VwGH 2010/06/0235

VwGH2010/06/023512.11.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch und den Hofrat Dr. Waldstätten, die Hofrätin Dr. Bayjones, den Hofrat Dr. Moritz und die Hofrätin Mag. Merl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zöchling, in der Beschwerdesache der Gemeinde P, vertreten durch Dr. Matthias Göschke, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Bossigasse 27, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 10. September 2008, Zl. FA18E-80.60 19/2008, betreffend Vorarbeiten nach dem Bundesstraßengesetz (mitbeteiligte Partei: A GmbH in W, vertreten durch Jarolim Flitsch Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Volksgartenstraße 3/1. OG), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §61a;
AVG §62 Abs3;
B-VG Art144;
VerfGG 1953 §82 Abs1;
VerfGG 1953 §82 Abs1a;
VerfGG 1953 §82;
VwGG §26 Abs1 Z1;
VwGG §26 Abs1;
VwGG §26 Abs2;
VwGG §26;
VwGG §34 Abs1;
VwRallg;
AVG §61a;
AVG §62 Abs3;
B-VG Art144;
VerfGG 1953 §82 Abs1;
VerfGG 1953 §82 Abs1a;
VerfGG 1953 §82;
VwGG §26 Abs1 Z1;
VwGG §26 Abs1;
VwGG §26 Abs2;
VwGG §26;
VwGG §34 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die beschwerdeführende Partei hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde der mitbeteiligten Partei die Bewilligung gemäß § 16 Bundesstraßengesetz 1971 für die Durchführung von Vorarbeiten auf Liegenschaften der beschwerdeführenden Gemeinde erteilt. Dieser Bescheid wurde am 10. September 2008 im Rahmen einer mündlichen Verhandlung mündlich verkündet. An dieser Verhandlung nahm u. a. der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde teil, der auch die Verhandlungsschrift unterfertigte. Ein Begehren auf schriftliche Bescheidausfertigung wurde nicht gestellt.

Gegen diesen Bescheid erhob die beschwerdeführende Partei Beschwerde vom 4. April 2009 vor dem Verfassungsgerichtshof, welche am 4. April 2009 zur Post gegeben worden und beim Verfassungsgerichtshof am 7. April 2009 eingelangt ist.

Zur Rechtzeitigkeit der Beschwerde wurde in der Beschwerdeschrift an den Verfassungsgerichtshof ausgeführt, in der mündlichen Verhandlung vom 10. September 2008 sei der angefochtene Bescheid mündlich verkündet worden. Die Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung sei bis dato unterblieben. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes beginne die Frist des § 82 Abs. 1 VfGG zur Erhebung der Beschwerde nach Art. 144 B-VG nicht vor Zustellung des schriftlichen Bescheides bzw. der schriftlichen Ausfertigung des mündlich erlassenen Bescheides zu laufen. Beides sei bis heute nicht geschehen. Demnach sei die Sechswochenfrist des § 82 Abs. 1 VfGG mangels Zustellung eines schriftlichen Bescheides bzw. einer schriftlichen Ausfertigung des mündlich verkündeten Bescheides im vorliegenden Fall noch offen, weil sie noch nicht einmal zu laufen begonnen habe. Die Beschwerde sei daher jedenfalls rechtzeitig erhoben worden.

Mit Beschluss vom 27. September 2010, B 418/09-15, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde ab und trat diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

Vor dem Verwaltungsgerichtshof wurde die Beschwerde auftragsgemäß ergänzt.

Die belangte Behörde führte in ihrer Gegenschrift unter anderem aus, dass sie die Beschwerde als verspätet ansehe. Der angefochtene Bescheid sei gegenüber der Beschwerdeführerin am Tag der mündlichen Verkündung (10. September 2008) rechtmäßig erlassen worden. Der Bürgermeister als Vertreter der beschwerdeführenden Partei habe sich im Verfahren im Namen der Beschwerdeführerin geäußert und auch das Protokoll direkt unter dem mündlich verkündeten Bescheid unterfertigt. Eine schriftliche Ausfertigung des Bescheides sei weder verlangt worden noch habe es eine solche gegeben. Die am 4. April 2009 eingebrachte Beschwerde sei daher verspätet.

