VwGH 2012/11/0172

VwGH2012/11/017220.11.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde der M S in W, vertreten durch Mag. Markus Adam, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Färbergasse 10/15, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenats Wien vom 18. Juni 2012, Zl. UVS-FSG/19/6106/2012-3, betreffend Wiedererteilung einer Lenkberechtigung (weitere Partei: Bundesministerin für Verkehr, Innovation und Technologie), zu Recht erkannt:

Normen

FSG 1997 §3 Abs1 Z3;
FSG 1997 §8 Abs1;
FSG 1997 §8 Abs2;
FSG-GV 1997 §14;
FSG-GV 1997 §17 Abs1;
FSG-GV 1997 §3 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FSG 1997 §3 Abs1 Z3;
FSG 1997 §8 Abs1;
FSG 1997 §8 Abs2;
FSG-GV 1997 §14;
FSG-GV 1997 §17 Abs1;
FSG-GV 1997 §3 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien (BPD) vom 16. April 2012 erging gegenüber der Beschwerdeführerin folgender Spruch:

"Ihr Antrag vom 14.11.2011 auf Wiedererteilung einer Lenkberechtigung für die Klassen A und B wird… gemäß § 3 Abs. 1 Z 3 Führerscheingesetz 1997 abgewiesen."

Begründend führte die BPD Folgendes aus:

Aufgrund des Antrags der Beschwerdeführerin auf Wiedererteilung der Lenkberechtigung sei sie zu einer amtsärztlichen Untersuchung (am 13. April 2012) vorgeladen worden. Bei dieser sei durch den Amtssachverständigen festgestellt worden, dass sie "derzeit wegen Mangel an Bereitschaft zur Verkehrsanpassung zum Lenken eines Kraftfahrzeuges gesundheitlich nicht geeignet" sei. Das amtsärztliche Gutachten sei unter Einbeziehung der verkehrspsychologischen Stellungnahme erstellt worden.

In dieser - im Verwaltungsakt erliegenden - verkehrspsychologischen Stellungnahme vom 24. Jänner 2012 wird die kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit als "knapp gegeben" beurteilt, hingegen könne "die Bereitschaft zur Verkehrsanpassung derzeit nicht angenommen werden". Begründet wird diese Beurteilung mit "folgenden Gefährdungsmomente(n)":

"Beim Anlassfall (Februar 2011, Einweisung auf die Baumgartner Höhe mit - nach Angaben der Klientin - 1,4 bis 1,6 Promille BAK) handelt es sich zwar um den ersten Führerscheinentzug, nicht jedoch um den ersten polizeilich dokumentierten Vorfall (vgl. Vorgeschichte - Polizeigewahrsam nach Streit mit Nachbarin unter Alkoholeinfluss vor ca. 3 Jahren). Dass es trotz dieses Vorfalls zu neuerlicher Polizeiauffälligkeit unter Alkoholeinfluss gekommen ist, lässt auf eine eingeschränkte Lern- und Veränderungsbereitschaft der Klientin und in weiterer Folge auf ein verringertes soziales Verantwortungsbewusstsein schließen.

Sowohl die hohe Alkoholisierung ohne besonderen bzw. auch vom damaligen Freund nicht mehr erinnerlichen Anlass als auch die konsumierte Alkoholmenge beim Delikt verweisen auf das Vorliegen einer erhöhten Alkoholtoleranz infolge eines deutlich über gesellschaftlich übliche Trinkmengen hinausgehenden Alkoholkonsums in der Vergangenheit (vgl. auch Zuweisung der BPD Wien: 'Alkoholproblematik'). Dementsprechend berichtet die Klientin von einem wiederholten funktionalen Einsatz alkoholischer Getränke in der Vergangenheit (vgl. Vorgeschichte - z.B.: sie sei Frusttrinkerin), der auch aktuell verfahrensmäßig feststellbar ist (vgl. FFT).

Zwar berichtet (die Beschwerdeführerin) von einer Reduktion der Trinkmengen seit dem Vorfall, die Neigung zum psychopharmakologischen Alkoholeinsatz (vgl. FFT) ist jedoch in Verbindung mit dem derzeit noch nicht gefestigten sozialen Umfeld (vgl. Vorgeschichte - Freundeskreis aktuell nicht vorhanden) in Bezug auf die neuerliche Konsumation hoher Trinkmengen als Gefahrenmoment einzustufen, zumal im Rahmen des Aufbaus eines neuen Freundeskreises auch die verfahrensmäßig festgestellte Tendenz zum soziodynamischen Einsatz alkoholischer Getränke zum Tragen kommt (Alkohol wird eingesetzt, um die soziale Integration in Gruppen zu erleichtern - vgl. FFT).

