VwGH 2012/22/0095

VwGH2012/22/009523.5.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger sowie die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über den Antrag der U, geboren am 15. April 1991, vertreten durch Georg Skreta in 1050 Wien, Wimmergasse 10/18, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Stellung eines Antrages auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 2. Februar 2012, Zl. 153.971/15-III/4/10, in einer Angelegenheit nach dem NAG, den Beschluss gefasst:

Normen

VwGG §26 Abs3;
VwGG §46 Abs4;
VwGG §46;
VwGG §26 Abs3;
VwGG §46 Abs4;
VwGG §46;

 

Spruch:

Der Antrag auf Wiedereinsetzung wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Devolutionsweg ergangenen Bescheid vom 2. Februar 2012, Zl. 153.971/15-III/4/10, wies die Bundesministerin für Inneres das Begehren der Antragstellerin auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte gemäß § 54 iVm § 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) zurück. Dieser Bescheid wurde dem Vertreter der Antragstellerin (ihrem Adoptivvater) am 7. Februar 2012 (durch Hinterlegung) zugestellt.

Irrtümlich erließ die belangte Behörde darüber hinaus auch den an die Antragstellerin gerichteten Bescheid vom 2. Februar 2012, Zl. 153.664/24-III/4/10, der dem Vertreter der Antragstellerin ebenfalls am 7. Februar 2012 zugestellt wurde. Dabei handelte es seinem Inhalt nach aber um einen Bescheid, der eigentlich nicht an sie, sondern an eine weitere Adoptivtochter des Vertreters der Antragstellerin, nämlich Odagwe Glory Uhunoma, ergehen sollte. Da die Antragstellerin nicht der Bescheidadressat dieses letztgenannten Bescheides sein sollte, hob die Bundesministerin für Inneres diesen Bescheid mit der Zl. 153.664/24-III/4/10 gemäß § 68 Abs. 2 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz mit Bescheid vom 27. Februar 2012, Zl. 153.664/38-III/4/12, wieder auf. Eine amtswegige Behebung des Bescheides mit der Zl. 153.971/15-III/4/10 erfolgte hingegen nicht.

Im nunmehrigen Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof zur Erlangung der Verfahrenshilfe, in dem die Antragstellerin zunächst alle drei oben angeführten Bescheide als anzufechtende Bescheide nannte, stellte sie im Weiteren klar, dass sie (bloß) den Bescheid vom 2. Februar 2012, Zl. 153.971/15-III/4/10, einer Anfechtung beim Verwaltungsgerichtshof unterziehen wolle. Auf diesen beziehe sich der Verfahrenshilfeantrag. Die übrigen Bescheide seien lediglich angeführt worden, um die bisherigen Vorgänge darzustellen.

Der Antrag auf Verfahrenshilfe enthält aber auch den weiteren Antrag, dass, für den Fall, der Verwaltungsgerichtshof gelange zur Ansicht, der Verfahrenshilfeantrag sei verspätet eingebracht worden, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der versäumten Frist bewilligt werden möge.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag auf Wiedereinsetzung erwogen:

Jener Bescheid, den die Antragstellerin bekämpfen möchte, wurde ihrem Vertreter am 7. Februar 2012 zugestellt. Der Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe wurde am 5. April 2012 zur Post gegeben.

Gemäß § 26 Abs. 3 VwGG ist die Frist zur Erhebung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof - diese beträgt gemäß § 26 Abs. 1 VwGG sechs Wochen - gewahrt, wenn die Partei innerhalb der Frist die Bewilligung der Verfahrenshilfe beantragt hat.

Im vorliegenden Fall ergibt sich anhand der oben genannten Daten, dass diese Frist, deren letzter Tag der 20. März 2012 war, nicht eingehalten wurde. Der hier gegenständliche Antrag richtet sich ganz offenkundig auf Wiedereinsetzung in diese Frist, wobei der Verwaltungsgerichtshof in seiner ständigen Rechtsprechung davon ausgeht, eine derartige Wiedereinsetzung sei an sich möglich (vgl. etwa die hg. Beschlüsse vom 10. Dezember 2008, Zl. 2008/22/0921, vom 24. Juni 2010, Zl. 2010/21/0197, vom 29. April 2011, Zl. 2009/02/0281, und vom 16. Dezember 2011, Zl. 2011/02/0348).

Der die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand regelnde § 46 VwGG lautet:

"§ 46. (1) Wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, daß sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, so ist dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

(2) Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist ist auch dann zu bewilligen, wenn die Beschwerdefrist versäumt wurde, weil der anzufechtende Bescheid fälschlich ein Rechtsmittel eingeräumt und die Partei das Rechtsmittel ergriffen hat.

(3) Der Antrag ist beim Verwaltungsgerichtshof in den Fällen des Abs. 1 binnen zwei Wochen nach Aufhören des Hindernisses, in den Fällen des Abs. 2 spätestens zwei Wochen nach Zustellung des Bescheides zu stellen, der das Rechtsmittel als unzulässig zurückgewiesen hat. Die versäumte Handlung ist gleichzeitig nachzuholen.

(4) Über den Antrag ist in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zu entscheiden.

(5) Durch die Bewilligung der Wiedereinsetzung tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor dem Eintritt der Versäumung befunden hat.

(6) Gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrages findet keine Wiedereinsetzung statt."

