben worden seien, womit die Tatbestandsvoraussetzungen für die zwingende Entfernung der Anlage zweifelsfrei gegeben gewesen seien. Der Verhandlungsleiter habe Dr. R. als informierten Vertreter des Magistrats der Stadt Wien nicht zugelassen, und zwar "wegen dessen Vorgehens gegen den Verhandlungsleiter im Vorjahr". Der Verhandlungsleiter sei als Sachverständiger für die Abnahme von praktischen Prüfungen bestellt gewesen, ehe er mit Bescheid vom 10. März 2010 rechtskräftig seiner Sachverständigenfunktion enthoben worden sei. Dr. R. sei als zuständiger Dezernatsleiter über den Ablauf des Enthebungsverfahrens informiert gewesen. Den Enthebungsbescheid habe aber der Abteilungsleiter Mag. B. approbiert. Der Ausschluss des Dr. R. mit der genannten Begründung belege die Befangenheit des Verhandlungsleiters der belangten Behörde. Im vorliegenden Fall ergäben sich auch sachliche Bedenken gegen den Bescheid. In allen gegenständlichen Fällen sei der Aufstellungsort der Werbeanlage unter den Begriff der öffentlichen Verkehrsfläche zu subsumieren gewesen, sodass das Regime der Werbeständerverordnung anzuwenden gewesen sei. Im angefochtenen Bescheid werde aber von der Unanwendbarkeit dieser Verordnung ausgegangen. Die belangte Behörde lasse somit eine Verordnung gänzlich unberücksichtigt, übersehe jedoch, dass gerade diese Verordnung dem Verwaltungshandeln im Sinne des Legalitätsprinzips zwingend zugrunde zu legen sei. Bei Bedenken gegen die Verordnung wäre die belangte Behörde zu ihrer Anfechtung vor dem Verfassungsgerichtshof berufen gewesen. Die Nichtanwendung derselben führt aber zur Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides. Die Regelungen der Werbeständerverordnung dienten einem in Art. 10 Abs. 2 EMRK angeführten öffentlichen Interesse, nämlich der Aufrechterhaltung der Ordnung. Bereits dem Titel der Verordnung sei zu entnehmen, dass durch sie das Stadtbild von störenden Werbeständern freigehalten werden solle. Somit habe die Verordnung den Schutz des Ortsbildes zum Ziel. Der Verfassungsgerichtshof habe ausgesprochen, dass auch die Verfolgung des öffentlichen Interesses des Ortbildschutzes im Rahmen der Aufrechterhaltung der Ordnung im Sinne des Art. 10 Abs. 2 EMRK liege. Die Werbeständerverordnung ziele weder auf die Beschränkung des Grundrechtes auf freie Meinungsäußerung ab noch vermöge sie dieses auszuhöhlen. Die mitbeteilige Partei habe nicht dargetan, inwieweit sie durch die Entfernung von lediglich neun Werbeanlagen bei gleichzeitiger Aufstellung von weiteren 1.100 Werbeanlagen konkret in ihrer Meinungsfreiheit beschränkt worden sei. Eine Grundrechtsverletzung scheide somit auf Grund der festgestellten Vielzahl von ordnungsgemäß aufgestellten Werbeständern aus. Soweit die belangte Behörde fehlende organisatorische Maßnahmen vorgeworfen habe, habe sie eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes zitiert, die nicht die geringste Relevanz für den zu beurteilenden Sachverhalt habe. Eine Aushöhlung des Grundrechtscharaktes bei der Entfernung der Werbeanlagen angesichts 1.100 vorhandener könne nicht ernstlich angenommen werden.

