VwGH 2012/07/0225

VwGH2012/07/022525.10.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bumberger und die Hofräte Dr. Hinterwirth und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pühringer, über den Antrag der Gemeinde S, vertreten durch Dr. Martin Zanon, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maria-Theresien-Straße 34/1, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Behebung von Mängeln der Beschwerde gegen den Bescheid des Landesagrarsenates beim Amt der Tiroler Landesregierung vom 15. September 2011, Zl. LAS-1126/6-11, betreffend Feststellung von Gemeindegut (hg. Zl. 2012/07/0170), den Beschluss gefasst:

Normen

VwGG §34 Abs2;
VwGG §46 Abs1;
VwGG §46 Abs4;
VwGG §34 Abs2;
VwGG §46 Abs1;
VwGG §46 Abs4;

 

Spruch:

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird stattgegeben.

Begründung

I.

Die beschwerdeführende Partei erhob gegen den genannten Bescheid des Landesagrarsenates beim Amt der Tiroler Landesregierung vom 15. September 2011 zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat (Beschluss vom 12. Juni 2012, B 1316/11-12).

Mit hg. Verfügung vom 25. Juli 2012, Zl. 2012/07/0170, wurde die beschwerdeführende Partei aufgefordert, eine Reihe näher bezeichneter Mängel, die der vom Verfassungsgerichtshof abgetretenen Beschwerde anhafteten, innerhalb einer dafür gesetzten Frist zu beseitigen, so u.a. die Beschwerde zu ergänzen und den ergänzenden Schriftsatz in vierfacher Ausfertigung vorzulegen.

Die beschwerdeführende Partei kam dieser Aufforderung nicht vollständig nach, weil sie innerhalb der zur Behebung der Mängel gesetzten Frist den ergänzenden Beschwerdeschriftsatz vom 10. September 2012 lediglich in dreifacher Ausfertigung vorlegte.

Mit Schreiben vom 12. September 2012 - nach Ablauf der genannten Mängelbehebungsfrist - reichte die beschwerdeführende Partei eine vierte Ausfertigung des Beschwerdeergänzungsschriftsatzes mit dem Bemerken nach, dass diese der vorangegangenen Eingabe versehentlich nicht beigeschlossen gewesen sei.

Gegen die Versäumung der genannten Mängelbehebungsfrist richtet sich der vorliegende, am 24. September 2012 zur Post gegebene Wiedereinsetzungsantrag, mit dem (u.a.) neuerlich eine Ausfertigung des genannten Beschwerdeergänzungsschriftsatzes vorgelegt wird.

