VwGH 2011/23/0307

VwGH2011/23/030712.9.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des Z in W, vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kärntner Ring 6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 28. Jänner 2009, Zl. E1/489.795/2008, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §56 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §61 Z2;
FrPolG 2005 §66;
MRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
FrPolG 2005 §56 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §61 Z2;
FrPolG 2005 §66;
MRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein serbischer Staatsangehöriger, reiste im Dezember 1990 - im Alter von sechs Jahren - nach Österreich ein, wo er sich bis August 1996 aufhielt. Am 21. Dezember 2000 beantragte er über die Österreichische Botschaft Belgrad eine Niederlassungsbewilligung, die ihm erteilt wurde, worauf er wieder nach Österreich einreiste. Seit 23. Jänner 2006 verfügt der Beschwerdeführer über einen unbefristeten Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG".

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 28. Jänner 2009 erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.

In ihrer Begründung führte sie dazu aus, dass der Beschwerdeführer am 16. Mai 2008 vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen der Verbrechen des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127, 128 Abs. 1 Z 4, 129 Z 1 und 2, 130 vierter Fall StGB, des schweren gewerbsmäßigen Betrugs, teils als Beitrags- teils als Bestimmungstäter, nach den §§ 146, 147 Abs. 2, 148 erster Fall, 12 zweiter und dritter Fall StGB sowie der gewerbsmäßigen Hehlerei nach § 164 Abs. 2, 3 und 4 zweiter Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 30 Monaten verurteilt worden sei, wovon ein Teil von 24 Monaten bedingt nachgesehen worden sei. Nach näherer Darstellung der dieser Verurteilung zugrunde liegenden Tathandlungen führte die belangte Behörde aus, dass das Gericht bei der Strafbemessung das umfassende und reumütige Geständnis und den bislang ordentlichen Lebenswandel als mildernd, die Tatwiederholung innerhalb der Gewerbsmäßigkeit, den hohen Schaden sowie das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen hingegen als erschwerend gewertet habe. Weiters sei der Beschwerdeführer in "zahlreichen Verwaltungsstrafverfahren wegen der Übertretungen nach der Straßenverkehrsordnung und dem Kraftfahrgesetz" rechtskräftig bestraft worden.

Der Beschwerdeführer sei - nach seinem Berufungsvorbringen - seit 1. September 2008 mit einer serbischen Staatsangehörigen verheiratet, mit der er ein am 23. Juli 2008 geborenes gemeinsames Kind habe. Ebenso lebten seine Mutter und seine Geschwister im Bundesgebiet.

Rechtlich beurteilte die belangte Behörde den Sachverhalt dahingehend, dass auf Grund der dargestellten Verurteilung der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllt sei. Das Gesamt(fehl)verhalten des Beschwerdeführers beeinträchtige die öffentliche Ordnung und Sicherheit - in concreto: das öffentliche Interesse an der Verhinderung der Eigentumskriminalität - in erheblichem Ausmaß, sodass die Voraussetzungen zur Erlassung des Aufenthaltsverbots - vorbehaltlich der Bestimmungen der §§ 61 und 66 FPG - (auch) im Grunde des § 60 Abs. 1 FPG gegeben seien.

Zwar sei von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das "Privatleben" des Beschwerdeführers auszugehen. Dessen ungeachtet sei die Zulässigkeit dieser Maßnahme im Grunde des § 66 FPG zu bejahen, weil sie zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen sowie zum Schutz des Eigentums Dritter - dringend geboten sei. Der Beschwerdeführer habe durch sein strafbares Verhalten augenfällig dokumentiert, dass er nicht in der Lage bzw. nicht gewillt sei, die zum Schutz fremden Vermögens aufgestellten Normen einzuhalten. Diese Annahme werde auch dadurch verstärkt, dass der Beschwerdeführer darüber hinaus wegen zahlreicher Verwaltungsübertretungen bestraft worden sei. Aus diesem Grund könne auch eine Verhaltensprognose für ihn nicht positiv ausfallen.

Der Beschwerdeführer befinde sich seit 13. Oktober 2008 in einem aufrechten Beschäftigungsverhältnis. Davor weise er seit Jänner 2004 lediglich 23 Monate an Beschäftigungszeiten auf, sodass sich seine berufliche Integration erheblich relativiere. Einer aus seinem bisherigen Aufenthalt allfällig ableitbaren Integration komme aber auch insofern kein entscheidendes Gewicht zu, als die für jegliche Integration erforderliche soziale Komponente durch sein strafbares Verhalten erheblich beeinträchtigt werde. Dem stehe das - hoch zu veranschlagende - öffentliche Interesse an der Verhinderung der Eigentumskriminalität gegenüber.

Die belangte Behörde gelangte unter Abwägung dieser Interessenlagen zur Ansicht, dass die Auswirkungen des Aufenthaltsverbots auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers keinesfalls schwerer wiegen würden als das in seinem Gesamt(fehl)verhalten begründete hohe öffentliche Interesse daran, dass er das Bundesgebiet verlasse und diesem fern bleibe. Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf die Art und die Schwere der dem Beschwerdeführer zur Last liegenden Straftaten habe von der Erlassung des Aufenthaltsverbots auch nicht im Rahmen des Ermessens Abstand genommen werden können. Ein Wegfall des für die Erlassung dieser Maßnahme maßgeblichen Grundes könne nicht vor Verstreichen des festgesetzten Zeitraums erwartet werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die zu diesem Zeitpunkt (Jänner 2009) geltende Fassung des genannten Gesetzes.

Die Beschwerde wendet sich u.a. gegen die Interessenabwägung im angefochtenen Bescheid und bringt dazu vor, dass die belangte Behörde nur von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privatleben ausgegangen sei. Sie habe damit - im Hinblick auf das in der Berufung dargestellte Zusammenleben des Beschwerdeführers mit seiner Ehefrau und dem am 18. Juli 2008 geborenen ehelichen Sohn - verkannt, dass mit dem Aufenthaltsverbot auch ein viel schwerer wiegender Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens verbunden sei.

Dieses Vorbringen zeigt im Ergebnis eine relevante Mangelhaftigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

Der Beschwerdeführer verfügte - nach den Feststellungen im erstinstanzlichen Bescheid, auf welche auch die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid verwies, und nach der Aktenlage - seit 23. Jänner 2006 über einen unbefristeten Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG". Abgesehen davon, dass deshalb gegen den Beschwerdeführer ein Aufenthaltsverbot nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des - im Wege des § 61 Z 2 FPG anzuwendenden - § 56 Abs. 1 FPG hätte erlassen werden dürfen (vgl. dazu grundlegend das Erkenntnis vom 20. November 2008, Zl. 2008/21/0603), ist der belangten Behörde aber vor allem anzulasten, dass sie im Rahmen ihrer Beurteilung nach § 66 FPG lediglich von einem Eingriff in das "Privatleben" des Beschwerdeführers ausging und sich weder mit dem aufenthaltsrechtlichen Status der Ehefrau des Beschwerdeführers und des gemeinsamen Kindes sowie mit den Auswirkungen des gegenständlichen Aufenthaltsverbots auf deren Lebensverhältnisse beschäftigte (vgl. zum Ganzen das Erkenntnis vom 29. Februar 2012, Zl. 2009/21/0074).

Der bekämpfte Bescheid war schon aus diesem Grund wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 12. September 2012

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte