VwGH 2011/23/0127

VwGH2011/23/012721.2.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Haunold, Mag. Feiel und Dr. Mayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des C, vertreten durch Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schwedenplatz 2/74, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 19. Juli 2007, Zl. E1/292165/2007, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

32004L0038 Unionsbürger-RL;
62011CJ0256 Dereci VORAB;
EURallg;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §86 Abs2 impl;
32004L0038 Unionsbürger-RL;
62011CJ0256 Dereci VORAB;
EURallg;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §86 Abs2 impl;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste im August 2003 illegal nach Österreich ein und stellte am 7. August 2003 einen Asylantrag. Der unabhängige Bundesasylsenat hat diesen Antrag im Instanzenzug abgewiesen und die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria festgestellt; diese Entscheidung erwuchs am 28. Februar 2007 in Rechtskraft.

Am 13. Jänner 2006 heiratete der Beschwerdeführer die österreichische Staatsbürgerin A.O. Ein im Hinblick darauf gestellter Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung wurde mit Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 9. August 2006 im Instanzenzug rechtskräftig abgewiesen.

Das Verfahren über einen weiteren, im Mai 2007 gestellten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels war zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides noch anhängig.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 19. Juli 2007 wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer gemäߧ 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) aus dem Bundesgebiet aus.

Begründend hielt die belangte Behörde eingangs fest, dass der Beschwerdeführer mit dem rechtskräftigen negativen Abschluss des Asylverfahrens sein - ohnehin nur vorläufiges - Aufenthaltsrecht in Österreich verloren habe. Der Beschwerdeführer habe nicht bestritten, sich ohne Aufenthaltstitel in Österreich aufzuhalten. Die belangte Behörde verneinte weiters die Eigenschaft des Beschwerdeführers als begünstigter Drittstaatsangehöriger, weil er nicht vorgebracht habe, eine Österreicherin, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen habe, begleitet zu haben oder ihr nachgezogen zu sein.

Ausgehend von seinem viereinhalbmonatigen unrechtmäßigen Aufenthalt in Österreich warf die belangte Behörde dem Beschwerdeführer vor, nicht vorzuhaben, das Bundesgebiet freiwillig zu verlassen. Ein solches Verhalten könne aber unter keinen Umständen, auch nicht bei Verehelichung mit einer österreichischen Staatsbürgerin, hingenommen werden. Zwar räumte die belangte Behörde in weiterer Folge ein, dass im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit der Ausweisung zugunsten des Beschwerdeführers zu berücksichtigen sei, dass enge familiäre Beziehungen zu seiner Ehefrau bestünden. Allerdings sei die aus dem etwa vierjährigen Aufenthalt ableitbare Integration in ihrem Gewicht durch die lange Unrechtmäßigkeit des Aufenthaltes sowie durch die Tatsache gemindert, dass der Beschwerdeführer während des Asylverfahrens nur vorläufig aufenthaltsberechtigt gewesen sei. Den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers stehe die erhebliche Beeinträchtigung des großen öffentlichen Interesses an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens gegenüber. Die Ausweisung sei zur Erreichung dieses Ziels dringend geboten. Angesichts der als schwer einzustufenden Verletzung aufenthaltsrechtlicher Vorschriften sah sich die belangte Behörde auch nicht in der Lage, im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens von der Erlassung der Ausweisung Abstand zu nehmen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die im Juli 2007 geltende Fassung.

Gemäß § 53 Abs. 1 FPG können Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Die belangte Behörde stellte im angefochtenen Bescheid fest, dass das Asylverfahren des Beschwerdeführers am 28. Februar 2007 rechtskräftig negativ abgeschlossen worden sei. Die gleiche Feststellung findet sich auch schon im erstinstanzlichen Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 2. Juni 2007. Der Beschwerdeführer ist dieser Feststellung im Verwaltungsverfahren nicht entgegengetreten. Vielmehr hat er in seiner Stellungnahme vom 21. Mai 2007 ausdrücklich festgehalten, er habe (im Mai 2007) "nach Abschluss des Asylverfahrens" einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels als Familienangehöriger eingebracht. Soweit er nunmehr erstmals in der Beschwerde ausführt, dass ihm der Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates erst am 23. August 2007 zugestellt worden und das Asylverfahren somit zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides noch gar nicht abgeschlossen gewesen sei, handelt es sich dabei um eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unzulässige Neuerung (§ 41 Abs. 1 erster Satz VwGG).