Diesen Antrag begründet die beschwerdeführende Partei im Wesentlichen damit, dass ihr der Mängelbehebungsauftrag am 31. Juli 2012 zugestellt und dem Auftrag insofern nicht vollständig entsprochen worden sei, als die Vorlage des Ergänzungsschriftsatzes nur in dreifacher Ausfertigung erfolgt sei. Der aufgetragene Ergänzungsschriftsatz sei von ihrem Rechtsvertreter am 10. September 2012 erarbeitet und am folgenden Tag, dem letzten Tag der Einbringungsfrist, nochmals überarbeitet und inhaltlich fertiggestellt worden. Dabei sei u.a. besonderes Augenmerk darauf gelegt worden, dass dem Mängelbehebungsauftrag auch in formeller Hinsicht vollständig entsprochen werde. Im Rubrum des Schriftsatzes sei die Anzahl der beizubringenden Ausfertigungen mit dem Wort "vierfach" richtig vermerkt worden. Sodann habe die Kanzleileiterin des Rechtsvertreters den Ergänzungsschriftsatz vierfach mit einer zusätzlichen Ausfertigung für den anwaltlichen Handakt ausgedruckt und zusammen mit den vorgeschriebenen Beilagen dem Rechtsvertreter zur Endkontrolle und Unterschrift vorgelegt. Dieser habe die vier Schriftsätze (und die vorbereitete zweite Ausfertigung der VfGH-Beschwerde) sodann kontrolliert, die Unterfertigung vorgenommen und auch die Vollständigkeit der vorgeschriebenen Beilagen geprüft. Nachdem er sich so von der ordnungsgemäßen Erfüllung des Mängelbehebungsauftrages Gewissheit verschafft habe, sei das Konvolut von Aktenstücken mit allen kontrollierten Ausfertigungen und Beilagen sodann der Kanzleileiterin zur Abfertigung ausgehändigt worden. Beim Kuvertieren der für den Versand vorgesehenen Schriftstücke sei dieser dann allerdings insofern ein Fehler unterlaufen, als eine vom Rechtsvertreter gefertigte Ausfertigung des Ergänzungsschriftsatzes versehentlich nicht beigeschlossen worden sei. Der Fehler sei von der Kanzleileiterin am nächsten Tag durch das Auffinden des zurückgebliebenen Exemplars des Schriftsatzes im Sekretariat auf dem etwas tiefer gelegenen Beistellcontainer neben ihrem Schreibtisch bei anderen Unterlagen oben aufliegend entdeckt worden. Das Exemplar müsse von ihr bereits vor oder während der Kuvertierung versehentlich vom Stapel abgestreift oder sonst irgendwie dorthin gelangt sein. Dass es sich dabei um eine der zur Versendung vorbereiteten und der Sekretärin übergebenen Ausfertigungen des Schriftsatzes gehandelt habe, sei deshalb klar gewesen, weil diese Ausfertigung die Unterschrift des Rechtsvertreters aufgewiesen habe und die für den Handakt vorgesehene Ausfertigung grundsätzlich nicht unterfertigt werde. Nachdem der Rechtsvertreter davon in Kenntnis gesetzt worden sei, habe er noch am selben Tag die Nachsendung der aufgefundenen Ausfertigung des Schriftsatzes an den Verwaltungsgerichtshof veranlasst. Er habe seine Kanzlei so organisiert, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen nach Möglichkeit ausgeschlossen werden könnten. So sei u.a. für eine lückenlose Posteingangskontrolle gesorgt, Termine und Fristen, die von ihm selbst berechnet würden, würden genauestens kontrolliert und mehrfach in den Handakten, im Terminkalender und schließlich auch im EDV-System erfasst. Schriftstücke und Akten würden zur Bearbeitung rechtzeitig vorgelegt. Nach menschlichem Ermessen sei es ausgeschlossen, dass bei diesem Mehrfachkontrollsystem Termine und Fristen falsch eingetragen, berechnet oder übersehen würden. Zwischen dem Rechtsvertreter und der Sekretärin finde ein sehr reger und intensiver Austausch an Informationen statt, sodass beide auch genau wüssten, wann welche - allenfalls fristgebundenen - Erledigungen anstünden.

Schriftsätze im Verkehr mit Gerichten und Behörden würden nach Fertigstellung vom Sekretariat in der erforderlichen und auch im Schriftsatz angeführten Anzahl von Ausfertigungen samt allfällig vorzulegenden Beilagen dem Rechtsvertreter zur Endkontrolle vorgelegt. Dadurch, dass in der Regel alle erforderlichen Ausfertigungen von ihm unterschrieben würden, habe er noch eine zusätzliche Kontrolle und Sicherheit, dass die Eingaben vollständig seien. Erst nach Abschluss dieser Kontrolle würden alle Aktenstücke der Kanzleileiterin zur Abfertigung übergeben. Die unvollständige Erfüllung des Verbesserungsauftrages sei ausschließlich darauf zurückzuführen, dass der erfahrenen und zuverlässigen Kanzleileiterin bei der rein manipulativen Tätigkeit der Abfertigung der zuvor vom Rechtsvertreter gefertigten und von ihm sowohl hinsichtlich der Anzahl der Ausfertigungen des Ergänzungsschriftsatzes als auch der vorzulegenden Beilagen auf Vollständigkeit hin kontrollierten Sendung insofern ein einmaliger Fehler unterlaufen sei, als von ihr nicht wie erforderlich und intendiert alle vier für den Versand vorbereiteten Ausfertigungen des Ergänzungsschriftsatzes, sondern versehentlich nur drei kuvertiert worden seien und damit der Anschluss eines Exemplars weisungswidrig unterblieben sei. Bei der Kanzleiangestellten, der dieser Fehler passiert sei, handle es sich um eine bewährte, seit über acht Jahren in den Diensten des Vertreters stehende und von Beginn an als Rechtsanwaltskanzleiassistentin ausgebildete, äußerst gewissenhafte, fleißige und zuverlässige Sekretärin, zu deren Aufgabenbereich u.a. auch die Postabfertigung gehöre. Sie habe ihre Aufgaben über all die Jahre stets sorgfältig und gewissenhaft erledigt. Vor allem beim rein technischen Vorgang der postalischen Abfertigung von Schriftstücken sei ihr niemals ein Fehler unterlaufen. Dieses einmalige und als minderen Grad des Versehens zu beurteilende Fehlverhalten sei für den Rechtsvertreter selbst nicht vorhersehbar und unvermeidbar gewesen. Da er seinen ihm obliegenden Kontroll- und Überwachungspflichten im Vorfeld der rein technischen Abfertigung voll und ganz entsprochen habe, sei ihm das Versehen seiner Angestellten auch nicht als Verschulden anzulasten.

