VwGH 2010/05/0132

VwGH2010/05/013213.11.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail sowie die Hofräte Dr. Waldstätten und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Kalanj, über die Beschwerde der M K in München, vertreten durch Dr. Widukind W. Nordmeyer und Dr. Thomas Kitzberger, Rechtsanwälte in 4600 Wels, Pollheimerstraße 12, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 15. Jänner 2010, Zl. IKD(BauR)-014007/2-2009-Ma/Wm, betreffend einen Bauauftrag (mitbeteiligte Partei: Marktgemeinde S), zu Recht erkannt:

Normen

BauO OÖ 1994 §49 Abs1;
BauRallg;
VermG 1968 §8;
VermV 1994 §4 Abs2;
BauO OÖ 1994 §49 Abs1;
BauRallg;
VermG 1968 §8;
VermV 1994 §4 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Land Oberösterreich Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin eines Grundstückes in der mitbeteiligten Gemeinde und der darauf errichteten Baulichkeiten.

Mit Bescheid des Bürgermeisters vom 1. September 2005 war die Errichtung eines Wohnhauses auf diesem Grundstück bewilligt worden; der bewilligte Lageplan sieht beim Haus Grenzabstände von 3 m jeweils zur westlichen und zur südlichen Grundgrenze vor.

Über Auftrag der Baubehörde vom 19. April 2007 erstattete der staatlich befugte und beeidete Ingenieurkonsulent für Vermessungswesen und Zivilgeometer, DI A., ein Gutachten vom 20. April 2007 zur Situierung und zur Höhe des Hauses. Er stellte fest, dass die Abstände des Hauses zum jeweiligen

Nachbargrundstück nicht eingehalten worden seien (auf der westlichen Seite statt 3 m laut Bescheid vom 1. September 2005 nur 2,85-2,88 m; auf der südlichen Seite: statt 3 m nur 2,64-2,65 m) und der First des Hauptgebäudes um 3 cm, der First des nördlichen Anbaus um 20 cm höher gebaut worden seien. Weiters hielt der Sachverständige fest, dass - nach einem Vergleich der herangezogenen Grenzpunkte des in der Katastermappe dargestellten Objekts mit jenen der als maßgeblich angesehenen Vermessungsurkunde AB 5/87 - bei seiner Besichtigung nur mehr zwei Grenzpunkte vorhanden gewesen seien, nämlich der südöstliche Eckpunkt der Gebäudezufahrt und der nordwestliche Eckpunkt des Grundstückes, wobei bezüglich des letztgenannten Eckpunktes die Lage mit den Koordinaten aus der Vermessungsurkunde AB 5/87 um 18 cm differiert habe.

In einem von der Baubehörde am 21. Mai 2007 durchgeführten Ortsaugenschein wurden die Ergebnisse dieses Gutachtens bekannt gegeben und es wurde erörtert, welche Abweichungen von der erteilten Baubewilligung bewilligungsfähig seien (Höhenlage) und welche nicht (Abstände zu den Nachbargrundgrenzen). Der Architekt DI H. gab hiezu an, dass ihm vor Beginn der Entwurfsarbeiten vom Bauherrn der Vermessungsplan GZ 7608 des DI K. übergeben worden sei und er diesen Plan überprüft und Differenzen bei den Sperrmaßen festgestellt habe. Er habe mit DI K. Rücksprache gehalten, die gegenständlichen Koordinaten der Grenzpunkte abgefragt und die tatsächlichen Sperrmaße errechnet. Daraufhin sei der "Hauptbaukörper" so dimensioniert worden, dass man alle vorgeschriebenen Grenzabstände habe einhalten können. Dies sei die Basis für die Einreichplanung gewesen.

Die Beschwerdeführerin führte in einer zum Gutachten vom 20. April 2007 abgegebenen Stellungnahme aus, dass sie und das beauftrage Bauunternehmen sich an dem bei Projekteinreichung bzw. Baubeginn aktuellen, richtigen und gemäß der Katastermappe rechtsgültigen Vermessungsstand (nämlich der Vermessung im Jahr 1986 durch den beeideten Zivilgeometer DI K., der die bis heute bestehenden Grenzpunkte bzw. Vermessungsmarken festgesetzt habe) orientiert hätten. Gegen diesen Vermessungsstand und das Bauprojekt hätten keine Vorbehalte der Baubehörde bestanden und es treffe den Bauherrn auch keine Pflicht, den bestehenden Vermessungsstand in Frage zu stellen oder die bestehenden Grenzpunkte zu überprüfen, oder auch zur Neuvermessung vor der Errichtung eines Bauwerkes, er könne sich vielmehr an die bestehenden Vermessungsmarken halten. Bei rechtzeitigen Einwänden wären Abänderungen möglich gewesen, diesbezüglich treffe die Gemeinde durchaus eine gewisse Mitverantwortung. So liege die Abweichung im Seitenabstand West jedenfalls innerhalb der Toleranzbreite. Die Abweichung beim Seitenabstand Süd sei insofern unschädlich, weil dieses Grundstück ohnedies der Beschwerdeführerin gehöre.

