VwGH 2011/23/0281

VwGH2011/23/028124.4.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des S, vertreten durch Dr. Christof Dunst, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Landesgerichtsstraße 18/1/11, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 5. Mai 2008, Zl. E1/323.766/2007, betreffend Erlassung eines befristeten Rückkehrverbots, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §62 Abs1;
FrPolG 2005 §62 Abs2;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §62 Abs1;
FrPolG 2005 §62 Abs2;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.128,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein serbischer Staatsangehöriger, der sich seit 1990 im Bundesgebiet aufhielt, wurde am 28. August 1990 vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen §§ 127, 130 erster Fall, 15 StGB und §§ 125, 126 Abs. 1 Z 5 StGB rechtskräftig zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten verurteilt, weil er gemeinsam mit anderen Personen im Juni 1990 mehrfach die Geldrückgabetrommeln von öffentlichen Münzfernsprechern blockiert hatte, und auf diese Weise deren Benützern Bargeld gestohlen bzw. zu stehlen versucht sowie die öffentlichen Fernmeldeanlagen beschädigt bzw. unbrauchbar gemacht hatte.

Am 27. Juli 1993 wurde er in Abwesenheit vom Strafbezirksgericht Wien wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Wochen verurteilt, weil er aus einem Gassenlokal eine Registrierkasse, eine Flasche Schankwein und ein Telefonbuch gestohlen hatte. Da das Urteil dem Beschwerdeführer zunächst nicht zugestellt werden konnte, erwuchs es erst am 15. März 2007 in Rechtkraft.

Nachdem der Beschwerdeführer im Jahr 1994 mit einem Sichtvermerk, den er - nach eigenen Angaben - von einem Beamten gegen Bezahlung von S 5.000,-- erhalten hatte, wieder nach Österreich eingereist war, wurde gegen ihn mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 25. April 1994 rechtskräftig ein befristetes Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.

Am 1. April 1998 wurde der Beschwerdeführer unter einem Alias-Namen mit Urteil des Landesgerichtes Leoben wegen des Vergehens des schweren Eingriffs in fremdes Fischereirecht nach den §§ 137, 138 Z 2 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt. Dem lag zu Grunde, dass er gemeinsam mit zwei Mittätern am 22. März 1998 in W und K insgesamt 27 Forellen, davon sechs Regenbogenforellen, in der Schonzeit unter Verletzung fremder Fischereirechte aus der Mürz gefischt hatte.

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 28. Jänner 2002 wurde der Antrag des Beschwerdeführers vom 18. Mai 2000 auf Aufhebung des befristeten Aufenthaltsverbots rechtskräftig abgewiesen.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 19. April 2007 wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt als Beteiligter nach den §§ 302 Abs. 1, 12 dritter Fall StGB und des Vergehens der Geschenkannahme durch Beamte als Beteiligter nach den §§ 304 Abs. 1, 12 dritter Fall StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von acht Monaten verurteilt. Diesem Urteil lag zu Grunde, dass der Beschwerdeführer zwischen November 1993 und Jänner 1994 zu den Amtsdelikten eines Vertragsbediensteten, der in fünf Fällen amtsmissbräuchlich Aufenthaltsbewilligungsvignetten ausgedruckt und in Reisepässe eingeklebt hatte, obwohl die Voraussetzungen zu deren Erteilung nicht vorgelegen waren, sowie einmal im Jänner 1994 zur bevorzugten rascheren Abwicklung eines Aufenthaltsbewilligungsersuchens mit Ausstellung der Vignette dadurch beigetragen hatte, dass er die davon profitierenden Fremden gegen Bezahlung an diesen Beamten vermittelt hatte.

Am 15. Mai 2007 stellte der Beschwerdeführer einen Asylantrag, der bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheids nicht erledigt war.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 5. Mai 2008 erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 62 Abs. 1 und 2 iVm § 60 Abs. 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Rückkehrverbot.

