Normen
ASVG §293;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs5;
ASVG §293;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs5;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin, einer türkischen Staatsangehörigen, auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" gemäß § 47 Abs. 3 iVm § 11 Abs. 2 Z 4 und Abs. 5 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.
Begründend führte die belangte Behörde aus, der Sohn der Beschwerdeführerin - ebenfalls ein türkischer Staatsangehöriger - sei seit März 2002 im Besitz eines unbefristet gültigen Aufenthaltstitels. Er sei seit 27. Juli 1993 mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet. Aus dieser Verbindung stammten zwei - im Entscheidungszeitpunkt minderjährige - Kinder. Darüber hinaus sei die Schwiegertochter der Beschwerdeführerin Mutter eines bereits volljährigen Sohnes.
Im Hinblick auf den von der Beschwerdeführerin beantragten Aufenthaltstitel sei ihre Schwiegertochter, die österreichische Staatsbürgerin sei, als Zusammenführende anzusehen. Sie habe auch eine Haftungserklärung abgegeben.
Bei der Prüfung des Vorliegens ausreichender Unterhaltsmittel sei davon auszugehen, dass die Schwiegertochter ein durchschnittliches Monatseinkommen von netto EUR 394,04 (inklusive Sonderzahlungen) erwirtschafte. Der Sohn der Beschwerdeführerin verdiene im Monat (ebenfalls unter Einbeziehung der Sonderzahlungen) netto EUR 2.416,28. Das monatlich zur Verfügung stehende Haushaltseinkommen betrage sohin EUR 2.810,32.
Bezogen auf die im Entscheidungszeitpunkt geltenden Richtsätze des § 293 Abs. 1 ASVG führte die belangte Behörde weiter aus, für die Schwiegertochter und den Sohn der Beschwerdeführerin müssten monatlich Mittel von EUR 1.158,08 zur Verfügung stehen. Weiters seien jeweils EUR 80,95 für die beiden minderjährigen Kinder zu veranschlagen.
Betreffend den volljährigen Enkelsohn der Beschwerdeführerin (den eingangs erwähnten volljährigen Sohn ihrer Schwiegertochter) sei zwar ein Lehrvertrag vorgelegt worden, jedoch sei laut einem den Enkel betreffenden "Sozialversicherungsauszug" vom 3. November 2009 dessen "Ausbildungs- bzw. Beschäftigungsverhältnis" seit 4. September 2009 beendet. Er beziehe nunmehr Arbeitslosengeld im Ausmaß von EUR 333,37 pro Monat.
Der Enkel der Beschwerdeführerin wohne im Haushalt "seiner Eltern". Es sei zu berücksichtigen, dass sich dieser mit dem zur Verfügung stehenden Arbeitslosengeld nicht selbst versorgen könne. Sohin seien EUR 439,03 - für den Enkel seien nach § 293 Abs. 1 ASVG EUR 772,40 an monatlichen Unterhaltsmitteln zu veranschlagen - vom Haushaltseinkommen zu tragen.
Das zur Verfügung stehende Einkommen werde allerdings durch Kreditbelastungen und Pfändungen geschmälert, was umgekehrt bedeute, dass die diesbezüglichen Beträge den notwendigen zur Verfügung stehenden Mitteln hinzuzurechnen seien. Der Sohn der Beschwerdeführerin und ihre Schwiegertochter hätten bei der G-Bank einen Kredit von EUR 63.000,-- aufgenommen. Dafür sei eine monatliche Kreditrate von EUR 658,85 zu zahlen. Da weiters für die Beschwerdeführerin selbst an Unterhaltsmitteln EUR 772,40 notwendig seien, ergebe dies insgesamt ein monatlich aufzubringendes Haushaltseinkommen von EUR 3.190,26. Ein solches werde aber mit dem vorhandenen monatlichen Gesamteinkommen von EUR 2.810,32 nicht erreicht.
Es sei sohin nicht nachgewiesen worden, dass die notwendigen Unterhaltsmittel für die Beschwerdeführerin zur Verfügung stünden. Es sei daher sehr wahrscheinlich, dass ihr Aufenthalt in Österreich zur finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führe.
Zur Interessenabwägung nach § 11 Abs. 3 NAG führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin weise zwar infolge des Aufenthalts ihres Sohnes und seiner Familie Bindungen in Österreich auf. Jedoch sei die Sicherung des Lebensunterhaltes eine wichtige Grundvoraussetzung für die Erteilung des Aufenthaltstitels. Da ein ausreichender Nachweis über den gesicherten Lebensunterhalt nicht erbracht worden sei, habe die Abwägung der gegenläufigen Interessenlagen zu Lasten der Beschwerdeführerin auszugehen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid eingebrachte Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Eingangs ist festzuhalten, dass im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides für die Beurteilung des gegenständlichen Falles das NAG in der Fassung des BGBl. I Nr. 38/2009 maßgeblich ist.
§ 11 Abs. 2 Z 4, Abs. 3 und Abs. 5 NAG (samt Überschrift) lautet:
"Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel
§ 11. ...
(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden,
wenn
1. ...
4. der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen
Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;
5. ...
(3) Ein Aufenthaltstitel kann trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß Abs. 1 Z 3, 5 oder 6 sowie trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs. 2 Z 1 bis 6 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und
die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen
rechtswidrig war;
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;
4. der Grad der Integration;
5. die Bindungen zum Heimatstaat des
Drittstaatsangehörigen;
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung,
insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und
Einwanderungsrechts;
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des
Drittstaatsangehörigen in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren.
(4) ...
