VwGH 2010/21/0444

VwGH2010/21/044426.1.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des M, vertreten durch Dr. Farhad Paya, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Herrengasse 12/I, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 21. Mai 2010, Zl. VwSen-231101/2/Gf/Mu, betreffend Bestrafung wegen Übertretung des Fremdenpolizeigesetzes 2005, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §56;
FrPolG 2005 §120 Abs1 Z2;
FrPolG 2005 §31 Abs1 Z2;
FrPolG 2005 §31 Abs1 Z3;
FrPolG 2005 §31 Abs1 Z4;
FrPolG 2005 §31 Abs1 Z6;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
VStG §6;
VwGG §30 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AVG §56;
FrPolG 2005 §120 Abs1 Z2;
FrPolG 2005 §31 Abs1 Z2;
FrPolG 2005 §31 Abs1 Z3;
FrPolG 2005 §31 Abs1 Z4;
FrPolG 2005 §31 Abs1 Z6;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
VStG §6;
VwGG §30 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der aus Armenien kommende Beschwerdeführer reiste gemeinsam mit seinen Eltern und seinen (damals) minderjährigen Schwestern am 13. Mai 2003 nach Österreich ein und beantragte die Gewährung von Asyl. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 17. September 2003 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 abgewiesen. Zugleich wurde gemäß § 8 leg. cit. seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Armenien für zulässig erklärt. Eine dagegen erhobene Berufung wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 15. Juli 2008 als unbegründet abgewiesen. Die Eltern, drei Schwestern und ein Bruder des Beschwerdeführers haben ebenfalls erfolglos die Gewährung von Asyl beantragt. Sie wurden in der Folge gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG aus dem Bundesgebiet ausgewiesen (vgl. dazu das diese Angehörigen betreffende hg. Erkenntnis vom 25. März 2010, Zlen. 2009/21/0125 bis 0127).

Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid vom 27. März 2009 erließ die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Kärnten gegen den Beschwerdeführer gemäß § 60 Abs. 1 und 2 Z. 1 FPG ein auf ein Jahr befristetes Aufenthaltsverbot. Dagegen erhob der Beschwerdeführer am 12. Mai 2009 Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 18. Mai 2009 die aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde. Die Beschwerde wurde mit Erkenntnis vom 25. März 2010, Zl. 2009/21/0122, dem die Einzelheiten des Verfahrens entnommen werden können, als unbegründet abgewiesen.

Mit Straferkenntnis vom 22. April 2010 verhängte die Bundespolizeidirektion Linz über den (vorübergehend in ihrem Sprengel wohnenden) Beschwerdeführer gemäß § 120 Abs. 1 Z. 2 und § 31 Abs. 1 Z. 2 bis 4 und 6 FPG eine Geldstrafe. Da er über keine Aufenthaltsberechtigung verfüge, halte er sich seit dem 25. April 2009 unrechtmäßig im Bundesgebiet auf. Als Folge der erwähnten Zuerkennung aufschiebender Wirkung durch den Verwaltungsgerichtshof sei lediglich die Vollstreckung der genannten fremdenpolizeilichen Maßnahme für die Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens hinausgeschoben worden, jedoch habe der Beschwerdeführer dadurch keinen Aufenthaltstitel erworben.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 21. Mai 2010 bestätigte die belangte Behörde gemäß § 24 VStG iVm § 66 Abs. 4 AVG den Erstbescheid im Umfang des Tatzeitraumes vom 25. April 2009 bis zum 10. Februar 2010 (Verlassen des Sprengels der Erstbehörde durch den Beschwerdeführer) und reduzierte (auf Grund des kürzeren Tatzeitraumes) die verhängte Geldstrafe.

Begründend führte sie - soweit im vorliegenden Zusammenhang von Bedeutung - aus, der Beschwerdeführer sei seit der Zustellung der erwähnten Entscheidung des Asylgerichtshofes vom 15. Juli 2008 (am 27. Juli 2008) nicht mehr zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt. Er wäre daher verpflichtet gewesen, dieses umgehend (freiwillig) zu verlassen. Dass er dieser Verpflichtung nicht entsprochen habe "und deshalb seitens der Fremdenpolizeibehörden in der Folge seine zwangsweise Außerlandesschaffung im Wege der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ins Auge gefasst werden musste", könne nicht dazu führen, aus dem bloßen Umstand, dass im Zuge des Aufenthaltsverbotsverfahrens bestimmte "mit einer darauf bezüglichen Suspensivwirkung verbundene Rechtsmittel ergriffen wurden", eine Legalisierung des Aufenthalts im Bundesgebiet zu folgern. Andere Umstände, die seine Aufenthaltsberechtigung begründen könnten, seien weder vorgebracht worden noch aktenkundig. Der Beschwerdeführer habe insgesamt zumindest fahrlässig und damit schuldhaft gehandelt.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 21. September 2010, B 785/10-6, ablehnte und sie mit weiterem Beschluss vom 27. Oktober 2010 dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

Über die im vorliegenden Verfahren ergänzte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Der Beschwerdeführer verweist auf das - eine Bestrafung wegen Nichtbeachtung einer rechtskräftigen Ausweisung betreffende - Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 10. Juni 1999, B 1575/98 (= VfSlg. 15.508). Darin hat dieser näher dargelegt, die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung (im Anlassfall durch ihn selbst) habe zunächst zur Folge, dass aus dem angefochtenen Ausweisungsbescheid vorläufig keine Rechtswirkungen abgeleitet werden könnten und von daher eine Bestrafung des Beschwerdeführers auf Grund einer Zuwiderhandlung gegen diesen Bescheid (wegen Nichtbefolgung der Ausweisung) unzulässig sei. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass der Fremde nach Ansicht der Behörden die Entscheidung des Höchstgerichtes trotz der Zuerkennung aufschiebender Wirkung im Ausland hätte abwarten müssen, um eine Verwaltungsstrafe abzuwenden. Diese Auffassung sei verfehlt und mit dem durch das B-VG vorgezeichneten Rechtsschutzsystem nicht vereinbar, das es verbiete, den Rechtsschutzsuchenden generell einseitig mit allen Folgen einer potenziell rechtswidrigen Entscheidung der Behörde zu belasten. Ebenso sprach der Verfassungsgerichtshof im zitierten Erkenntnis vom 10. Juni 1999 aus, die Rechtswirkungen der Zuerkennung aufschiebender Wirkung könnten zwar erst mit Ergehen eines diesbezüglichen höchstgerichtlichen Beschlusses eintreten. Jedoch habe die (Straf-)Berufungsbehörde auf Grund der Sach- und Rechtslage (nach Ergehen dieses Beschlusses) zu entscheiden, die sich ihr im Entscheidungszeitpunkt, nämlich dem der Zustellung ihres Berufungsbescheides an den Rechtsvertreter des Beschwerdeführers, darbiete. Sie hätte also (den gesamten, zum Teil auch vor dieser Beschlussfassung liegenden Deliktszeitraum betreffend) den Umstand zu berücksichtigen gehabt, dass der Beschwerde gegen den Ausweisungsbescheid (mittlerweile) aufschiebende Wirkung zuerkannt worden war (vgl. dazu auch das einen Fall der Zuerkennung aufschiebender Wirkung durch den Verwaltungsgerichtshof gegen einen Ausweisungsbescheid behandelnde Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 10. Juni 1999, B 309/99).

Der Beschwerdeführer vertritt mit Bezug auf diese Judikatur die Ansicht, auf Grund der Zuerkennung aufschiebender Wirkung durch den Verwaltungsgerichtshof (mit dem erwähnten Beschluss vom 18. Mai 2009) habe der Aufenthaltsverbotsbescheid vom 27. März 2009 keine Rechtswirkungen entfalten können. Dem entsprechend hätte auch die auf seiner Grundlage erfolgte, vorliegend in Beschwerde gezogene Bestrafung wegen unrechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet unterbleiben müssen.

Mit diesen Überlegungen zeigt der Beschwerdeführer im Ergebnis eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf:

Zwar erfolgte die Bestrafung des Beschwerdeführers im vorliegenden Fall nicht unmittelbar wegen der Nichtbefolgung des genannten Aufenthaltsverbotes, sondern - ungeachtet dessen, dass der Beginn des Tatzeitraums erst mit Rechtskraft des Aufenthaltsverbotes angesetzt wurde - schlichtweg wegen unrechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet (nach rechtskräftiger Beendigung des erwähnten Asylverfahrens). Dieser unrechtmäßige Aufenthalt wird vom Beschwerdeführer, der weder die Erteilung eines Aufenthaltstitels behauptet noch sonstige für die Rechtmäßigkeit seines Aufenthalts im Bundesgebiet sprechende Umstände ins Treffen führt, nicht bestritten. An der Verwirklichung des Tatbestandes des § 120 Abs. 1 Z. 2 FPG bestehen daher keine Zweifel.

Unter Berücksichtigung der vom Verfassungsgerichtshof im zitierten Erkenntnis VfSlg. 15.508 angestellten - auch den Zeitraum vor Einräumung der aufschiebenden Wirkung umfassenden - Rechtsschutzüberlegungen ist allerdings darauf Bedacht zu nehmen, dass mit der Zuerkennung aufschiebender Wirkung (durch den zitierten hg. Beschluss vom 18. Mai 2009) die Interessen des Beschwerdeführers, das Ergehen der Entscheidung in dieser Sache im Bundesgebiet abwarten zu dürfen, höher als das öffentliche Interesse an der unverzüglichen Durchsetzung des Aufenthaltsverbotes angesehen wurden. Es bedeutete somit einen Wertungswiderspruch, den Ausreisebefehl durch die Zuerkennung aufschiebender Wirkung zu sistieren und den Beschwerdeführer dessen ungeachtet wegen Unterbleibens seiner Ausreise zu bestrafen. In diesem Sinn ist vom Vorliegen eines Strafausschließungsgrundes nach § 6 VStG auszugehen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 6. November 1998, Zlen. 97/21/0085 und 98/21/0065).

Indem die belangte Behörde diese Folge der Zuerkennung aufschiebender Wirkung durch den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Mai 2009 unrichtig beurteilte, belastete sie den angefochtenen - eine Bestrafung des Beschwerdeführers billigenden - Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 26. Jänner 2012

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