Begründend führte sie über den eingangs dargestellten unstrittigen Sachverhalt zusammengefasst weiters aus, dass der Beschwerdeführer nach Ablauf seines Visums im Jahr 1992 in Österreich verblieben sei, wofür er im Verwaltungsweg bestraft worden sei. Auch nach Erlassung des Aufenthaltsverbots habe er seinen illegalen Aufenthalt im Bundesgebiet fortgesetzt, weshalb neuerlich eine Verwaltungsstrafe über ihn verhängt worden sei. Bei einer niederschriftlichen Einvernahme sei er von einer (namentlich genannten) Frau dahingehend belastet worden, dass er ihre Scheinehe vermittelt habe.

Nach seinen Angaben lebe er seit etwa 2005 ständig - ohne gültigen Aufenthaltstitel - in Österreich, sei geschieden und für zwei Kinder sorgepflichtig, zu denen er aber seit etwa fünf Jahren keinen Kontakt mehr habe. Er sei vor seiner Inhaftierung auf Grund eines vom Landesgericht für Strafsachen Wien erlassenen Haftbefehls (im Rahmen des zur letzten Verurteilung führenden Strafverfahrens) ohne Beschäftigung gewesen und von seinen Geschwistern aus Frankreich finanziell unterstützt worden. Bei einer Abschiebung in seine Heimat habe er weder mit strafrechtlicher noch mit politischer Verfolgung zu rechnen. Erst auf Grund seines Asylantrags verfüge er über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz. Bis dahin sei sein Aufenthalt im Bundesgebiet unrechtmäßig gewesen.

Rechtlich führte die belangte Behörde nach Darstellung der maßgeblichen Gesetzesbestimmungen aus, dass gegen den Beschwerdeführer als Asylwerber ein Rückkehrverbot erlassen werden könne. Auf Grund der Verurteilungen sei der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllt. Sein Gesamt(fehl)verhalten gefährde die öffentliche Ordnung und Sicherheit in höchstem Maße, sodass auch die im § 62 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei. Auf Grund seines bisherigen inländischen Aufenthalts sei von einem mit dem Rückkehrverbot verbundenen Eingriff in sein Privat- und Familienleben auszugehen. Dessen ungeachtet sei die Erlassung des Rückkehrverbots nach § 66 Abs. 1 FPG zulässig und zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, nämlich zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen sowie zum Schutz des Eigentums Dritter und der Amtspflicht, dringend geboten. Das bisherige Verhalten des Beschwerdeführers verdeutliche mehr als augenfällig, dass er offenbar nicht in der Lage oder gewillt sei, die österreichischen Rechtsvorschriften einzuhalten. Er habe in der Vergangenheit, trotz einschlägiger Verurteilungen, zahlreiche, gegen fremdes Vermögen und gegen die Amtspflicht gerichtete strafbare Handlungen gesetzt. Darüber hinaus habe er mehrmals fremdenrechtliche Vorschriften missachtet, weil er trotz des gegen ihn bestehenden Aufenthaltsverbots immer wieder illegal nach Österreich eingereist sei. Auch nach Ablauf des Aufenthaltsverbots habe er sich zunächst unrechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten. Eine Verhaltensprognose könne für ihn daher nicht positiv ausfallen.

Einer allfälligen, aus seinem bisherigen Aufenthalt ableitbaren Integration - so führte die belangte Behörde weiter aus - komme insofern kein entscheidendes Gewicht zu, als die dafür erforderliche soziale Komponente durch sein strafbares Verhalten erheblich beeinträchtigt werde. Seine privaten Interessen müssten daher gegenüber den genannten, hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interessen in den Hintergrund treten. Im Hinblick auf Art und Schwere der ihm zur Last liegenden Straftaten könne auch nicht im Rahmen einer Ermessensentscheidung von der Erlassung des Rückkehrverbots Abstand genommen werden. Vor Verstreichen des festgesetzten Zeitraums sei ein Wegfall der für die Erlassung des Rückkehrverbots maßgeblichen Gründe angesichts seines Gesamt(fehl)verhaltens und seiner aktenkundigen Lebenssituation nicht zu erwarten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die zu diesem Zeitpunkt (Mai 2008) maßgebliche Fassung.

