VwGH 2011/21/0099

VwGH2011/21/009929.9.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und den Hofrat Dr. Pelant sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des E, vertreten durch Dr. Robert Leitner, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz-Josefs Kai 3, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 19. Jänner 2011, Zl. UVS-01/35/301/2011-5, betreffend Schubhaft (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §83 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §83 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste am 21. Mai 2008 nach Österreich ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 18. November 2010 rechtskräftig abgewiesen wurde, wobei der Beschwerdeführer gleichzeitig nach Nigeria ausgewiesen wurde.

Am 5. Jänner 2011 wurde über ihn von der Bundespolizeidirektion Wien gemäß § 76 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung verhängt und sogleich in Vollzug gesetzt. Am selben Tag war der Beschwerdeführer am Meldeamt in Wien-Ottakring, wo er sich an einer bestimmten Wohnadresse anmelden wollte, festgenommen worden.

Im erstinstanzlichen Schubhaftbescheid wurde zur Begründung des Sicherungsbedarfs ausgeführt, dass der Beschwerdeführer in Österreich weder sozial, familiär noch beruflich integriert sei. Er habe nach rechtskräftig abgeschlossenem Asylverfahren die zugewiesene Betreuungseinrichtung mit 13. Dezember 2010 verlassen und der Fremdenpolizeibehörde gegenüber seinen Aufenthaltsort verschwiegen. Er habe seinen illegalen Aufenthalt zuletzt im Verborgenen fortgesetzt und am heutigen Tag versucht, durch Anmeldung an einer "sogenannten Scheinadresse" auch hinkünftiges fremdenpolizeiliches Einschreiten zu vereiteln.

In der dagegen gerichteten Administrativbeschwerde bestritt der Beschwerdeführer insbesondere das Vorliegen einer Scheinmeldung. Es handle sich dabei um eine bloße Behauptung der Behörde, die durch nichts dokumentiert sei. Tatsächlich habe er sich dort gemeldet, wo er auch Wohnsitz nehmen habe wollen.

Diese Beschwerde wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - ab. Weiters stellte sie gemäß § 83 Abs. 4 erster Satz FPG fest, dass die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft vorlägen.

Zum strittigen Punkt der Scheinmeldung führte die belangte Behörde Folgendes aus: Der Beschwerdeführer habe lediglich auf seine Absicht verwiesen, einen Wohnsitz nehmen zu wollen; die Administrativbeschwerde enthalte aber keine näheren und überprüfbaren Ausführungen, etwa wie der Beschwerdeführer zu dieser Adresse gelangt sei. Ein Vorbringen, dass der Beschwerdeführer bei dem an der Adresse seit 31. Dezember 2010 gemeldeten E. auf Dauer einen festen Wohnsitz begründen könne, bzw. Ausführungen über die Beziehung des Beschwerdeführers zu diesem fehlten zur Gänze. Die bloß allgemein gehaltenen diesbezüglichen Ausführungen seien nicht geeignet, die Richtigkeit der in der polizeilichen Anzeige vom 5. Jänner 2011 angeführten Angaben bezüglich der versuchten Anmeldung an einer Scheinadresse in Zweifel zu ziehen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen hat:

In der Beschwerde wird erneut bestritten, dass sich der Beschwerdeführer an einer Scheinadresse habe anmelden wollen. Die diesbezügliche Feststellung der belangten Behörde gründe sich auf Angaben nicht namentlich genannter Beamter. Dass der Beschwerdeführer im Zuge seiner Anmeldung angegeben hätte, er wohne auf diversen Bahnhöfen und möchte sich daher an einer Scheinadresse anmelden, sei aber denkunmöglich und wäre jedenfalls zu überprüfen gewesen. Die Behörde habe schwerwiegend zu Lasten des Beschwerdeführers ihre Verpflichtung zur amtswegigen Sachverhaltsermittlung verletzt.

Damit zeigt der Beschwerdeführer einen relevanten Verfahrensmangel auf:

Die Schubhaft wurde maßgeblich mit der Tatsache der Scheinmeldung begründet. Diese Tatsache wurde vom Beschwerdeführer aber schon in der Administrativbeschwerde bestritten. Angesichts dessen hätte die belangte Behörde nicht von einem aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärten Sachverhalt ausgehen dürfen. Sie war daher verpflichtet, gemäß § 83 Abs. 2 Z 1 FPG eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Indem sie dies unterlassen hat, hat sie den angefochtenen Bescheid mit einem Verfahrensmangel belastet, bei dessen Vermeidung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 29. September 2011

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