Die belangte Behörde bestreitet in ihrer Gegenschrift die Beschwerdelegitimation. Im angefochtenen Bescheid sei die Anwendbarkeit der Werbeständerverordnung verneint worden. Die Entfernung sei rechtsgrundlos erfolgt. Es könne nicht sein, als Basis eines rechtswidrigen Zwangsaktes eine offenkundig verfehlte rechtliche Grundlage im nachhinein heranzuziehen, um sich dadurch auf der Grundlage vermeintlicher Anwendung mangels gesetzlicher Vorschriften eine spätere Beschwerdemöglichkeit offenzuhalten. Die Frage, ob die Werbeständerverordnung grundrechtswidrig sei, sei nicht verfahrensgegenständlich. Dr. R. sei nicht zur Verhandlung geladen und deshalb auch nicht zuzulassen gewesen. Laut Akt seien nur die MA 46 und die MA 48 befasst, die beide zu Handen der anwaltlichen Vertretung geladen worden seien. Nur diese Abteilungen seien aufgefordert worden, einen informierten Vertreter zu entsenden. Bei der mündlichen Verhandlung habe sich keine Verfahrenspartei dazu geäußert, da der Magistrat der Stadt Wien ausdrücklich eine anwaltliche Vertretung beauftragt habe, die ordnungsgemäß geladen worden und auch erschienen sei und Parteiengehör erhalten habe. Bei der Verhandlung sei nicht vorgebracht worden, dass Dr. R. rechtliche Erörterungen hätte vorbringen können, die die beauftragte anwaltliche Vertretung vorzubringen nicht imstande gewesen wäre. Die Gegenschrift der belangten Behörde an den Unabhängigen Verwaltungssenat sei weder von Dr. R. erstellt noch von Dr. R. unterfertigt worden und es sei auch nicht beantragt worden, diesen vorzuladen, er sei auch nicht als Vertreter namhaft gemacht worden. Genannt worden sei ausschließlich die MA 48 als jene Abteilung, die die faktische Entfernung durchgeführt habe. Eine weitere Anfrage an die MA 48 habe einen Verweis zusätzlich auf die MA 46 gebracht, keineswegs auf die MA 65. Im Sinne der Äußerung des Magistrats der Stadt Wien seien ausschließlich die MA 46 und die MA 48 vorgeladen worden. Die Darlegung einer Befangenheit oder Einschränkung des rechtlichen Gehörs sei somit inhaltlich verfehlt. Unzulässig sei es auch, Ausführungen gegen den Verhandlungsleiter zu tätigen, insoweit es um dessen Beschäftigung im Rahmen einer Nebentätigkeit gehe. Die Vorgangsweise des Dr. R. gegen den Verhandlungsleiter sei nicht in das gegenständliche Verfahren einzubeziehen gewesen. Umstände einer Befangenheit seien beim Verhandlungsleiter nicht vorgelegen, er hätte diese sofort wahrgenommen.

Die mitbeteiligte Partei wendet sich in ihrer Gegenschrift gegen die Annahme, dass Befangenheit des entscheidenden Organwalters vorliege. Außerdem wäre auch bei der Einvernahme des Dr. R. kein anderes Ergebnis erzielt worden. Dr. R. hätte auch als Zeuge beantragt werden können, was nicht erfolgt sei. Des weiteren legt die mitbeteiligte Partei dar, dass ihrer Auffassung nach die Werbeständerverordnung verfassungswidrig sei. Die Verordnung scheine auch gegen das Legalitätsprinzip zu verstoßen.

Zu den genannten Vorbringen ist Folgendes auszuführen:

Die Werbeständeverordnung regelt in ihrem § 2 die Entfernung von Werbeständern durch Sofortmaßnahmen. Genau dies ist im gegenständlichen Fall nach den Feststellungen der belangten Behörde passiert. Die belangte Behörde hätte sich daher mit dieser Verordnung eingehend auseinandersetzen und sämtliche Tatbestandsmerkmale prüfen müssen. Hätte die belangte Behörde verfassungsrechtliche Bedenken gegen die ortspolizeiliche Verordnung gehabt, hätte sie den Verfassungsgerichtshof anrufen müssen (vgl. im Übrigen dazu, dass der Verfassungsgerichtshof keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen diese Verordnung hat, das inzwischen ergangene Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 4. Oktober 2012, B 1737/10 und B 296/12).

Schon im Hinblick auf Art. 10 Abs. 2 EMRK konnte die belangte Behörde ihre Auffassung der Unanwendbarkeit der Verordnung nicht darauf stützen, dass das Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung die Heranziehung der ortspolizeilichen Verordnung auf jeden Fall ausschließt. Abgesehen davon könnte auch vor dem Hintergrund des Art. 10 EMRK die Verordnung lediglich verfassungswidrig erscheinen, ihre Nichtanwendbarkeit schlechthin auf einen Sachverhalt wie den hier gegebenen hat die belangte Behörde hingegen nicht nachvollziehbar dargelegt und ist auch nicht ersichtlich.

Ausgehend davon kommt auch dem Vorbringen der belangten Behörde, dass die Beschwerdelegitimation des Magistrates der Stadt Wien nicht gegeben sei, keine Berechtigung zu. Die Werbeständerverordnung liegt nämlich im Sinne des Ortsbildschutzes. Zur Regelung des Ortsbildschutzes ist der Landesgesetzgeber berufen. Es bestehen daher keine Bedenken gegen die Beschwerdelegitimation des Magistrates der Stadt Wien gemäß § 14a des Gesetzes über den Unabhängigen Verwaltungssenat Wien.

In Bezug auf den Ausschluss des Dr. R. von der mündlichen Verhandlung ist zunächst festzuhalten, dass Dr. R. offenbar als Organwalter des Magistrates der Stadt Wien von diesem stellig gemacht worden war. In diesem Zusammenhang ist zunächst auf § 10 Abs. 6 AVG zu verweisen, wonach die Bestellung eines Bevollmächtigten nicht ausschließt, dass der Vollmachtgeber im eigenen Namen Erklärungen abgibt. Angesichts dessen, dass es bei einer Amtsbeschwerde um die objektive Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides geht (vgl. die Nachweise bei Mayer, B-VG, 4. Auflage, S. 442), ist es von Relevanz, dass im angefochtenen Bescheid nicht begründet wurde, weshalb die Anhörung des Dr. R. unterbleiben konnte. Eine derartige Begründung kann in der Gegenschrift nicht nachgeholt werden, wobei aber im Übrigen darauf hinzuweisen ist, dass der Magistrat eine verwaltungsbehördliche Einheit darstellt (vgl. dazu Cech/Moritz/Ponzer, Die Verfassung der Bundeshauptstadt Wien, 2. Auflage, S. 131 f), sodass dann, wenn der Magistrat einen Organwalter entsendet, nicht von vornherein bzw. ohne nähere Begründung dessen Nichtzulassung auf seine Abteilungszugehörigkeit gestützt werden kann.

Dem Verhandlungsprotokoll vom 2. Februar 2011 ist im Übrigen zu entnehmen, dass Dr. R. "als Vertreter der MA 65 vom Verhandlungsleiter wegen dessen Vorgehens gegen den Verhandlungsleiter im Vorjahr nicht zugelassen" wird. In der Beschwerde wird auch geltend gemacht, dass Dr. R.

Sachverhaltsangaben hätte machen können. Ausgehend davon ist der Beschwerde Recht zu geben, dass nach der Aktenlage schon wegen der unsachlichen Begründung der Nichtzulassung des Dr. R. Befangenheit anzunehmen und es auch nicht auszuschließen ist, dass eine Beachtung dieser Befangenheit im Sinne des § 7 AVG im Verwaltungsverfahren zu einem anderen Ergebnis geführt hätte.

Der angefochtene Bescheid war aus den dargestellten Gründen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Ein Kostenzuspruch hat zu unterbleiben, da in Bezug auf die beschwerdeführende Partei und in Bezug auf die belangte Behörde Identität des Rechtsträgers vorliegt.

Wien, am 18. März 2013

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