Mit Bescheid des Bürgermeisters vom 20. November 2007 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 49 Abs. 1 der Oberösterreichischen Bauordnung 1994 (BO) die Beseitigung der baulichen Anlage auf dem obengenannten Grundstück innerhalb von drei Monaten nach Zustellung des Bescheides aufgetragen. Begründend führte die erstinstanzliche Behörde nach Feststellung der Abweichungen gegenüber dem bewilligten Projekt (zur westlichen Grenze: 0,12- 0,15 m, zur südlichen Grenze: 0,35-0,36 m, Überbauung der südlichen Grundgrenze mit der Terrasse um 0,80 m, zudem sei die Traufenhöhe nicht eingehalten worden) und Darlegung der relevanten Abstandsbestimmungen in § 5 und § 6 Abs. 1 Z 3 Oberösterreichisches Bautechnikgesetz (BTG) aus, dass Grundlage der Baubewilligung vom 1. September 2005 der Katasterplanauszug vom 31. August 2005 gewesen sei. Im Zuge des Baubewilligungsverfahrens habe es keine Vorbehalte der "Gemeinde" gegeben, weil der Lageplan der Baueinreichung mit dem Katasterplan übereingestimmt habe und die Seitenabstände zur westlichen und südlichen Grundstücksgrenze mit 3 m angegeben gewesen seien. Es sei Aufgabe bzw. liege in der Verantwortung des Bauherrn bzw. des Bauführers, sich vor Beginn der Bauarbeiten von der Richtigkeit der Vermessungspunkte in der Natur zu überzeugen, die Gemeinde sei für deren Richtigkeit nicht zuständig. Entscheidend sei der Vermessungsstand in der Natur vor Beginn der Bauarbeiten. Ein Spielraum in der "Vermessungsordnung" von ca. 0,35 m erscheine unwahrscheinlich und es sei ein diesbezüglicher Nachweis und einer dafür, dass der unterschrittene Mindestabstand zur westlichen Grundgrenze "innerhalb der Toleranzbreite" liege, nicht vorgelegt worden. Die in den rechtlichen Normen fixierten Mindestabstände ließen keinen Auslegungsspielraum betreffend "geringfügige Abweichungen" zu. Bei der Einhaltung von Mindestabständen sei weiters die Frage, wer Eigentümer des angrenzenden Grundstückes sei (die Beschwerdeführerin sei übrigens nur Hälfteeigentümerin des südlichen Grundstückes), ebenso wenig relevant wie der Umstand, ob sich beide Grundstücke in der gleichen

Grundbuchseinlage befänden.

Der Gemeinderat wies mit Bescheid vom 15. Februar 2008 die Berufung gegen den Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde vom 20. November 2007 ab.

Mit Schreiben vom 9. Juni 2008 teilte die Beschwerdeführerin dem Bürgermeister mit, dass sie an der westlichen

Grundstücksgrenze einen zusätzlichen Abstandsstreifen (20 cm tief, 18 m lang) erworben habe.

Die Beschwerdeführerin erhob gegen den Berufungsbescheid Vorstellung. Die belangte Behörde gab der Vorstellung mit Bescheid vom 4. November 2008 Folge, behob den Berufungsbescheid und wies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die mitbeteiligte Gemeinde zurück. Tragender Aufhebungsgrund war, dass durch die vollinhaltliche Bestätigung des Bescheides des Bürgermeisters durch den Gemeinderat keine angemessene Frist zur Beseitigung der baulichen Anlage gesetzt worden sei.

