VwGH 2011/22/0030

VwGH2011/22/00307.4.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde von N, G, Z, A und S, alle in S und vertreten durch die Weh Rechtsanwalt GmbH in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen die Bescheide der Bundesministerin für Inneres vom 22. April 2010, Zlen. 155.937/2-6-III/4/10, jeweils betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66;
EMRK Art8;
NAG 2005 §43 Abs2;
NAG 2005 §43;
NAG 2005 §44b Abs1 Z1;
NAG 2005 §44b;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66;
EMRK Art8;
NAG 2005 §43 Abs2;
NAG 2005 §43;
NAG 2005 §44b Abs1 Z1;
NAG 2005 §44b;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Mit den im Instanzenzug ergangenen Bescheiden vom 22. April 2010 wies die belangte Behörde die Anträge der Beschwerdeführer, Eltern und Kinder türkischer Staatsangehörigkeit, vom 23. Dezember 2009 auf Erteilung von Niederlassungsbewilligungen "unbeschränkt" gemäß § 43 Abs. 2 und § 44b Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Zur Begründung führte sie in diesen Bescheiden annähernd gleichlautend aus, dass die Bezirkshauptmannschaft S gemäß § 53 Abs. 1 iVm § 66 Fremdenpolizeigesetz - FPG gegen die Beschwerdeführer Ausweisungen verfügt habe. Die dagegen erhobenen Berufungen seien mit Bescheid(en) der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 16. September 2009 abgewiesen worden. Die gegen die letztinstanzlichen Bescheide gerichtete Verwaltungsgerichtshofbeschwerde sei mit Erkenntnis vom 18. März 2010 (2010/22/0013, 0014) als unbegründet abgewiesen worden. Demnach seien die Ausweisungen in Rechtskraft erwachsen.

Am 23. Dezember 2009 hätten die Beschwerdeführer die gegenständlichen Anträge auf Erteilung von Niederlassungsbewilligungen "unbeschränkt" gemäß § 43 Abs. 2 NAG eingebracht. Gemäß dieser Bestimmung könnten quotenfreie Niederlassungsbewilligungen erteilt werden, wenn dies gemäß § 11 Abs. 3 NAG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK geboten sei. Gemäß § 44b Abs. 1 Z 1 NAG seien jedoch Anträge u.a. nach § 43 Abs. 2 NAG als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Ausweisung rechtskräftig erlassen worden sei. Über das gesamte Vorbringen zur wirtschaftlichen und persönlichen Integration sei bereits im Ausweisungsverfahren abgesprochen worden. Durch diese Entscheidung sei bereits eine Abwägung im Sinn des Art. 8 EMRK durchgeführt worden. An diese Entscheidung seien die "NAG-Behörden" gebunden. Es sei nicht erkennbar, dass in der Zeit seit Erlassung des Ausweisungsbescheides bis zum 19. März 2010 (Datum der erstinstanzlichen Bescheide) ein maßgeblich geänderter Sachverhalt eingetreten wäre.

Der Verfassungsgerichtshof hat die gegen diese Bescheide erhobene Beschwerde nach Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluss vom 15. Dezember 2010, B 754-758/10-12, über nachträglichem Antrag gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten, der über die ergänzte Beschwerde in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die §§ 43 und 44b NAG lauten auszugsweise:

"§ 43.

(1) ...

(2) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen (§ 44a) oder auf begründeten Antrag (§ 44b), der bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen ist, eine quotenfreie 'Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt' zu erteilen, wenn

1. kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 vorliegt,

2. dies gemäß § 11 Abs. 3 zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist, und

3. ...

...

§ 44b. (1) Liegt kein Fall des § 44a vor, sind Anträge gemäß §§ 43 Abs. 2 und 44 Abs. 3 als unzulässig zurückzuweisen, wenn

1. gegen den Antragsteller eine Ausweisung rechtskräftig erlassen wurde, oder

2. rechtskräftig festgestellt wurde, dass eine Ausweisung bloß vorübergehend (§ 10 AsylG 2005, § 66 FPG) unzulässig ist, oder

3. die Sicherheitsdirektion nach einer Befassung gemäß Abs. 2 in der Stellungnahme festgestellt hat, dass eine Ausweisung bloß vorübergehend unzulässig ist

und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 11 Abs. 3 ein maßgeblich geänderter Sachverhalt nicht hervorkommt.

(2)...

..."

Die belangte Behörde stützte die Bestätigung der erstinstanzlichen Zurückweisung darauf, dass gegen die Beschwerdeführer bereits mit zweitinstanzlichen Bescheiden vom 16. September 2009 - unbestritten - eine Ausweisung verfügt wurde. Es sei keine Änderung des Sachverhalts in Richtung des Privat- und Familienlebens bis zur erstinstanzlichen Zurückweisung mit Bescheiden vom 19. März 2010 eingetreten.

In der Beschwerde wird zwar behauptet, dass sich die maßgebliche Sach- und Rechtslage seit den im Jahr 2009 verfügten Ausweisungen "erheblich zu Gunsten der Beschwerdeführer geändert" hätte. Dazu bringen die Beschwerdeführer aber lediglich vor, dass der Erstbeschwerdeführer die Integrationsvereinbarung erfüllt und das A2-Sprachdiplom mit Erfolg bestanden habe. Er verfüge über Einstellungszusagen und es sei die Familie daher selbsterhaltungsfähig. Die Drittbeschwerdeführerin besuche inzwischen seit über zwei Jahren die Volksschule und sei in den Klassenverband hervorragend integriert. Der Viertbeschwerdeführer besuche inzwischen den Kindergarten.

Damit wird aber keine relevante Änderung des Sachverhalts gegenüber der Entscheidungsgrundlage im Ausweisungsverfahren dargetan, zumal der Zeitabstand viel zu kurz ist, um allein aus dem (unwesentlich) längeren Inlandsaufenthalt und den mit dem Zeitablauf einhergehenden (gleichfalls nicht wesentlichen) Änderungen in den sozialen Kontakten der Kinder zu einer anderen Beurteilung gelangen zu können.

In Wahrheit bekämpfen die Beschwerdeführer in unzulässiger Weise die Rechtmäßigkeit der rechtskräftigen Ausweisungsbescheide. Dies ist aus dem Beschwerdevorbringen abzuleiten, dass "diese Ausweisung durch die damals noch anderweitig vertretenen Beschwerdeführer aus unerfindlichen Gründen nicht angefochten wurde". Davon abgesehen ist diese Behauptung unrichtig, wurden doch die Ausweisungsbescheide ohnedies - jedoch erfolglos - vor dem Verwaltungsgerichtshof bekämpft.

Damit ist der vorliegenden Beschwerde der Erfolg zu versagen. Die weitwändigen Ausführungen zur Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK sind nicht zu berücksichtigen, weil es - wie schon dargelegt - nur auf maßgebliche Sachverhaltsänderungen ankommt.

Warum es "prinzipiell abwegig" sei, die "Entscheidungskompetenz" über humanitäre Aufenthaltsbewilligungen den Fremdenpolizeibehörden "zuzuordnen", ist nicht nachvollziehbar. In keiner Weise geht es hier - wie die Beschwerde behauptet - um "Gnade vor Recht". In verfassungskonformer Weise haben die Fremdenpolizeibehörden bei der Verfügung der Ausweisung auch § 66 FPG anzuwenden und somit (unter möglicher nachprüfender Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eine Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK durchzuführen. Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken, bei unverändertem Sachverhalt der Niederlassungsbehörde die Befugnis einzuräumen, Anträge auf Erteilung humanitärer Niederlassungsbewilligungen zurückzuweisen. Den Niederlassungsbehörden kommt aber ohnedies die Kompetenz zu, eine Änderung der maßgeblichen Umstände zu prüfen. (Im Übrigen hat der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der vorliegenden Beschwerde abgelehnt und ist somit erkennbar den in der an ihn erhobenen Beschwerde aufgezeigten verfassungsrechtlichen Bedenken nicht nähergetreten.)

Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen. Wien, am 7. April 2011

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