Die mitbeteiligte Partei legte in ihrer Gegenschrift unter anderem dar, das Ausreichen der bloßen Kenntniserlangung vom Bescheid für die Beschwerde beziehe sich nach der Judikatur auf Bescheide, die einer anderen Partei gegenüber erlassen worden seien, nicht aber der jeweiligen Beschwerdeführerin gegenüber. Nur in jenen Fällen sei die bloße Kenntniserlangung im verfassungsgerichtlichen Verfahren nicht ausreichend, um die Beschwerdefrist auszulösen. Der Bescheid sei diesen Personen gegenüber nämlich nicht erlassen worden. Im Beschwerdefall sei der angefochtene Bescheid allerdings der Beschwerdeführerin gegenüber erlassen worden, und zwar am 10. September 2008. Eine Zustellung des Bescheides sei nicht beantragt worden.

Gemäß § 62 Abs. 1 AVG können Bescheide, wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, sowohl schriftlich als auch mündlich erlassen werden.

§ 62 Abs. 2 AVG sieht vor, dass der Inhalt und die Verkündung eines mündlichen Bescheides, wenn die Verkündigung bei einer mündlichen Verhandlung erfolgt, am Schluss der Verhandlungsschrift zu beurkunden ist.

Eine schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Bescheides ist gemäß § 62 Abs. 3 AVG den bei der Verkündung nicht anwesenden und jenen Parteien zuzustellen, die spätestens drei Tage nach der Verkündung eine Ausfertigung verlangen; über dieses Recht ist die Partei bei Verkündung des mündlichen Bescheides zu belehren.

Gemäß § 45 Abs. 1 1. Satz Steiermärkische Gemeindeordnung 1967 vertritt der Bürgermeister die Gemeinde nach außen.

Im Falle der Abtretung einer Beschwerde durch den Verfassungsgerichtshof hat der Verwaltungsgerichtshof selbständig zu prüfen, ob die Frist für die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof gewahrt wurde (im Fall der Ablehnung der Beschwerde kann der Verfassungsgerichtshof auch auf die Prüfung der Frage der Rechtzeitigkeit der Beschwerde verzichten). Ist dies nicht der Fall, so ist die abgetretene Beschwerde vom Verwaltungsgerichtshof wegen Versäumung der Einbringungsfrist zurückzuweisen (vgl. den hg. Beschluss vom 18. April 2007, Zl. 2007/13/0008, mwN).

§ 82 Abs. 1 VfGG lautet:

"§ 82. (1) Die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes gegen einen Bescheid kann nur nach Erschöpfung des Instanzenzuges innerhalb einer Frist von sechs Wochen nach Zustellung des in letzter Instanz ergangenen Bescheides erhoben werden."

Mit der Novelle BGBl. I Nr. 4/2008 wurde in den § 82 VfGG mit Wirksamkeit vom 1. Juli 2008 (siehe § 94 Abs. 22 VfGG) folgender Abs. 1a eingefügt:

"(1a) Die Beschwerde kann auch erhoben werden, bevor der Bescheid dem Beschwerdeführer zugestellt oder verkündet worden ist. Für das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof gilt in diesem Fall der Bescheid als an dem Tag zugestellt, an dem der Beschwerdeführer von seinem Inhalt Kenntnis erlangt hat."

Nach den Gesetzesmaterialien (371 Blg NR XXIII. GP, S. 17) zu § 82 Abs. 1a VfGG habe der Verfassungsgerichtshof schon bisher die Auffassung vertreten, dass die Bestimmung des § 26 Abs. 2 VwGG auch im Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof sinngemäß anzuwenden sei. Daher werde eine dem § 26 Abs. 2 VwGG entsprechende Regelung nunmehr auch ausdrücklich in das VfGG aufgenommen.

§ 26 VwGG lautet auszugsweise:

"§ 26. (1) Die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde gemäß Art. 131 B-VG oder gegen eine Weisung gemäß Art. 81a Abs. 4 B-VG beträgt sechs Wochen. Sie beginnt

1. in den Fällen des Art. 131 Abs. 1 Z 1 B-VG dann, wenn der Bescheid dem Beschwerdeführer zugestellt wurde, mit dem Tag der Zustellung, wenn der Bescheid dem Beschwerdeführer bloß mündlich verkündet wurde, mit dem Tag der Verkündung;

...

(2) Die Beschwerde kann auch erhoben werden, bevor der Bescheid dem Beschwerdeführer zugestellt oder verkündet worden ist. Für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof gilt in diesem Falle der Bescheid als an dem Tag zugestellt, an dem der Beschwerdeführer von seinem Inhalt Kenntnis erlangt hat.

