VwGH 2009/18/0159

VwGH2009/18/01596.9.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofrätin Mag. Merl sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des M D in M, vertreten durch Dr. Benedikt Spiegelfeld, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Parkring 2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 4. Februar 2009, Zl. 2/3-9/2008, betreffend Entziehung eines Reisepasses, zu Recht erkannt:

Normen

32004L0038 Unionsbürger-RL Art27 Abs1;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art27 Abs2;
32004L0038 Unionsbürger-RL;
62010CJ0430 Hristo Gaydarov VORAB;
EURallg;
PaßG 1992 §14 Abs1 Z3 litf idF 2006/I/044;
PaßG 1992 §15 Abs1 idF 2006/I/044;
VwGG §42 Abs2 Z1;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art27 Abs1;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art27 Abs2;
32004L0038 Unionsbürger-RL;
62010CJ0430 Hristo Gaydarov VORAB;
EURallg;
PaßG 1992 §14 Abs1 Z3 litf idF 2006/I/044;
PaßG 1992 §15 Abs1 idF 2006/I/044;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid entzog die belangte Behörde gestützt auf § 14 und § 15 Passgesetz 1992 (PassG) dem Beschwerdeführer seinen österreichischen Reisepass. Dies begründete sie im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 30. Mai 2008 wegen des Verbrechens gemäß § 28 Abs. 2 vierter Fall, Abs. 3 erster Fall SMG und der Vergehen gemäß § 27 Abs. 1 sechster Fall, Abs. 2 Z 2 zweiter Fall SMG sowie der Vergehen gemäß § 27 Abs. 1 erster und zweiter Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von sechzehn Monaten, davon dreizehn Monate bedingt nachgesehen, verurteilt worden sei. Die dem Urteil zugrunde liegenden Straftaten wurden im angefochtenen Bescheid näher dargestellt.

Bereits in seiner Berufung wies der Beschwerdeführer darauf hin, dass er im Ausland arbeite und dort über eine Aufenthaltsberechtigung verfüge. Im Fall der Entziehung seines Reisepasses müsse er zwangsweise seine Arbeit aufgeben und "seine neue Heimat" verlassen.

In ihrer rechtlichen Beurteilung bezog sich die belangte Behörde auf das genannte Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz und führte wörtlich aus, "da es sich beim Reisepassentzug um keine Strafe, sondern um eine administrative Maßnahme handelt, ist daher auf die persönlichen Verhältnisse, wie in Ihrem Fall, dass Sie im Ausland arbeiten, von der Behörde keine Rücksicht zu nehmen."

In weiterer Folge begründete die belangte Behörde, dass aus ihrer Sicht dem Beschwerdeführer sein Reisepass zu entziehen sei, weil unter Berücksichtigung des "Erfahrenswissens" im Zusammenhang mit der bei Suchtgiftdelikten bestehenden besonders großen Wiederholungsgefahr die Annahme gerechtfertigt sei, der Beschwerdeführer wolle den Reisepass dazu benützen, um entgegen den bestehenden Vorschriften Suchtgift in einer großen Menge zu erzeugen, einzuführen, auszuführen oder in Verkehr zu setzen, wobei es nicht darauf ankomme, ob er seinen Reisepass in Zusammenhang mit dem ihm zur Last liegenden Suchtgifthandel verwendet habe. Im Vordergrund stehe, dass er ihn in Zukunft für diese Zwecke verwenden könnte.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde sowie nach Einlangen von Stellungnahmen der Bundesministerin für Inneres sowie des Beschwerdeführers in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in seinem Erkenntnis vom 19. Juni 2012, Zl. 2009/18/0094, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, ausgeführt, dass gemäß der Richtlinie 2004/38/EG und dem dazu ergangenen Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (kurz: EuGH) vom 17. November 2011, C-430/10 , Rs Gaydarov, die Mitgliedsstaaten die Freizügigkeit eines Unionsbürgers oder seiner Familienangehörigen nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit einschränken dürften. Der Begriff der öffentlichen Ordnung setze voraus, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstelle, eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr vorliegen müsse, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Solche Maßnahmen aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit seien im Lichte des Art. 27 Abs. 2 der genannten Richtlinie nur gerechtfertigt, wenn dafür ausschließlich das persönliche Verhalten des Betroffenen ausschlaggebend sei; vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen seien nicht zulässig. Strafrechtliche Verurteilungen alleine könnten die Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit beschränkende Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen.

Der EuGH führt in Randnummer 40 des genannten Urteils weiter aus, aus Art. 27 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG und der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes lasse sich entnehmen, dass eine das Recht auf Freizügigkeit beschränkende Maßnahme nur gerechtfertigt sein könne, wenn sie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahre.

Dazu bringt die Beschwerde vor, aus welchen Gründen ihrer Ansicht nach nicht davon auszugehen sei, dass eine ein Grundinteresse der Gesellschaft berührende tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr der Begehung von Suchtgiftdelikten im Sinn des § 14 Abs. 1 Z. 3 lit. f PassG durch den Beschwerdeführer angenommen werden könnte. Darüber hinaus entspreche der Bescheid nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, weil die belangte Behörde die Folgen ihrer Entscheidung für den Beschwerdeführer und die Umstände des Einzelfalls nicht beachtet habe.

Damit ist die Beschwerde im Recht. Dadurch, dass sich die belangte Behörde im Rahmen der zu erstellenden Zukunftsprognose auf die allgemeinen Aussagen hinsichtlich des Erfahrungswissens im Zusammenhang mit der bei Suchtgiftdelikten bestehenden großen Wiederholungsgefahr gestützt hat und keine Tatsachen anführte, die eine Annahme rechtfertigten, der Beschwerdeführer wolle den Reisepass dazu benützen, um entgegen den bestehenden Vorschriften Suchtgift in einer großen Menge zu erzeugen, einzuführen, auszuführen oder in Verkehr zu setzen, wird der angefochtene Bescheid § 14 Abs. 1 Z. 3 lit. f PassG in Verbindung mit den Anforderungen der Richtlinie 2004/38/EG iSd angeführten Urteils des EuGH vom 17. November 2011 nicht gerecht (vgl. dazu insbesondere das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2009/18/0168). Darüber hinaus ging die belangte Behörde in Verkennung der durch das genannte Urteil klargestellten Rechtslage davon aus, auf die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers keine Rücksicht nehmen zu müssen.

Da somit der angefochtene Bescheid schon aus den genannten Gründen unionsrechtlichen Vorgaben nicht entsprochen hat, war er bereits deshalb wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben, ohne dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt auf darüber hinaus gehende unionsrechtliche Problemstellungen hätte eingegangen werden müssen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 6. September 2012

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