Im Widerspruch zur verfahrensmäßig festgestellten durchschnittlichen Selbstkontrolle (vgl. IVPE) besteht unter Alkoholeinfluss durch die massive Einschränkung der Verhaltenskontrollmechanismen eine erhöhte Neigung zu aggressiven Interaktionen (vgl. Bedrohung des Kellners mit einem Messer, eskalierter Streit mit der Nachbarin) bis hin zum völligen Verlust der Verhaltenskontrolle in Form von Blackouts (vgl. sowohl Anlassfall als auch Schilderung zum Vorfall vor drei Jahren). In diesem Zusammenhang ist auch eine alkoholisierte Verkehrsteilnahme nicht auszuschließen, sondern vielmehr konkret zu befürchten, zumal auch ein diesbezügliches adäquates Gefährlichkeitsbewusstsein derzeit nicht objektivierbar ist. Aus verkehrspsychologischer Sicht ist daher für eine positive Prognose die strikte Einhaltung einer Alkoholkarenz zu fordern."

Die Beschwerdeführerin hatte im Rahmen der amtsärztlichen Untersuchung vom 13. April 2012 auch eine "Fachärztliche Stellungnahme und Testpsychologische Untersuchung" der Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie DDr. W vom 12. April 2012 vorgelegt, in der die Beschwerdeführerin aus psychiatrischer Sicht als zum Lenken eines Kraftfahrzeugs bedingt geeignet (mit der Auflage, in 3-monatigen Abständen einen Laborbefund (LFP, CDT) vorzulegen) beurteilt wird.

In der gegen den Bescheid der BPD erhobenen Berufung rügte die Beschwerdeführerin, das amtsärztliche Gutachten sei ihr nicht vorgehalten worden. Es sei ihr daher seine Entkräftung durch die - anlässlich der amtsärztlichen Untersuchung vorgelegte - fachärztliche Stellungnahme DDris. W, die eine bedingte Eignung der Beschwerdeführerin zum Lenken eines Kraftfahrzeuges attestiert habe, nicht möglich gewesen. Es stütze sich zudem auf eine Stellungnahme durch eine "Verkehrspsychologin in Ausbildung", sodass erhebliche Zweifel an der sachlichen Eignung der Gutachterin bestünden. Die verkehrspsychologische Stellungnahme sei zudem aktenwidrig: So werde der Anlassfall mit Februar 2011 angenommen anstatt richtig mit Februar 2010; gleichfalls aktenwidrig sei die Behauptung, die Beschwerdeführerin habe dabei einen Kellner bedroht; aus dem aufgenommenen Protokoll ergebe sich vielmehr, dass es zu keinerlei Bedrohung gekommen sei. Die Annahme einer "Neigung zu unkontrolliertem und aggressivem Verhalten" entbehre damit jeder Basis.

Es dürfe nicht übersehen werden, dass die Beschwerdeführerin "im Verkehrsgeschehen selbst" niemals auffällig geworden sei, und seit mehr als zwei Jahren "auch außerhalb eines Verkehrsgeschehens keinerlei Auffälligkeiten der Beschwerdeführerin" vorlägen.

Mit dem nun angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde, nachdem sie der Beschwerdeführerin das amtsärztliche Gutachten zur Stellungnahme übermittelt hatte, die Berufung - ohne weitere Beweisaufnahme und ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung -

ab.

Nach einer Darstellung des Verfahrensgangs und der maßgebenden Rechtsvorschriften führte die belangte Behörde aus, dem Bescheid der BPD liege "ein amtsärztliches Gutachten zugrunde, welches einerseits auf Grundlage einer verkehrspsychologischen Stellungnahme, andererseits einer fachärztlichen Stellungnahme ergangen" sei.

Daran schließt sich - ohne erkennbaren Zusammenhang zum Beschwerdefall - ein Zitat aus dem hg. Erkenntnis vom 4. Juli 2002, Zl. 2000/11/0335, wonach (zusammengefasst) die sachverständige Beurteilung der gesundheitlichen Eignung des Bewerbers um eine Lenkberechtigung in den alleinigen Aufgabenbereich des Amtsarztes auch dann falle, wenn zur Untersuchung bereits fachärztliche Befunde mitgenommen worden seien.

Der die verkehrspsychologische Stellungnahme betreffenden Rüge der Beschwerdeführerin entgegnete die belangte Behörde, es seien zwei Personen für die Erstellung maßgeblich gewesen, nämlich einerseits die Ausbildnerin, andererseits die Verkehrspsychologin in Ausbildung unter Supervision der ersteren. Dass es der Ausbildnerin an der fachlichen Eignung gemangelt hätte, sei von der Beschwerdeführerin nicht einmal behauptet worden; darüber hinaus ergäben sich keinerlei Hinweise darauf, dass die Verkehrspsychologin in Ausbildung allein für die Erstellung der Stellungnahme verantwortlich oder auch nur maßgeblich gewesen wäre. Festzuhalten sei jedoch, "dass diese Stellungnahme umfangreich und nachvollziehbar begründet wurde, dies auf Grundlage einer ausführlichen Anamnese und entsprechenden Befundnahme".

Richtig sei - insoweit sei der Beschwerdeführerin beizupflichten -, dass die Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie aus ihrer Sicht zu einem anderen Ergebnis gelangt sei. Es sei daher dem amtsärztlichen Gutachten oblegen, die gesundheitliche Eignung der Beschwerdeführerin zu beurteilen.

Zur "Rüge betreffend den Anlassfall" sei festzuhalten, dass "Überprüfungen der Verkehrszuverlässigkeit bereits zu den Geschäftszahlen … vorgenommen wurden, der Anlassfall für das nunmehrige Verfahren war jedoch nachvollziehbarer Weise die Einweisung auf die Baumgartner Höhe mit - nach Angaben der (Beschwerdeführerin) - 1,4 bis 1,6 Promille BAK".

Die belangte Behörde sehe "keine Gründe, an der im Akt erliegenden, auf wissenschaftlichen Grundlagen erstellten verkehrspsychologischen Stellungnahme, die auch die Grundlage für die amtsärztliche Entscheidung darstellt, zu zweifeln" und gehe somit davon aus, dass die Beschwerdeführerin bis auf weiteres auf Grund ihrer gesundheitlichen Nichteignung nicht dazu befähigt sei, Kraftfahrzeuge der Klassen A und B im öffentlichen Straßenverkehr zu lenken.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage von Akten des Verwaltungsverfahrens - die belangte Behörde nahm von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand - erwogen:

1. Im Beschwerdefall sind folgende Bestimmungen des FSG bzw. der FSG-GV von Bedeutung:

1.1. FSG:

"Allgemeine Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung

§ 3. (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:

3. gesundheitlich geeignet sind, ein Kraftfahrzeug zu lenken (§§ 8 und 9),

Verfahren bei der Erteilung einer Lenkberechtigung

§ 5. …

(4) Die Lenkberechtigung ist zu erteilen, wenn das in den §§ 6 bis 11 angeführte Verfahren ergibt, dass die Voraussetzungen für die Erteilung vorliegen. …

Gesundheitliche Eignung

§ 8. (1) Vor der Erteilung einer Lenkberechtigung hat der Antragsteller der Behörde ein ärztliches Gutachten vorzulegen, daß er zum Lenken von Kraftfahrzeugen gesundheitlich geeignet ist. Das ärztliche Gutachten hat auszusprechen, für welche Klassen von Lenkberechtigungen der Antragsteller gesundheitlich geeignet ist, darf im Zeitpunkt der Entscheidung nicht älter als 18 Monate sein und ist von einem in die Ärzteliste eingetragenen sachverständigen Arzt gemäß § 34 zu erstellen.

(2) Sind zur Erstattung des ärztlichen Gutachtens besondere Befunde oder im Hinblick auf ein verkehrspsychologisch auffälliges Verhalten eine Stellungnahme einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle erforderlich, so ist das ärztliche Gutachten von einem Amtsarzt zu erstellen; der Antragsteller hat diese Befunde oder Stellungnahmen zu erbringen. Wenn im Rahmen der amtsärztlichen Untersuchung eine sichere Entscheidung im Hinblick auf die gesundheitliche Eignung nicht getroffen werden kann, so ist erforderlichenfalls eine Beobachtungsfahrt anzuordnen.