…"

Auf der Grundlage des § 82 Abs. 1 VfGG hat der Verfassungsgerichtshof regelmäßig verlangt, dass für die Fristauslösung eine Zustellung erfolgen muss. Im Falle einer mündlichen Verkündung hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass damit der Bescheid Eingang in die Rechtsordnung finde und ab diesem Zeitpunkt die Partei des Verfahrens das Recht der Beschwerdeerhebung habe, auch wenn die sechswöchige Beschwerdefrist gemäß § 82 Abs. 1 VfGG erst mit Zustellung der schriftlichen Bescheidausfertigung zu laufen beginne (vgl. die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes vom 10. Juni 1988, Slg. Nr. 11.696, und vom 4. März 1998, Slg. Nr. 15.109).

Für den Fall, dass der Bescheid dem Beschwerdeführer zumindest inhaltlich bekannt wurde, wenn er ihm auch niemals rechtmäßig zugestellt worden war, judizierte der Verfassungsgerichtshof, dass damit zwar die sechswöchige Beschwerdefrist gemäß § 82 Abs. 1 VfGG noch nicht in Gang gesetzt worden sei, die Beschwerde aber bereits eingebracht werden könne, ohne dass untersucht zu werden brauche, wann genau der Bescheid dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gelangt sei (vgl. die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes vom 3. März 1983, Slg. Nr. 9655, und vom 5. Dezember 1992, Slg. Nr. 13.287).

§ 26 Abs. 2 VwGG hat nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Mehrparteienverfahren Bedeutung. Voraussetzung für die Zulässigkeit der Erhebung einer Beschwerde gegen einen nicht zugestellten und auch nicht an die betreffende Person gerichteten Bescheid ist, dass dieser Bescheid an andere Verfahrensparteien ergangen ist und seinem Inhalt nach in die Rechtssphäre der übergangenen Partei eingreift (vgl. den hg. Beschluss vom 22. März 2012, Zl. 2008/07/0009, mwN).

Das VfGG enthält keine Regelung wie § 26 Abs. 1 Z. 1 VwGG für den Fall der bloß mündlichen Verkündung eines Bescheides. Stellte man nur auf die Zustellung des Bescheides ab, würde das bedeuten, dass auch dann, wenn eine Partei bei der mündlichen Verhandlung anwesend ist, aber keinen Antrag auf Zustellung des mündlich verkündeten Bescheides stellt, die Beschwerdefrist nach § 82 VfGG nicht ausgelöst würde, insofern in einem solchen Fall eine schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Bescheides an diese Partei nicht vorgesehen ist.

Diese Rechtsmeinung ist jedenfalls in einem Mehrparteienverfahren schon aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht vertretbar. Der Verwaltungsgerichtshof ist daher der Auffassung, dass jedenfalls auch bei einem solchen Sachverhalt § 82 Abs. 1a zweiter Satz VfGG mit der Wirkung zum Tragen kommt, dass die Beschwerdefrist ab Kenntnis des Bescheidinhaltes, somit ab dessen mündlicher Verkündung läuft (vgl. in diese Richtung auch die Anmerkung bei Holzinger/Hiesel, Verfassungsgerichtsbarkeit, 3. Auflage, S. 510 unter E 45, die zur Judikatur des Verfassungsgerichtshofes, wonach durch die Kenntniserlangung vom Inhalt des Bescheides die Beschwerdefrist im Sinne des § 82 Abs. 1 VfGG nicht in Gang gesetzt werde, ausführen:

"Siehe nunmehr aber § 82 Abs. 1a VfGG").

Bemerkt wird, dass weder das Unterbleiben einer Belehrung über die Möglichkeit einer Bescheidausfertigung gemäß § 62 Abs. 3 AVG noch jenes des Hinweises gemäß § 61a AVG auf die Beschwerdemöglichkeit gegen letztinstanzliche Bescheide vor den Gerichtshöfen öffentlichen Rechts Auswirkungen auf die Beschwerdefrist haben kann (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG II, S. 774 f. RZ 3 ff. zu § 61a AVG und S. 790 f. RZ 29 zu § 62 AVG).

Die Beschwerde war somit wegen Versäumung der Einbringungsfrist gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat zurückzuweisen.

Der Ausspruch über den Kostenersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 12. November 2012

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