Zur Bescheinigung dieses Vorbringens legte die beschwerdeführende Partei mit dem Wiedereinsetzungsantrag jeweils eine eidesstättige Erklärung ihres Rechtsvertreters und dessen Kanzleileiterin G. vom 24. September 2012 sowie das Lehrabschlussprüfungszeugnis der G. im Lehrberuf "Kanzleiassistentin - Rechtsanwaltskanzlei" vom 12. August 2004, dem zufolge sie die Lehrabschlussprüfung mit gutem Erfolg bestanden habe, vor.

II.

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Bei einem nach § 34 Abs. 2 VwGG erteilten Mängelbehebungsauftrag wird die Frist zur Verbesserung nicht nur dann versäumt, wenn dem Auftrag innerhalb der Frist überhaupt nicht, sondern auch dann, wenn ihm nur unvollständig entsprochen wurde. Eine solche Fristversäumnis ist einer Wiedereinsetzung zugänglich (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 20. Februar 2003, Zl. 2003/07/0011, mwN).

Nach der ständigen hg. Judikatur trifft das Verschulden des Parteienvertreters die von diesem vertretene Partei. Dabei stellt ein einem Rechtsanwalt widerfahrenes Ereignis einen Wiedereinsetzungsgrund für die Partei nur dann dar, wenn dieses Ereignis für den Rechtsanwalt selbst unvorhergesehen oder unabwendbar war und es sich hiebei höchstens um einen minderen Grad des Versehens handelt. Ein Versehen eines Angestellten eines Rechtsanwaltes ist Letzterem (und damit auch der Partei) nur dann als Verschulden anzulasten, wenn der Rechtsanwalt die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle über den Angestellten unterlassen hat. Unterläuft einem sonst immer zuverlässig arbeitenden Angestellten erst im Zuge der Kuvertierung oder Postaufgabe ein Fehler, so stellt dies ein unvorhergesehenes Ereignis dar. Allerdings ist die Kontrolle, ob eine erfahrene und zuverlässige Kanzleikraft diese rein manipulativen Tätigkeiten auch tatsächlich ausführt, dem Rechtsanwalt nicht zumutbar, will man nicht seine Sorgfaltspflicht überspannen. Ein Rechtsanwalt kann vielmehr rein technische Vorgänge beim Abfertigen von Schriftstücken ohne nähere Beaufsichtigung einer verlässlichen Kanzleikraft überlassen (vgl. zum Ganzen etwa den Beschluss vom 19. Juni 2008, Zl. 2008/18/0448, mwN).

Zunächst deutet nichts auf ein Verschulden des Beschwerdevertreters bei der Auswahl der Kanzleikraft G. hin, zumal auch das Prüfungszeugnis vom 12. August 2004 deren berufliche Qualifikation attestiert. Ferner besteht kein Grund, an den Angaben in den genannten eidesstättigen Erklärungen vom 24. September 2012 zu zweifeln.

Geht man von diesen Angaben aus, so wird das Antragsvorbringen zur Organisation des Kanzleibetriebes des Rechtsvertreters der beschwerdeführenden Partei bestätigt und handelt es sich bei G., die seit ihrer Lehrabschlussprüfung im Jahr 2004 ununterbrochen als Sekretärin und Kanzleileiterin in der genannten Kanzlei beschäftigt ist, um eine gewissenhaft arbeitende und stets zuverlässige Mitarbeiterin, der bisher noch kein derartiger Fehler bei der Abfertigung von Schriftstücken unterlaufen ist. Ferner ergibt sich aus den genannten eidesstättigen Erklärungen die Richtigkeit des Vorbringens im Bezug darauf, wie es zu dem Fehler beim Kuvertieren durch die Kanzleileiterin gekommen ist.

Die Versäumung der Mängelbehebungsfrist hinsichtlich der weiteren Ausfertigung des Beschwerdeergänzungsschriftsatzes ist daher lediglich auf einen Fehler der Kanzleiangestellten G. bei der rein manipulativen Tätigkeit der Postaufgabe zurückzuführen.

Im Hinblick darauf war dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 46 Abs. 1 und 4 VwGG stattzugeben.

Wien, am 25. Oktober 2012

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte