VwGH 2012/18/0026

VwGH2012/18/002619.6.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Merl und Mag. Dr. Mauer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des E M A in H, vertreten durch Mag. Doris Einwallner, Rechtsanwältin in 1050 Wien, Schönbrunnerstraße 26/3, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 28. Oktober 2011, Zl. UVS-FRG/13/11699/2011, betreffend Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §67 Abs1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §69 Abs2 idF 2011/I/038;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §67 Abs1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §69 Abs2 idF 2011/I/038;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines nigerianischen Staatsangehörigen, auf Aufhebung des gegen ihn bestehenden unbefristeten Aufenthaltsverbots ab.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am 2. Jänner 2004 illegal nach Österreich eingereist und habe am gleichen Tag einen Asylantrag gestellt, der am 22. April 2005 rechtskräftig abgewiesen worden sei. Mit Bescheid vom 18. Jänner 2005 sei gegen den Beschwerdeführer ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden, weil er am 9. Juni 2004 versucht habe, 235 g Kokain im Inland an einen Abnehmer zu verkaufen. Dafür sei er mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 28. Oktober 2004 zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von einem Jahr verurteilt worden. Nach der vorzeitigen Entlassung aus der Strafhaft sei der Beschwerdeführer in Schubhaft genommen worden, habe jedoch aufgrund eines Hungerstreiks entlassen werden müssen. In der Folge sei der Beschwerdeführer untergetaucht und amtlich abgemeldet worden. Am 25. April 2008 habe er in Spanien eine dort lebende österreichische Staatsbürgerin geheiratet. Aufgrund dieser Ehe habe der Beschwerdeführer einen spanischen Aufenthaltstitel erhalten. In Spanien sei der Beschwerdeführer unbescholten.

Seinen am 24. November 2010 gestellten (zweiten) Aufhebungsantrag habe der Beschwerdeführer mit seiner Heirat und seinem spanischen Aufenthaltstitel begründet. Außerdem habe der Beschwerdeführer auf die inzwischen eingetretene Tilgung seiner Verurteilung vom 28. Oktober 2004 hingewiesen, und seinem Aufhebungsantrag eine Bestätigung des Strafregisteramtes über die mit 9. Juni 2010 datierte Tilgung beigelegt.

In der vor der belangten Behörde am 28. Oktober 2011 stattgefundenen Verhandlung habe die rechtsfreundliche Vertreterin des Beschwerdeführers einen spanischen Strafregisterauszug, aus dem die Unbescholtenheit des Beschwerdeführers in Spanien hervorgehe, sowie ein Schreiben der Ehefrau des Beschwerdeführers, worin sich diese für die Aufhebung des Aufenthaltsverbotes einsetze, vorgelegt. Die Ehefrau des Beschwerdeführers sorge für den Lebensunterhalt beider und sei bestrebt, auf Grund der Arbeitssituation in Spanien und in Hinblick auf eine Familiengründung, gemeinsam mit dem Beschwerdeführer nach Österreich zurückzukehren.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde nach Nennung der maßgeblichen Rechtsvorschriften aus, das gegenständliche Aufenthaltsverbot gründe auf die schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit, die der Beschwerdeführer darstelle, weil er bereits fünf Monate nach seiner illegalen Einreise ein schweres Suchtgiftdelikt begangen habe. Er habe versucht, nahezu ein Viertel Kilogramm Kokain zu verkaufen und sei dafür zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von einem Jahr verurteilt worden. Auf den Beschwerdeführer als Angehörigen einer in Spanien lebenden Österreicherin sei die Bestimmung des § 67 FPG anzuwenden, wonach das persönliche Verhalten des Beschwerdeführers eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre, darstellen müsse. Schon in Anbetracht der übergroßen Menge Suchtgift, aber auch im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführer bei der Begehung mit drei weiteren Personen zusammengewirkt habe, sowie unter Berücksichtigung der Suchtgiftdelikten innewohnenden hohen Wiederholungsgefahr könne nach Ablauf von erst sechs Jahren seit der Entlassung aus der Strafhaft von einer entscheidenden Minderung dieser Gefahr noch keine Rede sein. Zudem könne von einem Wohlverhalten des Beschwerdeführers erst wieder seit der im Jahre 2008 erfolgten Eheschließung und dem darauf folgenden Aufenthalt in Spanien die Rede sein, zumal sein Aufenthalt seit der Entlassung aus der Schubhaft an einem unbekannten Ort erfolgt sei.