…"

1.2. FSG-GV:

"Begriffsbestimmungen

§ 1. (1) Im Sinne dieser Verordnung bedeutet:

1. ärztliches Gutachten: ein von einem Amtsarzt oder von einem gemäß § 34 FSG bestellten sachverständigen Arzt für Allgemeinmedizin gemäß der Anlage erstelltes Gutachten, das in begründeten Fällen auch fachärztliche Stellungnahmen, gegebenenfalls eine Beobachtungsfahrt gemäß § 9 FSG oder erforderlichenfalls auch eine verkehrspsychologische Stellungnahme zu umfassen hat.

2. fachärztliche Stellungnahme: diese hat ein Krankheitsbild zu beschreiben und dessen Auswirkungen auf das Lenken von Kraftfahrzeugen zu beurteilen und ist von einem Facharzt des entsprechenden Sonderfaches abzugeben. In dieser ist gegebenenfalls auch die kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit mitzubeurteilen.

3. verkehrspsychologische Untersuchung eines Bewerbers um eine Lenkberechtigung oder eines Führerscheinbesitzers: diese besteht aus

a) der Prüfung seiner kraftfahrspezifischen verkehrspsychologischen Leistungsfähigkeit und

b) der Untersuchung seiner Bereitschaft zur Verkehrsanpassung.

Allgemeine Bestimmungen über die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen

§ 3. (1) Als zum Lenken von Kraftfahrzeugen einer bestimmten Fahrzeugklasse im Sinne des § 8 FSG gesundheitlich geeignet gilt, wer für das sichere Beherrschen dieser Kraftfahrzeuge und das Einhalten der für das Lenken dieser Kraftfahrzeuge geltenden Vorschriften

1. die nötige körperliche und psychische Gesundheit besitzt,

Kraftfahrzeuglenker müssen die für ihre Gruppe erforderlichen gesundheitlichen Voraussetzungen gemäß den nachfolgenden Bestimmungen erfüllen. Um die gesundheitliche Eignung nachzuweisen, ist der Behörde ein ärztliches Gutachten gemäß § 8 Abs. 1 oder 2 FSG vorzulegen.

Gesundheit

§ 5. (1) Als zum Lenken von Kraftfahrzeugen hinreichend gesund gilt eine Person, bei der keine der folgenden Krankheiten festgestellt wurde:

4. schwere psychische Erkrankungen gemäß § 13 sowie:

a) Alkoholabhängigkeit oder

Alkohol, Sucht- und Arzneimittel

§ 14. (1) Personen, die von Alkohol, einem Sucht- oder Arzneimittel abhängig sind oder den Konsum dieser Mittel nicht so weit einschränken können, daß sie beim Lenken eines Kraftfahrzeuges nicht beeinträchtigt sind, darf, soweit nicht Abs. 4 anzuwenden ist, eine Lenkberechtigung weder erteilt noch belassen werden. Personen, bei denen der Verdacht einer Alkohol-, Suchtmittel- oder Arzneimittelabhängigkeit besteht, haben eine fachärztliche psychiatrische Stellungnahme beizubringen.

(2) Lenker von Kraftfahrzeugen, bei denen ein Alkoholgehalt des Blutes von 1,6 g/l (1,6 Promille) oder mehr oder der Atemluft von 0,8 mg/l oder mehr festgestellt wurde, haben ihre psychologische Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen durch eine verkehrspsychologische Stellungnahme nachzuweisen.

(3) Personen, die ohne abhängig zu sein, in einem durch Sucht- oder Arzneimittel beeinträchtigten Zustand ein Kraftfahrzeug gelenkt haben, darf eine Lenkberechtigung weder erteilt noch belassen werden, es sei denn, sie haben ihre Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen durch eine verkehrspsychologische und eine fachärztliche Stellungnahme nachgewiesen.

(5) Personen, die alkohol-, suchtmittel- oder arzneimittelabhängig waren oder damit gehäuften Mißbrauch begangen haben, ist nach einer befürwortenden fachärztlichen Stellungnahme und unter der Auflage ärztlicher Kontrolluntersuchungen eine Lenkberechtigung der Gruppe 1 zu erteilen oder wiederzuerteilen.