Daraufhin ersuchte die mitbeteiligte Gemeinde mit Schreiben vom 30. Dezember 2008 das zuständige Bezirksbauamt um die Erstellung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der Angemessenheit der Frist für die Beseitigung der auf dem gegenständlichen Grundstück befindlichen baulichen Anlage. Das Bezirksbauamt äußerte sich in einer Stellungnahme vom 10. Februar 2009 dahingehend, dass für den tatsächlichen Abriss bei herkömmlicher vorgangsweise 3 Tage, bei Zerlegung des Baus (um die Baustoffe wieder verwerten zu können) durchaus bis zu 3 Wochen benötigt würden. Von der Vorlaufphase (Kalkulation, Angebote, Vergabe des Auftrages usw.) über die firmeninterne Terminplanung bis zum abgeschlossenen Abbruch bzw. Zerlegung genüge unter normalen Umständen eine Zeitspanne von 3 Monaten. Würden unvorhersehbare Faktoren, wie Witterung, Auslastung bzw. Konkurs der Firmen, miteinbezogen, reiche ein Zeitraum von bis zu 6 Monaten aus.

Die Beschwerdeführerin äußerte sich in einer Stellungnahme vom 20. April 2009 ablehnend. Das Gutachten des Bezirksbauamtes sei nicht schlüssig, weil keinerlei Befundaufnahme, Besichtigung oder Recherche stattgefunden habe. Auf Grund des sich am und im Haus befindlichen speziellen Zubehörs und der "Konstruktionen" sei eine abstrakte Betrachtung verfehlt. Es werde eine konkrete Befundaufnahme an Ort und Stelle unter Beiziehung der in der Stellungnahme genannten Personen sowie eine anschließende neuerliche Gutachtenserstellung zur Abtragungsfrist beantragt. Auch hätten sich die Umstände seit der Erlassung der Bescheide vom 20. November 2007 und 15. Februar 2008 wesentlich geändert. Einerseits sei durch Grunderwerb an der westlichen

Grundstücksgrenze der Mindestabstand hergestellt worden. Andererseits sei hinsichtlich der südlichen Grundstücksgrenze eine gerichtliches (Teilungs-) Verfahren beim Landesgericht Wels anhängig.

Im Zuge des am 3. Juni 2009 durchgeführten Lokalaugenscheins führte der Architekt DI H. (abermals) aus, dass die Basis für die Planung des Einfamilienhauses der Beschwerdeführerin der Teilungsplan des Geometers DI. K aus dem Jahre 1985 gewesen und das Gebäude so situiert worden sei, dass man die gesetzlichen Mindestabstände eingehalten habe. Die Einmessung des Gebäudes sei über Messmarken erfolgt, welche in der Natur vorhanden gewesen seien.

Der Geometer DI K. verwies darauf, bei der Vermessung am 23. Mai 1985 alle Grenzpunkte genau abgesteckt und vermarkt zu haben. Bei der Begehung der Liegenschaft am heutigen Tag (Tag des Lokalaugenscheins) habe er festgestellt, dass beim Grenzpunkt in der Nordwestecke des Grundstückes zwar eine Eisenmarke stehe, diese aber offensichtlich bei Errichtung des Metallzaunes vor einiger Zeit entfernt und an anderer Stelle wieder eingesetzt worden sei, weil sie jetzt in Beton eingegossen sei. Daher stimme die Lage nicht mehr mit dem Teilungsplan GZ 7608 überein. Der südwestliche Grenzpunkt habe bei der Begehung nicht mehr vorgefunden werden können, weil dort sichtlich Kanalbau- und Asphaltierungsarbeiten am Weg vorgenommen worden seien. Das Baugrundstück sei im Grenzkataster einverleibt, weshalb die im Grenzkataster eingetragenen "Koordinaten" (gemeint ist der Grenzverlauf) maßgeblich seien und nicht die eventuell in der Natur falsch stehenden Grenzmarken bzw. Zäune.

Ing. Ai. vom Bezirksbauamt bestätigte seine schriftliche Stellungnahme vom 10. Februar 2009 vollinhaltlich.

Der Vertreter der Beschwerdeführerin brachte vor, dass beim Lokalaugenschein noch zwei Grenzmarken feststellbar gewesen seien, die DI K. bei seiner Vermessung im Jahr 1985 gesetzt habe. Eine offensichtliche Verrückung dieser Grenzmarken sei nicht feststellbar. Die Bauausführungen seien auf Grund dieser Grenzmarken, an deren Richtigkeit für das Bauunternehmen offensichtlich kein Zweifel bestanden habe, erfolgt.