Das Aufenthaltsverbot sei zu einem Zeitpunkt erlassen worden, als sich der Beschwerdeführer noch in Strafhaft befunden habe. Weder die damals noch die nunmehr geltenden Bestimmungen begrenzten das Aufenthalts- oder Einreiseverbot etwa mit der jeweils anzuwendenden Tilgungsfrist oder sähen vor, dass ein verhängtes Aufenthaltsverbot mit der Tilgung der diesem zugrunde liegenden Straftat außer Kraft zu treten hätte. Bei Verbrechen nach dem Suchtmittelgesetz stünden einem Aufenthaltsverbot weder ein langjähriger Aufenthalt im Bundesgebiet noch eine vollkommene soziale Integration im Inland entgegen. Zudem lasse die Tatsache, dass der Beschwerdeführer sein Verhalten bereits fünf Monate nach seiner illegalen Einreise nach Österreich gesetzt habe, darauf schließen, dass die Bereicherung durch illegalen Suchtgifthandel der einzige oder zumindest weit überwiegende Zweck seiner Einreise nach Österreich geworden sei, zumal der Beschwerdeführer das Asylverfahren mit Hilfe falscher Angaben über seine Person bestritten habe.

Auch im Rahmen der gemäß § 61 FPG durchzuführenden Interessenabwägung gelangte die belangte Behörde zu dem Ergebnis, dass die Erlassung des Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführers zulässig sei.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Die belangte Behörde stützt ihre Beurteilung aufgrund der nach Erlassung des Aufenthaltsverbotes geschlossenen Ehe des Beschwerdeführers mit einer österreichischen Staatsbürgerin, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, zutreffend auf § 67 Abs. 1 FPG in der Fassung des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2011 - FrÄG 2011, BGBl. I Nr. 38/2011.

§ 67 Abs. 1 und § 69 Abs. 2 FPG 2005 lauten in der durch das FrÄG 2011 geänderten Fassung (jeweils samt Überschrift):

"Aufenthaltsverbot

§ 67. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

Gegenstandslosigkeit und Aufhebung

§ 69. (1) …

(2) Eine Ausweisung und ein Aufenthaltsverbot sind auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, wenn die Gründe, die zu ihrer Erlassung geführt haben, weggefallen sind."

Der Beschwerdeführer wendet sich in erster Linie gegen die von der belangten Behörde angenommene von ihm immer noch ausgehende Gefährdung und bringt u.a. vor, sein Fehlverhalten liege bereits sieben Jahre zurück, er sei lediglich einmal strafrechtlich in Erscheinung getreten und gelte aufgrund der bereits eingetretenen Tilgung seiner Verurteilung sowohl in Österreich als auch in Spanien als unbescholten. Er sei verheiratet, lebe in geordneten Verhältnissen und habe sich seit Jahren nichts mehr zu Schulden kommen lassen. Den Feststellungen der belangten Behörde sei nicht zu entnehmen, weshalb vom Beschwerdeführer - auch künftig - ein persönliches Verhalten zu erwarten sei, das eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.

Das - wenngleich nicht zu verharmlosende - strafbare, dem Aufenthaltsverbot zugrunde liegende Verhalten des Beschwerdeführers setzte er bereits im Juni 2004. Aus diesem, zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides über sieben Jahre zurückliegenden Fehlverhalten kann jedoch nicht ohne Weiteres auf das Vorliegen einer von ihm weiterhin ausgehenden tatsächlichen, gegenwärtigen und erheblichen Gefahr im Sinn des § 67 Abs. 1 FPG geschlossen werden. Ausführungen, inwieweit und aus welchen Gründen eine vom Beschwerdeführer ausgehende Gefahr - insbesondere unter Berücksichtigung der erfolgten Tilgung des Urteils aus 2004 und seiner belegten Unbescholtenheit in Spanien - immer noch als gegenwärtig und erheblich einzustufen sei, sind dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen.

Darüber hinaus stehen die Ausführungen der belangten Behörde, der Beschwerdeführer sei nach seiner Entlassung aus der Schubhaft im Juni 2005 nicht gemeldet und sein Aufenthaltsort daher unbekannt gewesen, weshalb von einem Wohlverhalten erst seit der im Jahr 2008 erfolgten Eheschließung und dem darauf folgenden Aufenthalt in Spanien ausgegangen werden könne, nicht im Einklang mit dem in den Verwaltungsakten aufliegenden Auszug aus dem Zentralen Melderegister, demzufolge der Beschwerdeführer nach seiner Entlassung aus der Schubhaft zumindest vom 8. Juli 2005 bis 25. Juni 2007 durchgehend in Wien mit Hauptwohnsitz gemeldet war.

Inwieweit sohin von einer - insbesondere immer noch - bestehenden Gegenwärtigkeit einer vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr gesprochen werden könnte, kann dem angefochtenen Bescheid vor dem Hintergrund der nunmehrigen strafrechtlichen Unbescholtenheit und insbesondere im Hinblick auf den über sieben Jahre zurückliegenden Tatzeitpunkt, der der einzigen, mittlerweile getilgten Verurteilung zugrunde lag, nicht entnommen werden.

Der angefochtene Bescheid war daher bereits deshalb - ohne dass auf das übrige Beschwerdevorbringen einzugehen war - wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 19. Juni 2012

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