Verkehrspsychologische Stellungnahme

§ 17. (1) Die Stellungnahme einer verkehrspsychologischen Untersuchungsstelle gemäß § 8 Abs. 2 FSG ist im Hinblick auf ein verkehrspsychologisch auffälliges Verhalten insbesondere dann zu verlangen, wenn der Bewerber um eine Lenkberechtigung oder der Besitzer einer Lenkberechtigung Verkehrsunfälle verursacht oder Verkehrsverstöße begangen hat, die den Verdacht

  1. 1. auf verminderte kraftfahrspezifische Leistungsfähigkeit oder
  2. 2. auf mangelnde Bereitschaft zur Verkehrsanpassung erwecken. Mangelnde Bereitschaft zur Verkehrsanpassung ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn einem Lenker innerhalb eines Zeitraumes von fünf Jahren die Lenkberechtigung dreimal entzogen wurde, oder wenn ein Lenker wegen einer Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 lit. b oder c StVO 1960 bestraft wurde.

(2) Die Vorlage einer verkehrspsychologischen Stellungnahme ist im Hinblick auf das Lebensalter jedenfalls zu verlangen, wenn auf Grund der ärztlichen Untersuchung geistige Reifungsmängel oder ein Leistungsabbau im Vergleich zur Altersnorm zu vermuten sind; hierbei ist auch die Gruppe der Lenkberechtigung zu berücksichtigen.

Verkehrspsychologische Untersuchung

§ 18. (1) Die Überprüfung der einzelnen Merkmale ist nach dem jeweiligen Stand der verkehrspsychologischen Wissenschaft mit entsprechenden Verfahren vorzunehmen. Die Relevanz dieser Verfahren für das Verkehrsverhalten muß durch Validierungsstudien wissenschaftlich nachgewiesen werden.

(3) Für die Erfassung der Bereitschaft zur Verkehrsanpassung ist insbesondere das soziale Verantwortungsbewußtsein, die Selbstkontrolle, die psychische Stabilität und die Risikobereitschaft des zu Untersuchenden zu untersuchen sowie zu prüfen, ob eine Tendenz zu aggressiver Interaktion im Straßenverkehr besteht und ob sein Bezug zum Autofahren kritisch von der Norm abweicht. Zur Überprüfung der Bereitschaft zur Verkehrsanpassung ist neben einem verkehrsbezogenen Persönlichkeitstest auch ein ausführliches Explorationsgespräch durchzuführen. Dieses darf nur von einem gemäß § 20 für Verkehrspsychologie qualifizierten Psychologen geführt werden oder, unter seiner Verantwortung und in seinem Beisein, von einem in Ausbildung zum Verkehrspsychologen befindlichen Psychologen.

…"

2. Die Beschwerde, die im Wesentlichen geltend macht, auf Basis der getroffenen Feststellungen in Verbindung mit der Aktenlage fehle eine Grundlage für die Annahme der belangten Behörde, der Beschwerdeführerin mangle die Bereitschaft zur Verkehrsanpassung, ist begründet.

3.1. Die belangte Behörde hat, wie dargestellt, ihren Bescheid nicht etwa auf die Annahme gegründet, die Beschwerdeführerin sei alkoholabhängig im Sinne des § 5 Abs. 1 Z 4 lit a FSG-GV, vielmehr auf das "Gutachten" des amtsärztlichen Sachverständigen der Erstbehörde vom 13. April 2012, das - gestützt auf die verkehrspsychologische Stellungnahme vom 24. Jänner 2012 - zum Ergebnis gekommen ist, die notwendige Bereitschaft zur Verkehrsanpassung sei derzeit nicht gegeben. Die belangte Behörde hat demnach ihren Bescheid erkennbar darauf gestützt, der Beschwerdeführerin fehle die Bereitschaft zur Verkehrsanpassung.

3.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 24. September 2003, Zl. 2002/11/0231, zum Verhältnis zwischen gelegentlichem Alkoholkonsum und Bereitschaft zur Verkehrsanpassung Folgendes ausgeführt:

"Die mangelnde Bereitschaft zur Verkehrsanpassung wird zwar in der FSG-GV nicht definiert, aus § 17 Abs. 1 zweiter Satz FSG-GV ergibt sich aber hinlänglich, dass von einer mangelnden Bereitschaft zur Verkehrsanpassung nur bei einem Verhalten gesprochen werden kann, bei dem es zu relativ schwer wiegenden Verstößen gegen straßenverkehrsrechtliche Vorschriften gekommen ist oder das bereits innerhalb eines bestimmten Zeitraums zu mehreren Vorentziehungen geführt hat (siehe dazu das hg. Erkenntnis vom 30. September 2002, Zl. 2002/11/0120, mwN). Unter Zugrundelegung dieses aus § 17 Abs. 1 zweiter Satz FSG-GV ableitbaren Maßstabes ist es rechtswidrig, in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem dem Besitzer der Lenkberechtigung keine schwer wiegenden Verkehrsverstöße angelastet werden und auch keine Vorentziehungen erfolgt sind, die mangelnde Bereitschaft zur Verkehrsanpassung anzunehmen, weil gelegentlich Alkohol konsumiert wird. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt betont, dass es im Zusammenhang mit der Beurteilung der Bereitschaft zur Verkehrsanpassung nicht darauf ankommt, ob der Betreffende völlig alkoholabstinent ist, sondern darauf, ob die Ergebnisse der verkehrspsychologischen Untersuchung darauf schließen lassen, der Betreffende sei nicht willens oder nicht in der Lage, sein Verhalten in Bezug auf Alkoholkonsum an die Erfordernisse des Straßenverkehrs anzupassen, m.a.W. es sei konkret zu befürchten, dass er in durch Alkohol beeinträchtigtem Zustand als Lenker eines Kraftfahrzeuges am Straßenverkehr teilnehmen werde. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer gelegentlich Alkohol in Gesellschaft anderer Personen konsumiert (darauf bezieht sich offenbar der in der verkehrspsychologischen Stellungnahme enthaltene Hinweis auf 'soziale Trinksituationen'), rechtfertigt die Annahme einer solchen Gefahr ebenso wenig, wie die 'erhöhte Alkoholtoleranz', hinsichtlich welcher nicht erkennbar ist, wie diese im Falle des Beschwerdeführers quantifiziert wurde, zumal auch nicht nachvollziehbar ist, warum bei Personen mit 'Alkoholintoleranz' eine solche Gefahr auszuschließen sein soll. Entscheidend für die Bereitschaft zur Verkehrsanpassung im Zusammenhang mit dem Konsum von Alkohol ist, dass der Betreffende - sei es nun aus Überzeugung von den schädlichen Wirkungen des Alkoholkonsums auf die Gesundheit, sei es aus Verantwortungsbewusstsein oder auf Grund der Furcht vor Bestrafung und Verlust der Lenkberechtigung - den Konsum von Alkohol vor dem Lenken eines Kraftfahrzeuges vermeidet oder zumindest so weit einschränkt, dass er durch den Alkoholkonsum beim Lenken nicht beeinträchtigt ist (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 27. November 2001, Zl. 2001/11/0266, vom 18. März 2003, Zl. 2002/11/0143, und vom 29. April 2003, Zl. 2002/11/0110). Dass diese Bereitschaft beim Beschwerdeführer, dem kein Alkoholdelikt angelastet wird und von dem die belangte Behörde auch nicht annimmt, er sei alkoholabhängig im Sinne des § 14 Abs. 1 FSG-GV, nicht bestehen soll, ist nicht erkennbar. Die Auffassung der belangten Behörde, dem Beschwerdeführer fehle die Bereitschaft zur Verkehrsanpassung, ist auf der Basis der von ihr getroffenen Feststellungen sohin inhaltlich rechtswidrig."

3.3. Das Anlegen dieses Maßstabs führt auch im Beschwerdefall zum Ergebnis, dass die Auffassung der belangten Behörde, der Beschwerdeführerin fehle die Bereitschaft zur Verkehrsanpassung, inhaltlich rechtswidrig ist:

Die belangte Behörde hat keine Feststellungen dahin getroffen, der der Beschwerdeführerin vorgeworfene "Anlassfall" (vom Februar 2011 oder Februar 2010) sei im Zusammenhang mit dem Lenken eines Kraftfahrzeugs gestanden; die Beschwerdeführerin hat vielmehr unwidersprochen vorgebracht, "im Verkehrsgeschehen" niemals auffällig geworden zu sein.

Damit ist - entgegen der unbegründeten Annahme der verkehrspsychologischen Stellungnahme - nicht erkennbar, warum der Beschwerdeführerin, von der die belangte Behörde weder annimmt, sie sei alkoholabhängig im Sinn des § 14 Abs. 1 FSG-GV, noch, sie sei in der Vergangenheit alkoholabhängig gewesen (§ 14 Abs. 5 FSG-GV), die Bereitschaft zur Verkehrsanpassung fehlen sollte.

3.4. Im Hinblick auf diese inhaltliche Rechtswidrigkeit erübrigt es sich, auf die von der Beschwerde geltend gemachten Verfahrensmängel näher einzugehen.

4. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 20. November 2012

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