Mit Bescheid des Gemeinderates vom 3. Juli 2009 wurde der Beschwerdeführerin die Beseitigung der baulichen Anlage auf ihrer Liegenschaft binnen einer Frist von 6 Monaten ab Zustellung des Bescheides aufgetragen. Begründend führte der Gemeinderat zum Berufungsvorbringen samt Ergänzungen aus, dass ein Vertrauen auf die unverrückten Grenzmarken im Sinne der Sorgfaltspflicht nicht als ausreichend anzusehen sei, weil Grenzmarken im Laufe der Zeit verrückt werden könnten. Es wäre die Pflicht des Bauherrn gewesen, sich von der Richtigkeit der Grenzmarken zu überzeugen bzw. diese durch einen Geometer prüfen zu lassen. Zudem gebe es in den baurechtlichen Bestimmungen keinen Auslegungsspielraum und keine Toleranz bei den Mindestabständen und es sei das vermessungstechnische Gutachten des DI A. auch nicht in Frage gestellt worden. Hinsichtlich der Frist für den Abbruch der Baulichkeit wurden die Ausführungen in der Stellungnahme vom 10. Februar 2009 wiedergegeben.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde der dagegen erhobenen Vorstellung keine Folge gegeben. Begründet wurde dies nach Darlegung der anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen damit, dass die Frage der Richtigkeit der Vermessungspunkte in der Natur nicht von Relevanz sei, weil der durch den Grenzkataster verbindlich nachgewiesene Grenzverlauf (§ 8 VermG) maßgeblich sei. Die in der Vermessungsverordnung angeführten Toleranzen gälten nur für die Bestimmung der "unveränderten" Lage von Grenzzeichen. Bei den in den maßgeblichen baurechtlichen Abstandsbestimmungen angegebenen Abständen handle es sich um genau einzuhaltende Werte, Abweichungen seien nur in den von den Bauvorschriften angeführten Fällen möglich. Zudem sei das Baubewilligungsverfahren ein Projektgenehmigungsverfahren und die Baubehörde habe die einzuhaltenden Abstände anhand des Einreichplanes zu beurteilen. Sie sei jedoch nicht dafür zuständig, Grenzzeichen in der Natur auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Hinsichtlich der Vorwürfe, im Berufungsbescheid sei auf den Erwerb eines Grundstücksstreifens im Westen und auf ein gerichtliches Teilungsverfahren keine Rücksicht genommen worden, verwies die belangte Behörde auf das hg. Erkenntnis vom 26. September 1985, Zl. 83/06/0262, wonach in der Herstellung des Zustandes, der einem erlassenen, im Instanzenzug angefochtenen baupolizeilichen Auftrag entspreche, keine von der Baubehörde zu beachtende Änderung des maßgeblichen Sachverhaltes zu erblicken sei. Auch eine Pflicht, das Ergebnis des Teilungsverfahrens abzuwarten, bestehe nicht, weil es sich dabei um keine für das baupolizeiliche Verfahren relevante Vorfrage gemäß § 38 AVG handle. Die Änderung der Sachlage sei vielmehr in einem allfälligen Vollstreckungsverfahren von Bedeutung. Abgesehen davon werde der Abstand zur südlichen Grundstücksgrenze jedenfalls noch immer nicht eingehalten, weshalb das (gesamte) gegenständliche Gebäude als unteilbares, einheitliches Bauwerk vom baupolizeilichen Auftrag erfasst sei. Hinsichtlich der geltend gemachten Verfahrensmängel verwies die belangte Behörde auf den Grundsatz der materiellen Wahrheit.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 14. Juni 2010, B 314/10-4, ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

In der vor dem Verwaltungsgerichtshof auftragsgemäß ergänzten Beschwerde macht die Beschwerdeführerin Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Stellt die Baubehörde fest, dass eine bewilligungspflichtige bauliche Anlage ohne Baubewilligung ausgeführt wird oder bereits ausgeführt wurde, hat sie gemäß § 49 Abs. 1 der Oberösterreichischen Bauordnung 1994 (BO) - unabhängig von § 41 (betrifft die behördliche Bauaufsicht) - dem Eigentümer der baulichen Anlage mit Bescheid aufzutragen, entweder nachträglich innerhalb einer angemessen festzusetzenden Frist die Baubewilligung zu beantragen oder die bauliche Anlage innerhalb einer weiters festzusetzenden, angemessenen Frist zu beseitigen und gegebenenfalls den vorigen Zustand wiederherzustellen. Die Möglichkeit, nachträglich die Baubewilligung zu beantragen, ist dann nicht einzuräumen, wenn nach der maßgeblichen Rechtslage eine Baubewilligung nicht erteilt werden kann.

Die belangte Behörde hat sich auf das nicht als unschlüssig zu erkennende und von der Beschwerdeführerin nicht in Frage gestellte Sachverständigengutachten vom 20. April 2007 gestützt, wonach das errichtete Gebäude in seiner Situierung nicht der mit dem Baubewilligungsbescheid vom 1. September 2005 bewilligten Lage entspricht, insbesondere zur westlichen und zur südlichen Grundgrenze nicht den bewilligten Abstand von 3 m einhält (das ist der Mindestabstand im Sinne des § 5 Abs. 1 des Oberösterreichischen Bautechnikgesetzes - Oö BauTG). Damit wurde zu Recht ein Verstoß gegen § 49 Abs. 1 BO angenommen.

Dem Beschwerdevorbringen, die Behörden hätten sich nicht mit den Toleranzabständen für die Vermessungspunkte im Vermessungsrecht, insbesondere nach der Vermessungsordnung (VermV), auseinandergesetzt, weil in der Natur gesetzte Vermessungspunkte auch bei einer gewissen Abweichung innerhalb der Toleranz "richtig" und rechtsverbindlich seien, ist entgegenzuhalten, dass nach § 4 Abs. 2 VermV Grenzzeichen hinsichtlich ihrer Lage als unverändert anzusehen sind, wenn die Differenz, die sich aus den bisherigen und den zur Kontrolle bestimmten Sperrmaßen oder Koordinaten ergibt, nicht größer als 0,15 m ist. Die in § 4 Abs. 2 VermV angegebenen Toleranzen gelten folglich nur für die Bestimmung der "unveränderten Lage" der Grenzzeichen. Steht aber der maßgebliche Grenzverlauf fest (dieser wird durch den Grenzkataster verbindlich nachgewiesen), ist dieser für die Ermittlung der Grenzabstände maßgeblich, auf die von der Beschwerdeführerin angesprochenen "Toleranzwerte" kommt es dabei nicht an (siehe dazu das hg. Erkenntnis vom 19. April 2001, Zl. 98/06/0190).

Insofern die Beschwerdeführerin den von der belangten Behörde festgestellten Verstoß gegen § 49 Abs. 1 BO nun damit zu rechtfertigen versucht, dass die Behörden selbst den "Vermessungsstand in der Natur vor Beginn der Bauarbeiten" als entscheidend angesehen hätten, die Bauausführungen im Vertrauen auf die unverrückten Grenzmarken auf Basis des aktuellen und richtigen Vermessungsstandes erfolgt sei und keine gesetzliche Pflicht des Bauherrn bzw. des Bauführers bestehe, sich bei einem bereits vermessenen Grundstück nochmals von der Richtigkeit der Vermessungspunkte in der Natur zu überzeugen, ist dem zu entgegnen, dass (worauf bereits im Verwaltungsverfahren verwiesen wurde) das Baubewilligungsverfahren ein Projektgenehmigungsverfahren ist und dem gegenständlichen Baubewilligungsverfahren sowie der erteilten Baubewilligung die planlich ausgewiesenen Grenzen des Baugrundstückes (das überdies unbestritten ein Grenzkatastergrundstück ist) zugrunde lagen. Aus welchen Gründen bei der Bauausführung eine von den bewilligten Einreichplänen abweichende Unterschreitung der darin festgelegten Grenzabstände vorgenommen wurde, ist für das gegenständliche Bauauftragsverfahren unerheblich, weil die Bestimmung des § 49 Abs. 1 BO allein darauf abstellt, dass der Bau vorschriftswidrig ist (vgl. die zur Bauordnung für Wien ergangenen hg. Erkenntnisse vom 27. April 1999, Zl. 95/05/0050, und vom 28. März 2000, Zl. 99/05/0274).