(5) Der Aufenthalt eines Fremden führt zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (Abs. 2 Z 4), wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, entsprechen. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche (§ 2 Abs. 4 Z 3) ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten dessen pfändungsfreies Existenzminimum gemäß § 291a der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr. 79/1896, nicht zu berücksichtigen.
(6) ... ."
§ 293 Abs. 1 ASVG (in der hier maßgeblichen Fassung des BGBl. II Nr. 7/2009) hat folgenden Wortlaut:
"§ 293. (1) Der Richtsatz beträgt unbeschadet des Abs. 2 | ||
a) für Pensionsberechtigte aus eigener Pensionsversicherung, | ||
aa) wenn sie mit dem Ehegatten (der Ehegattin) im gemeinsamen Haushalt leben | 1.158,08 | EUR, |
bb) wenn die Voraussetzungen nach aa) nicht zutreffen | 772,40 | EUR, |
b) für Pensionsberechtigte auf Witwen(Witwer)pension | 772,40 | EUR, |
c) für Pensionsberechtigte auf Waisenpension: | ||
aa) bis zur Vollendung des 24. Lebensjahres falls beideElternteile verstorben sind | 284,10426,57 | EUR,EUR, |
bb) nach Vollendung des 24. Lebensjahres falls beideElternteile verstorben sind | 504,84772,40 | EUR,EUR. |
Der Richtsatz nach lit. a erhöht sich um 80,95 EUR für jedes Kind (§ 252), dessen Nettoeinkommen den Richtsatz für einfach verwaiste Kinder bis zur Vollendung des 24. Lebensjahres nicht erreicht."
Die Beschwerdeführerin richtet sich gegen die Art der Berechnung der insgesamt ihrer Familie zur Verfügung stehenden Unterhaltsmittel und die diesbezügliche Verfahrensführung durch die belangte Behörde.
Die Beschwerde ist berechtigt.
Zutreffend hat die belangte Behörde bei ihrer Beurteilung nach § 11 Abs. 5 NAG auf das vorhandene "Haushaltseinkommen" und die in § 293 Abs. 1 ASVG enthaltenen Richtsätze abgestellt (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 18. März 2010, 2008/22/0637).
Zunächst ist mit Blick auf das diesbezügliche Vorbringen der Beschwerdeführerin darauf hinzuweisen, dass die belangte Behörde in ihre Berechnung die Belastung durch die Kreditrückzahlung von monatlich EUR 658,85 einbeziehen durfte. Dass es sich um einen "Hypothekarkredit", mit dem die Finanzierung einer Liegenschaft erfolgt, handelt, ändert daran nichts (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 2010, Zl. 2009/21/0278). Ausgehend davon ist festzuhalten, dass das von der Schwiegertochter der Beschwerdeführerin und ihrem Sohn erwirtschaftete monatliche Einkommen von EUR 2.810,32 lediglich im Ausmaß von EUR 2.151,47 für die Lebensführung tatsächlich zur Verfügung steht.
In berechtigter Weise macht die Beschwerdeführerin allerdings geltend, dass ihr zur Annahme der belangten Behörde, ihr volljähriger Enkelsohn sei arbeitslos, kein Parteiengehör eingeräumt worden sei. Dies entspricht der Aktenlage. Zur Relevanz dieses Verfahrensmangels legt die Beschwerdeführerin dar, deswegen sei es ihr unmöglich gewesen, vorzubringen und nachzuweisen, dass dieser Enkelsohn nur ganz kurzfristig arbeitslos gewesen sei und bereits einen neuen Arbeitgeber gefunden habe, bei dem er auch bereits "angefangen" habe.
Sollte nun der volljährige Enkelsohn infolge eigenen ausreichenden Einkommens auf Unterhaltsleistungen durch seine Mutter nicht mehr angewiesen sein, könnte nicht gesagt werden, das monatlich der Zusammenführenden für die Lebensführung zur Verfügung stehende Haushaltseinkommen würde nicht im Sinn des § 11 Abs. 5 NAG ausreichend sein, um für ihren eigenen Lebensunterhalt und den ihrer hier lebenden Familie (EUR 1.158,08 für die Zusammenführende und ihren Ehemann zuzüglich 2-mal EUR 80,95 für die beiden minderjährigen Kinder, insgesamt sohin EUR 1.319,98) und der Beschwerdeführerin (EUR 772,40) Sorge tragen zu können. Abzüglich der für die schon hier lebende Familie der Zusammenführenden notwendigen Mittel verblieben nämlich dann EUR 831,49, die für Unterhaltsleistungen an die Beschwerdeführerin zur Verfügung stünden. Damit würde aber das vom Gesetz geforderte Ausmaß jedenfalls erreicht.
Der belangten Behörde ist aber auch vorzuwerfen, dass sie bei der Interessenabwägung nach § 11 Abs. 3 NAG den öffentlichen Interessen gegenüber den persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin allein deswegen Vorrang eingeräumt hat, weil das nach § 11 Abs. 5 NAG notwendige Ausmaß an Unterhaltsmitteln nicht zur Verfügung stehe. Dies liefe allerdings darauf hinaus, dass im Fall des Fehlens der Erteilungsvoraussetzung nach § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 NAG eine Interessenabwägung nach § 11 Abs. 3 NAG immer zu Lasten des Fremden auszugehen hätte, was aber nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes mit dem Gesetz nicht in Einklang zu bringen ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 6. August 2009, Zl. 2008/22/0391).
Sohin war der angefochtene Bescheid wegen - vorrangig wahrzunehmender - Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben, ohne dass hier auf - auch in der Beschwerde aufgeworfene - unionsrechtliche Fragestellungen hätte eingegangen werden müssen.
Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 26. Juni 2012
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