Weder nach dem Beschwerdevorbringen noch nach der Aktenlage bestehen Anhaltspunkte dafür, dass dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel erteilt worden wäre. Die belangte Behörde durfte daher davon ausgehen, dass sich der Beschwerdeführer nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte.

Der Beschwerdeführer behauptet auch nicht, dass seine Ehefrau ihr unionsrechtlich eingeräumtes Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen habe. Er bringt jedoch vor, dass die Bestimmung des § 53 Abs. 1 FPG auf ihn als Ehemann einer österreichischen Staatsbürgerin nicht anwendbar und eine Ausweisung von Familienangehörigen österreichischer Staatsbürger allein wegen eines unrechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet grundsätzlich ausgeschlossen sei. Diesem Vorbringen ist zu entgegnen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Rechtsgrundlage für die Ausweisung unrechtmäßig aufhältiger Familienangehöriger von Österreichern, die ihr unionsrechtlich zustehendes Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen haben, nicht § 86 Abs. 2 FPG, sondern § 53 Abs. 1 FPG ist. Die Ausweisung des Beschwerdeführers setzt daher nach der - zur hier maßgeblichen Rechtslage ergangenen - Rechtsprechung nicht das Vorliegen der in der Beschwerde angesprochenen qualifizierten Gefährdung voraus (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom 19. Mai 2011, Zl. 2008/21/0124, mwN). Die Beschwerdeausführungen geben keinen Anlass, von dieser Rechtsprechung abzugehen.

Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang gleichheitsrechtliche Bedenken anspricht, genügt es, auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 16. Dezember 2009, VfSlg. 18.968, hinzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof sieht schließlich auch keine Veranlassung, der Anregung des Beschwerdeführers zu folgen, im vorliegenden Zusammenhang ein Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof zu richten (vgl. zur Nichtanwendbarkeit der Richtlinie 2004/38/EG auf einen Sachverhalt, in dem der österreichische Ehepartner des Drittstaatsangehörigen von seinem unionsrechtlich eingeräumten Recht auf Freizügigkeit keinen Gebrauch gemacht hat, die Ausführungen des EuGH in seinem jüngst ergangenen Urteil vom 15. November 2011, Rs C-256/11 Dereci u.a., Rz 52 ff).

Die Behörde ist somit zutreffend davon ausgegangen, dass der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei.

Wird durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Die Ausweisung darf nach dem - auch bei Ausweisungen gemäß § 53 Abs. 1 FPG zu beachtenden (vgl. das Erkenntnis vom 22. Dezember 2009, Zl. 2009/21/0348, Punkt 2.3.2.) - § 66 Abs. 2 FPG jedenfalls nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen, als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung. Bei dieser Abwägung ist insbesondere auf die Dauer des Aufenthaltes und das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen (Z 1) und auf die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen (Z 2) Bedacht zu nehmen. Bei der Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt.

Der Beschwerdeführer kritisiert in dieser Hinsicht, die belangte Behörde habe bei ihrer Entscheidung seine persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich - insbesondere das Familienleben mit seiner österreichischen Ehefrau - nicht entsprechend berücksichtigt. Dieser Einwand ist im Ergebnis berechtigt.

Zwar durfte die belangte Behörde zutreffend von einem großen öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und eines geordneten Fremdenwesens ausgehen. Dennoch muss sich die belangte Behörde mit den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich und hier insbesondere mit den konkreten Auswirkungen der Ausweisung auf seine Situation und auf die seiner österreichischen Ehefrau entsprechend auseinandersetzen. Ausgehend davon ist der belangten Behörde aber vorzuwerfen, dass sie die gebotene Interessenabwägung nach § 66 FPG vor dem Hintergrund der in der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes in Anlehnung an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte hervorgestrichenen Kriterien nur unzureichend vorgenommen hat. Insoweit kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Entscheidungsgründe der Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. November 2010, Zl. 2009/21/0031 und Zl. 2007/21/0493, verwiesen werden.

Da nicht auszuschließen ist, dass die belangte Behörde bei Berücksichtigung der genannten Kriterien zu einem anderen Ergebnis ihrer Interessenabwägung gekommen wäre, hat sie den angefochtenen Bescheid mit einem relevanten Verfahrensmangel belastet. Der Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 21. Februar 2012

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