Gemäß § 62 Abs. 1 FPG kann gegen einen Asylwerber ein Rückkehrverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein (weiterer) Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 ERMK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 62 Abs. 2 FPG sind bestimmte Tatsachen iSd Abs. 1 (u.a.) jene des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG. Danach hat als bestimmte, die erwähnte Gefährdungsprognose rechtfertigende Tatsache zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht das Vorliegen der eingangs dargestellten Verurteilungen. Angesichts dieser Verurteilungen erweist sich die Annahme der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG (hier: der dritte und vierte Fall) erfüllt sei, nicht als rechtswidrig.

Die Beschwerde wendet sich jedoch gegen die Gefährdungsprognose und bringt dazu vor, dass der Beschwerdeführer zuletzt im Jahr 1998 verurteilt worden sei und sich seither wohlverhalten habe. Das (seit 1994) anhängige Strafverfahren habe erst nach seiner Wiedereinreise mit dem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 19. April 2007 einer Klärung zugeführt werden können. Im Hinblick auf seine strafgerichtlichen Verurteilungen sei jedoch bereits im Jahr 1994 ein befristetes Aufenthaltsverbot gegen ihn verhängt worden, weshalb deren neuerliche Verwertung gegen den Grundsatz "ne bis in idem" verstoße. Jedenfalls sei jedoch auf die Gefährlichkeit einer Person abzustellen. Eine solche sei auf Grund der Verurteilungen, die inzwischen bereits zehn bzw. dreizehn Jahre zurücklägen, bei ihm nicht mehr gegeben.

Zunächst ist dem Beschwerdeführer hierauf zu entgegnen, dass der Verwaltungsgerichtshof in dem (noch zum Fremdengesetz 1997 ergangenen) Erkenntnis vom 8. September 2005, Zl. 2003/18/0227, ausgeführt hat, dass in die zu erstellende Prognose grundsätzlich das gesamte Fehlverhalten eines Fremden, und somit auch strafbares Verhalten das länger zurückliegenden Verurteilungen zu Grunde lag, einzubeziehen ist. Dass diese Fehlverhalten bereits einem zuvor gegen den Fremden erlassenen Aufenthaltsverbot zu Grunde gelegt worden sind, steht deren neuerlichen Berücksichtigung im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zusammen mit dem seither hinzugekommenen Fehlverhalten nicht entgegen.

Dennoch zeigt die Beschwerde mit ihrem Vorbringen im konkreten Fall in diesem Zusammenhang im Ergebnis zu Recht eine inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids auf.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Stellung der für jedes Rückkehrverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose - wie im Fall eines Aufenthaltsverbots - das Gesamt(fehl)verhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 62 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Bei dieser Beurteilung kommt es demnach - anders als bei der Frage, ob der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllt ist - nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild an (vgl. etwa das Erkenntnis vom 30. August 2011, Zl. 2008/21/0576, mwN).

Die belangte Behörde stützte das erlassene Rückkehrverbot tragend auf die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefährdung des Eigentums Dritter und "der Amtspflichten". Anlass für die Verhängung des gegenständlichen Rückkehrverbots war offenbar die Verurteilung des Beschwerdeführers am 19. April 2007. Dabei lässt die belangte Behörde jedoch außer Acht, dass mit diesem Strafurteil ausschließlich über in den Jahren 1993 und 1994 begangene Straftaten abgesprochen wurde, die im Übrigen auch bereits Gegenstand des Aufenthaltsverbotsbescheids vom 25. April 1994 waren. Dass Diebstahlsfakten aus den Jahren 1990 und 1993 keinen Schluss auf eine aktuelle Gefährlichkeit des Beschwerdeführers zulassen, liegt aber ebenfalls auf der Hand. Aber auch das dem Urteil aus dem Jahr 1998 zu Grunde liegende Fehlverhalten lag zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheids bereits mehr als zehn Jahre zurück. Die behördliche Annahme, es sei weiterhin bzw. wiederum eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gegeben, war daher nicht gerechtfertigt. Das vom Beschwerdeführer gesetzte fremdenrechtliche Fehlverhalten lässt aber für sich genommen die Verhängung eines Rückkehrverbots in der Dauer von zehn Jahren nicht zu.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich - im Rahmen des Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 24. April 2012

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