Soweit in der Beschwerde ausdrücklich das Vorbringen der bisherigen Schriftsätze (Rechtsmittel) im Verfahren aufrecht erhalten wird, ist dem entgegenzuhalten, dass ein solcher Verweis nicht zulässig ist und dies das erforderliche Dartun der Beschwerdegründe im Beschwerdeschriftsatz nicht zu ersetzen vermag (siehe das hg. Erkenntnis vom 29. Mai 1990, Zl. 89/04/0221). Die Bestimmungen des § 28 Abs. 1 Z 4 und 5 VwGG lassen es nämlich nicht zu, sich hinsichtlich der Beschwerdepunkte und der Beschwerdegründe auf Anträge und Ausführungen im Verwaltungsverfahren zu berufen (siehe die hg. Erkenntnisse vom 26. Mai 1995, Zl. 95/17/0144, m.w.N., oder auch vom 12. Oktober 1995, Zl. 95/06/0103).

Die Beschwerdeführerin moniert weiters, dass die belangte Behörde auf die Änderung der Umstände infolge des Erwerbs eines Grundstücksstreifens im Westen und der Entwicklungen im Teilungsverfahren seit Erlassung der Bescheide vom 20. November 2007 und 15. Februar 2008 keine Rücksicht genommen habe, sodass die Bescheiderlassung auf einer unrichtigen Sach- und Rechtslage beruhe.

Allerdings zeigt die Beschwerdeführerin damit nicht auf, dass sich im hier relevanten Zeitpunkt der Erlassung des Berufungsbescheides die Grenzen des Bauplatzes (der Verlauf der westlichen und der südlichen Grenze) bereits so geändert hätten, das die (in Abweichung von der erteilten Baubewilligung) tatsächlich errichteten Baulichkeiten, also in ihrer tatsächlichen Situierung, dadurch die erforderlichen Mindestabstände einhielten und damit die tatsächlich errichteten Baulichkeiten nun bewilligungsfähig wären.

Auch hinsichtlich des Vorwurfs der Beschwerdeführerin, der bescheidmäßig aufgetragene "Totalabriss" verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und wäre wirtschaftlich untunlich, ist der belangten Behörde zu folgen, wonach bei einem einheitlichen Bauwerk grundsätzlich der gesamte Bau Gegenstand des baupolizeilichen Auftrages ist. Ein Abbruchauftrag hat sich nur dann auf Teile eines Bauvorhabens bzw. einer baulichen Änderung zu beziehen, wenn die konsenswidrigen oder konsenslosen Teile des Bauvorhabens vom übrigen Bauvorhaben trennbar sind (siehe die hg. Erkenntnisse vom 18. Juni 1991, Zl. 90/05/0246, vom 26. Februar 2009, Zl 2006/05/0231, und vom 23. Februar 2010, Zl. 2009/05/0250). Da Gebäudefronten, die bewilligte Abstände verletzen, keinesfalls als von einem Bauwerk trennbare Teile beurteilt werden können (siehe hiezu das hg. Erkenntnis vom 20. September 2001, Zl. 99/06/0198), war die Beseitigung der ganzen vorschriftswidrigen Baulichkeit anzuordnen. Eine in der Beschwerde in den Raum gestellte wirtschaftliche Abwägung im Hinblick auf den Bauauftrag ist für die Erlassung eines Beseitigungsauftrages gemäß § 49 Abs. 1 BO nicht vorgesehen und es war die wirtschaftliche Zumutbarkeit nach dieser Gesetzesstelle somit auch nicht zu prüfen.

Dass die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nur mehr die Frage der Angemessenheit der Beseitigungsfrist inhaltlich geprüft hätte, ist mit der Aktenlage nicht in Einklang zu bringen. Zum Beschwerdevorbringen, die belangte Behörde sei auf die Einwände und ihr Vorbringen nicht eingegangen und habe die ausdrücklich beantragten Beweise nicht vollständig aufgenommen, insbesondere die Zeugen Ing. G und Ing. N nicht einvernommen, wird eine Relevanz nicht dargelegt, weil nicht ausgeführt wird, warum die belangte Behörde bei Unterlassung dieser behaupteten Verfahrensmängel zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können. Auch die Rüge betreffend das Gutachten des Bezirksbauamtes G bezüglich der Frist für die Beseitigung des vorschriftswidrigen Baus muss mangels Darlegung der Relevanz ins Leere gehen, zumal aus den diesbezüglichen Ausführungen nicht hervorgeht, was ein solcher Mangel für die Berechnung der Abtragungsfrist bedeuten würde oder welche andere Frist vorzuschreiben gewesen wäre.

Vor dem Hintergrund der dargestellten Erwägungen kann der angefochtene Bescheid im Ergebnis nicht als rechtswidrig erkannt werden, weshalb die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 13. November 2012

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