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass über alle Wiedereinsetzungsanträge im verwaltungsgerichtlichen Verfahren also auch über einen Wiedereinsetzungsantrag wegen Versäumung einer Frist in einer Angelegenheit der Verfahrenshilfe durch Beschluss des Senates zu entscheiden ist (vgl. etwa den bereits angeführten hg. Beschluss Zl. 2010/21/0197, mwN).

Dem Vorbringen der Antragstellerin zufolge sei die Wiedereinsetzung deswegen - auf das hier Wesentliche zusammengefasst - zu bewilligen, weil an sie am 7. Februar 2012 seitens der Bundesministerin für Inneres zwei Bescheide ergangen seien. Sie habe daher mit der Aufhebung beider Bescheide und der Neuausstellung eines dritten Bescheides gerechnet. Erst am 28. Februar 2012 habe die Bundesministerin für Inneres aber wider Erwarten lediglich einen dieser Bescheide aufgehoben. Die Antragstellerin habe sich daher gezwungen gesehen, auf den anderen Bescheid - jenen, der nunmehr der Anfechtung unterzogen werden soll - zu reagieren. Dafür habe sie aber die vollen sechs Wochen nützen müssen, "um die Berufung ihrer Ansicht nach innerhalb der offenen Frist zu formulieren". Hätte sie sogleich beide Bescheide angefochten, hätte der aufhebende Bescheid einen "Berufungsantrag nichtig gemacht" und sie hätte diese "Berufung" zurückziehen "oder auch belassen" können. Es seien "die Ressourcen" aber nicht ausreichend gewesen, um eine rechtlich zutreffende Vorgangsweise "in dieser verworrenen Bescheidsituation" wählen zu können. Auch wäre in einem solchen Fall dem Verwaltungsgerichtshof ein Mehraufwand entstanden. Daher habe sich die Antragstellerin abwartend verhalten. In weiterer Folge habe sich aber durch die Belassung des hier anzufechtenden Bescheides die Frist zur Erhebung der Beschwerde dramatisch verkürzt, was wiederum erst durch die Entscheidung der Bundesministerin für Inneres vom 28. Februar 2012 erkennbar gewesen sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung wiederholt die Auffassung vertreten, dass auch ein Rechtsirrtum als Wiedereinsetzungsgrund in Betracht kommen kann. Wenn ein solcher Irrtum als Wiedereinsetzungsgrund geltend gemacht wird, ist im Einzelfall die Verschuldensfrage zu prüfen. Der Begriff des minderen Grades des Versehens im letzten Satz des § 46 Abs. 1 VwGG ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht in besonders nachlässiger Weise außer Acht gelassen haben. Dabei ist an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige oder bisher noch nie an behördlichen oder gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen. Bei der Beurteilung, ob eine auffallende Sorglosigkeit vorliegt, ist also ein unterschiedlicher Maßstab anzulegen, wobei es insbesondere auf die Rechtskundigkeit und die Erfahrung im Umgang mit Behörden ankommt (vgl. zum Ganzen den bereits erwähnten Beschluss 2010/21/0197, mwN).

Im vorliegenden Fall ergibt sich kein Hinweis dafür, dass es sich beim Vertreter der Antragstellerin um einen rechtskundigen Parteienvertreter gehandelt hätte. Darauf war bei der Beurteilung des Verschuldens Bedacht zu nehmen.

Es ist allerdings auch bei Rechtsunkundigkeit als auffallend sorglos einzustufen, wenn in Kenntnis der Frist zur Erhebung der Beschwerde diese Frist bewusst missachtet wird, weil der Vertreter der Antragstellerin - dessen Handeln sie sich zurechnen lassen muss - jedenfalls, nachdem er zuvor etwa vier Wochen verstreichen hat lassen, trotz Kenntnis vom in etwa zwei weiteren Wochen bevorstehenden Ablauf der Frist "die vollen sechs Wochen nützen" wollte. Dass der Vertreter der Antragstellerin subjektiv hoffte, die Bundesministerin für Inneres werde beide an die Antragstellerin ergangenen Bescheide von Amts wegen aufheben, ändert daran nichts. Dies gilt umso mehr, als - was sich aus seinen Angaben, er habe ungeachtet dessen, dass die Frist bald ablaufen werde, die "vollen sechs Wochen nützen" wollen, ergibt - dem Vertreter der Antragstellerin bereits etwa zwei Wochen vor Ablauf der Frist bewusst war, dass eine amtswegige Behebung des anderen Bescheides nicht erfolgen wird. Dem Vertreter der Antragstellerin kann sohin, selbst unter Bedachtnahme auf seine Rechtsunkundigkeit, nicht attestiert werden, bloß leicht fahrlässig gehandelt zu haben, indem er unter den hier gegebenen Umständen die zur Beschwerdeerhebung an den Verwaltungsgerichtshof gesetzlich festgesetzte Frist, deren Dauer und Ende er kannte, ungenützt verstreichen ließ. Von einem die Wiedereinsetzung rechtfertigenden Rechtsirrtum konnte hier nicht ausgegangen werden.

Dass aber sonst ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis im Sinn des § 46 Abs. 1 VwGG vorgelegen wäre, wurde nicht behauptet.

Der Wiedereinsetzungsantrag war daher in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 1 lit. e VwGG gebildeten Senat in nichtöffentlicher Sitzung abzuweisen.

Über den mit dem Wiedereinsetzungsantrag verbundenen Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe wird vom dafür gemäß § 14 Abs. 2 VwGG zuständigen Berichter entschieden werden.

Wien, am 23. Mai 2012

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte