VwGH 2010/08/0239

VwGH2010/08/023928.3.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde der NKG in M, vertreten durch Dr. Johannes Kirschner, Rechtsanwalt in 4600 Wels, Fabrikstraße 26, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Oberösterreich vom 5. Oktober 2010, Zl. LGSOÖ/Abt.4/2010-0566-4-000728-8, betreffend Sonderbeitrag gemäß § 25 Abs. 2 AlVG, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §25 Abs2 idF 2004/I/077;
AVG §60;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AlVG 1977 §25 Abs2 idF 2004/I/077;
AVG §60;
VwGG §41 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 5. Juli 2010 hat die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice W (in der Folge: AMS) die beschwerdeführende Kommanditgesellschaft zur Zahlung eines Sonderbetrages gemäß § 25 Abs. 2 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (AlVG) in der Höhe von EUR 251,88 verpflichtet. Dies wurde damit begründet, dass B am 15. Juni 2010 durch ein Organ der KIAB bei Tätigkeiten als Hilfsarbeiter (Fliesenleger- bzw. Plattenlegerhelfer) für die beschwerdeführende Partei betreten worden sei, wobei eine fristgerechte Anmeldung zur Sozialversicherung durch die beschwerdeführende Partei vor Arbeitsaufnahme unterblieben sei.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wurde zusammengefasst eingewendet, dass B zu keiner Zeit bei der beschwerdeführenden Partei angestellt gewesen sei.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde der Berufung keine Folge gegeben.

In ihrer Bescheidbegründung gab die belangte Behörde zunächst (zum "Sachverhalt") den Verfahrensgang wieder und führte anschließend (zur "rechtlichen Beurteilung") - soweit im Beschwerdefall von Relevanz - Folgendes aus (Anonymisierungen durch den Verwaltungsgerichtshof; Fehler wie im Original):

"Unstrittig ist, dass Herr (B) zum Zeitpunkt der Betretung beim (AMS) Notstandshilfe bezogen hat und Organe des Finanzamtes ihn im Zuge einer Kontrolle am 15.6.2010 um 10:40 Uhr (Zeitpunkt der Kontrolle) bei der ausgeübten Tätigkeit - Verlegen von Steinfliesen in der Garage, Baustelle Einfamilienhaus, (in L) - für die (beschwerdeführende Partei in M) angetroffen bzw. betreten wurde.

Eine Überprüfung der Berufungsbehörde am 22.7.2010 beim zuständigen Krankenversicherungsträger ergab, dass keine Anmeldung zur Sozialversicherung vor Arbeitsantritt an den zuständigen Träger der Krankenversicherung erfolgt ist.

Als arbeitslos im Sinne des § 12 Abs. 3 lit. a AlVG gilt

nicht, wer in einem Dienstverhältnis steht.

§ 25 Abs. 2 AlVG erster Satz stellt die unwiderlegliche Rechtsvermutung auf, dass ein Leistungsempfänger, der bei einer Tätigkeit betreten wird, die er der zuständigen regionalen Geschäftsstelle nicht unverzüglich gemeldet hat, in dieser Tätigkeit über der Geringfügigkeitsgrenze entlohnt ist.

Ist eine Vermutung dagegen vom Gesetz als unwiderleglich oder unwiderlegbar bezeichnet, so spielt es keine Rolle, ob die vermutete Situation auch tatsächlich vorliegt. Eben solche Ermittlungen und die damit verbundenen Beweisschwierigkeiten sollen ja gerade vermieden werden.

Ein Beweiserfordernis durch die belangte Behörde ist daher aufgrund der Bestimmungen des § 25 Abs. 2 AlVG erster Satz (unwiderlegliche Rechtsvermutung) nicht möglich.

Die Berufungsbehörde folgt daher den Feststellungen der Organe der KIAB am Betretungstag, weil diese Feststellungen schlüssig und nachvollziehbar sind und das Verlegen von Steinfliesen in der Garage dem praktischen Ablauf dieser festgestellten Tätigkeit entspricht.

Dazu ist folgendes auszuführen:

Aus dem Aktenvermerk vom 20.8.2010, aufgenommen anlässlich eines Telefonates mit Fr. (S/Firma I), geht hervor, dass die (beschwerdeführende Partei) den Auftrag von der Fa. (I) hatte, sämtliche Fliesen auf der im Aktenvermerk angeführten Baustelle zu verlegen, auch die Fliesen in der Garage.

Laut Fr. (S) erfolgt die Rechnungslegung der geleisteten Arbeit auf Basis der verlegten m2, wobei die Rechnungslegung auch für die verlegten Fliesen in der Garage an Fa. (I) durch die (beschwerdeführende) KG erfolgt, jedoch die Rechnung für die Fliesenverlegungsarbeiten noch ausständig ist und Sie (wohl gemeint: die beschwerdeführende Partei) seitens Fa. (I) aufgefordert wurde(n) (siehe mail vom 2.9.2010), die Arbeiten ehestens abzurechnen.

Die Betretung durch die KIAB erfolgte am 15.6.2010.

Als Vorhalt zu Ihrer Stellungnahme vom 18.8.2010 gibt die Berufungsbehörde folgendes an:

Herr (D) war vom 22.3.2010 bis 1.6.2010 bei der (beschwerdeführenden) KG geringfügig beschäftigt, jedoch nicht zum Zeitpunkt der Betretung.

Herr (M) war vom 22.3.2010 bis 10.5.2010 bei der (beschwerdeführenden )KG geringfügig beschäftigt, jedoch nicht im Zeitpunkt der Betretung.

Frau (S) hat im Telefonat am 20.8.2010 gegenüber der Berufungsbehörde eindeutig erklärt, dass Herr (Z) die Arbeiten auf der im Aktenvermerk angeführten Baustelle im Auftrag der (beschwerdeführenden) KG durchgeführt hat. Dazu ist festzustellen, dass Herr (Z) zu keinem Zeitpunkt zur (beschwerdeführenden) KG in einem vollversicherungspflichtigen, noch geringfügigen unselbständigen Beschäftigungsverhältnis gestanden ist.

Herr (Z) war bis 31.12.2005 selbständig erwerbstätig. Zum Zeitpunkt der Betretung hat Herr (Z) nach den gesetzlichen Bestimmungen illegal eine (un-)selbständige Beschäftigung auf der Baustelle ausgeübt, jedoch aur aufgrund der Aussagen von Fr. (S) für die (beschwerdeführende) KG tätig.

Ergänzend hat Fr. (S) durch Ihren Vertreter am 17.9.2010 noch folgendes mitgeteilt:

'Wie bereits offengelegt, hat meine Mandantin die (beschwerdeführende) KG mit der Lieferung und Verlegung von Pflastersteinen, Fliesen etc. beauftragt. Hr. (Z) wurde ihr dabei als Mitarbeiter der (beschwerdeführenden) KG vorgestellt. Der Auftrag umfasste die Verlegung des Steinpflasters im Außenbereich, des Stiegenbelags im Innenbereich des Hauses und in den Bädern, WC, Vorraum und Küche samt Kellerraum der Bodenverfliesung. Dabei war klar, dass im WC und im Bad die Wandfliesen von meiner Mandantschaft bereit gestellt werden und die Verlegearbeiten durch die (beschwerdeführende) KG erfolgt. Hr. (B) ist und war meiner Mandantschaft nicht bekannt. Richtig ist lediglich, dass, nachdem die Bodenfliesen in der Garage nicht geeignet waren, ein anderes material in (X) im Auftrag meiner Mandantschaft besorgt wurde, die Rechnung dann direkt an die Fa. (I) ausgestellt und von dieser bezahlt wurde. Es war aber völlig klar, dass die (beschwerdeführende) KG weiterhin auch mit diesem Fremdenmaterial die Verlegearbeiten durchführt. Da auch im Innenbereich vereinbarungsgemäß Fremdmaterial verwendet werden sollte und die Verlegearbeiten zur Abrechnung gelangen, bestand für meine Mandantschaft zu keinem Zeitpunkt ein Zweifel daran, dass auch die Verlegearbeiten für die Verfliesung in der Garage mit (der beschwerdeführenden) KG abzurechnen sind.'

Diesen Sachverhalt hat Ihnen die Berufungsbehörde nachweislich mit Schreiben vom 27.9.2010 zur Kenntnis gebracht.

Bis zum gesetzten Termin am 4.10.2010 haben Sie keinerlei Einwände gegen diesen Sachverhalt vorgebracht, weswegen die Berufungsbehörde von der Richtigkeit der ermittelten Sachverhalte ausgeht.

Aufgrund dieser obigen Darlegung ist daher unbestritten, dass Herr (B) zum Zeitpunkt der Betretung beim (AMS) Notstandshilfe bezogen hat und Organe des Finanzamtes ihn im Zuge einer Kontrolle am 15.6.2010 um 10:40 Uhr (Zeitpunkt der Kontrolle) bei der ausgeübten Tätigkeit - Verlegung von Steinfliesen in der Garage, Baustelle Einfamilienhaus, (in L) - für die (beschwerdeführende Partei in M) angetroffen bzw. betreten wurde."

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens sowie Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Ab. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

1. Gemäß § 12 Abs. 3 lit. a AlVG gilt insbesondere nicht als arbeitslos, wer in einem Dienstverhältnis steht.

§ 25 Abs. 2 AlVG idF BGBl. I Nr. 77/2004 lautet:

"(2) Wird ein Empfänger von Arbeitslosengeld (Notstandshilfe) bei einer Tätigkeit gemäß § 12 Abs. 3 lit. a, b oder d durch öffentliche Organe, insbesondere Organe von Behörden oder Sozialversicherungsträgern oder Exekutivorgane, betreten, die er nicht unverzüglich der zuständigen regionalen Geschäftsstelle angezeigt hat (§ 50), so gilt die unwiderlegliche Rechtsvermutung, dass diese Tätigkeit über der Geringfügigkeitsgrenze entlohnt ist. Das Arbeitslosengeld (die Notstandshilfe) für zumindest zwei Wochen ist rückzufordern. Erfolgte in einem solchen Fall keine zeitgerechte Meldung durch den Dienstgeber an den zuständigen Träger der Krankenversicherung, so ist dem Dienstgeber von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice ein Sonderbeitrag in der doppelten Höhe des Dienstgeber- und des Dienstnehmeranteiles zur Arbeitslosenversicherung (§ 2 des Arbeitsmarktpolitik-Finanzierungsgesetzes, BGBl. Nr. 315/1994) für die Dauer von sechs Wochen vorzuschreiben. Als Bemessungsgrundlage dient der jeweilige Kollektivvertragslohn bzw., falls kein Kollektivvertrag gilt, der Anspruchslohn. Die Vorschreibung gilt als vollstreckbarer Titel und ist im Wege der gerichtlichen Exekution eintreibbar."

Gemäß § 60 AVG, der gemäß § 67 AVG für Berufungsbescheide gilt, sind in der Begründung eines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens (§§ 37 ff AVG), die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Dies erfordert in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrundegelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 27. Juni 1995, Zl. 92/07/0184).

Die genannte Zusammenfassung wird in Bezug auf die Beweiswürdigung kurz ausfallen können, wenn keine einander widersprechenden Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens vorliegen. Bei Widersprüchen zwischen den Behauptungen und Angaben der Verfahrenspartei und sonstigen Ermittlungsergebnissen bedarf es aber einer klaren und übersichtlichen Zusammenfassung der maßgeblichen, bei der Beweiswürdigung angestellten Erwägungen, damit der Verwaltungsgerichtshof die Entscheidung der Behörde auf ihre inhaltliche Rechtmäßigkeit überprüfen kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Mai 2005, Zl. 2002/08/0106). Nicht oder unzureichend begründete Bescheide hindern insoweit den Verwaltungsgerichtshof, seiner Rechtskontrollaufgabe, wie sie im § 41 Abs. 1 VwGG zum Ausdruck kommt, zu entsprechen, als derartige Bescheide inhaltlich auch keine Überprüfung "auf Grund des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhaltes" zulassen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Oktober 2004, Zl. 2001/08/0020).

2. Im vorliegenden Fall verkennt die belangte Behörde, dass sich die Rechtsvermutung in § 25 Abs. 2 AlVG lediglich darauf bezieht, dass eine Tätigkeit gemäß § 12 Abs. 3 lit. a, b oder d AlVG bei deren Vorliegen als über der Geringfügigkeitsgrenze entlohnt gilt (und sich somit Ermittlungen zur Höhe des Arbeitsentgelts erübrigen); dadurch ist die Behörde aber nicht von der Prüfung entbunden, ob überhaupt eine Tätigkeit iSd der angeführten gesetzlichen Bestimmung erbracht worden ist.

Zwar ist die Behörde, wenn jemand bei der Erbringung von Dienstleistungen, d.h. arbeitend, unter solchen Umständen angetroffen wird, die nach der Lebenserfahrung üblicherweise auf ein Dienstverhältnis hindeuten, berechtigt, von einem Dienstverhältnis im üblichen Sinne auszugehen, sofern im Verfahren nicht jene atypischen Umstände dargelegt werden, die einer solchen Deutung ohne nähere Untersuchung entgegenstehen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 27. Juli 2001, Zl. 99/08/0030, und vom 23. April 2003, Zl. 98/08/0270), jedenfalls hat die belangte Behörde aber zu prüfen und nachvollziehbar darzulegen, in Bezug auf welchen konkreten Dienstgeber ein Dienstverhältnis von B vorliegt.

Gerade zur strittigen Frage, ob die beschwerdeführende KG als Dienstgeberin von B anzusehen sei, lässt die belangte Behörde eine nachvollziehbare Auseinandersetzung mit den aufgenommenen Beweisen vermissen. Allein aus dem Umstand, dass die beschwerdeführende Partei im Berufungsverfahren zu weiteren Erhebungsergebnissen nicht Stellung genommen hat, kann nicht geschlossen werden, dass sie die Bestreitung ihrer Dienstgebereigenschaft nicht mehr aufrecht halte und damit diese Frage außer Streit zu stellen sei. Soweit sich die belangte Behörde im Weiteren auf die "Feststellungen" der Organe der KIAB am 15. Juni 2010 beruft, ist anzumerken, dass es sich dabei um ein Erhebungsergebnis handelt, welches im Zusammenhang mit den übrigen Beweismitteln (wie insbesondere der gegenteiligen Darstellung seitens der beschwerdeführenden KG) zu würdigen gewesen wäre.

Wie die Beschwerde zutreffend aufzeigt, hält damit der angefochtene Bescheid mangels diesbezüglicher nachvollziehbarer beweiswürdigender Erwägungen den zuvor dargelegten Begründungserfordernissen nicht stand.

3. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 28. März 2012

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