VwGH 2011/18/0014

VwGH2011/18/001422.2.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch und den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl sowie die Hofräte Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des NG, geboren am 18. September 1984, vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 12/1/27, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 6. Dezember 2010, Zl. E1/336.867/2010, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §56 Abs1;
FrPolG 2005 §56 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §66;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
SMG 1997 §28a Abs4 Z3;
SMG 1997 §28b;
FrPolG 2005 §56 Abs1;
FrPolG 2005 §56 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §66;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
SMG 1997 §28a Abs4 Z3;
SMG 1997 §28b;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

Anhand der Beschwerde und der mit ihr vorgelegten Bescheidausfertigung ergibt sich Folgendes:

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.

Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer, der über einen unbefristeten Aufenthaltstitel verfüge, weise seit 20. November 2003 im Bundesgebiet eine aufrechte Meldung auf. Er sei - gemeinsam mit seiner Mutter und zwei Geschwistern - seinem bereits in Österreich lebenden Vater nachgezogen. Er lebe mit seinen Eltern, den beiden Geschwistern und dem einjährigen Kind eines seiner Geschwister im gemeinsamen Haushalt. Der Vater und eine Schwester seien bereits österreichische Staatsbürger. Der Beschwerdeführer sei seit 2006 verheiratet. Seine Ehefrau lebe "in der Heimat".

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 25. Februar 2010 sei der Beschwerdeführer nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall, Abs. 4 Z 3 Suchtmittelgesetz (SMG), § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs. 2 SMG rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt worden, wobei ein Teil der Freiheitsstrafe von 12 Monaten bedingt nachgesehen worden sei.

Diesem Urteil sei zugrunde gelegen, dass der Beschwerdeführer für einen Mittäter als Suchtmittelbote tätig gewesen sei und in der Zeit von August 2009 bis 6. September 2009 immer wieder Suchtgift, zumindest 30 Gramm Heroin brutto, von seinem Auftraggeber an einen anderen geliefert habe. Dafür habe er Geld und für den Eigenkonsum bestimmtes Heroin (15 Gramm) erhalten. Vom Empfänger der Suchtgiftlieferungen habe der Beschwerdeführer in der Zeit zwischen dem Frühjahr 2009 und dem 7. September 2009 insgesamt etwa fünf Gramm Heroin erhalten. Im August 2009 habe der Beschwerdeführer an einem Treffen zwischen Suchtgiftverkäufern und Käufern teilgenommen, um "die Bezahlung des Suchtgiftes zu besprechen bzw. das Geld einzutreiben". Am 7. September 2009 habe ein Mittäter dem Beschwerdeführer einen Rucksack mit 486,4 Gramm nach Österreich geschmuggelten Heroins übergeben, damit es der Beschwerdeführer zu einer Tankstelle bringe, wo in weiterer Folge die Übergabe an einen Großabnehmer, der jedoch in Wahrheit ein verdeckter Ermittler gewesen sei, hätte erfolgen sollen. Darüber hinaus habe der Beschwerdeführer in der Zeit vom 18. August 2009 bis 7. September 2009 15 Gramm Heroin zum Eigenkonsum erworben und besessen. Bei seiner Festnahme habe er weiters 5,3 Gramm Cannabiskraut und drei Ecstasy-Tabletten bei sich gehabt.

Rechtlich führte die belangte Behörde aus, durch die Verurteilung sei zweifelsfrei der Tatbestand des § 60 Abs. 1 Z 1 FPG erfüllt, weshalb auch die Voraussetzungen zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes, vorbehaltlich der Bestimmungen der §§ 61 und 66 FPG, im Grund des § 60 Abs. 1 FPG gegeben seien. § 56 FPG stehe der Erlassung des Aufenthaltsverbots nicht entgegen.

Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 66 FPG wies die belangte Behörde darauf hin, dass infolge der familiären Bindungen des Beschwerdeführer im Bundesgebiet von einem erheblichen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers auszugehen sei. Dieser Eingriff erweise sich jedoch als zulässig, weil er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, nämlich zur Verhinderung weiterer Straftaten, insbesondere im Bereich der Suchtgiftkriminalität, dringend geboten sei. Der Beschwerdeführer sei wiederholt als Suchtmittelbote tätig gewesen und habe über einen längeren Zeitraum hinweg immer wieder unterschiedlichste Suchtgifte zum Eigenkonsum erworben. Er habe auch über die von ihm überbrachten Suchtgiftmengen Bescheid gewusst und durch die Überlassung von Suchtgift Geld verdienen wollen. Der Suchtgiftkriminalität hafte eine hohe Sozialschädlichkeit und auch eine hohe Wiederholungsgefahr an. Die vom Berufungswerber ausgehende Gefahr wiege sohin schwer. Die aus der Dauer des bisherigen, etwa siebenjährigen inländischen Aufenthalts ableitbare Integration des Beschwerdeführers sei in ihrer sozialen Komponente durch das strafbare Verhalten erheblich an Gewicht gemindert. Der Beschwerdeführer sei "auch nicht schwerwiegend am heimischen Arbeitsmarkt integriert". Er habe zwar seit 1. Jänner 2005 eine Vielzahl von Arbeitsverhältnissen aufzuweisen, diese hätten jedoch allesamt lediglich wenige Tage oder Wochen gedauert. Lediglich im Jahr 2007 und im Jahr 2010 sei der Beschwerdeführer für etwa fünf Monate durchgehend beschäftigt gewesen. Derzeit sei er arbeitslos. Der - volljährige - Beschwerdeführer lebe zwar im gemeinsamen Haushalt mit Familienangehörigen, jedoch hätten ihn auch diese familiären Bindungen nicht von der Begehung der Straftaten abhalten können. Es sei kein Grund ersichtlich, weshalb einer Rückkehr des Beschwerdeführers in sein Heimatland unüberwindbare Hindernisse entgegenstünden. Er sei bereits als Erwachsener in Österreich eingereist und habe den weitaus überwiegenden Teil seines Lebens in seinem Heimatland verbracht. Er sei mit den dortigen Gebräuchen und Gepflogenheiten vertraut. Es sei ihm sohin, auch wenn allenfalls unter Schwierigkeiten, eine "Reintegration" in seinem Heimatland zuzumuten. Darüber hinaus sei darauf hinzuweisen, dass seine Ehefrau, die er im Februar 2006 in der Türkei geheiratet habe, ebenfalls in seinem Heimatland lebe. In Anbetracht des öffentlichen Interesses an der Verhinderung weiterer Straftaten habe das Privatinteresse des Beschwerdeführers in den Hintergrund zu treten.

Des Weiteren legte die belangte Behörde noch dar, weshalb auch im Zuge der Ermessensübung nicht von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes habe Abstand genommen werden können, und tätigte Ausführungen zur Festlegung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde erwogen:

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die von der belangten Behörde vertretene Annahme einer von ihm ausgehenden Gefährdung und verweist auf sein im Strafverfahren abgelegtes Geständnis und die im Rahmen des strafgerichtlichen Verfahrens berücksichtigten Milderungsgründe.

Bei einer Prognosebeurteilung nach § 60 Abs. 1 FPG kommt es - ebenso wie bei der Erstellung der Gefährdungsprognosen nach § 56 Abs. 1 und § 86 Abs. 1 (erster bis vierter Satz sowie fünfter Satz) FPG - in Bezug auf strafgerichtliche Verurteilungen letztlich immer auf das diesen zugrunde liegende Verhalten an. Es ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremdens, sondern auf die Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 20. November 2008, Zl. 2008/21/0603, mwN). Anders als der Beschwerdeführer meint, hat allerdings dabei die Fremdenpolizeibehörde ihre Beurteilung eigenständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts und unabhängig von den Erwägungen des Strafgerichts zu treffen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 2009, Zl. 2009/18/0415, mwN).

Zwar ist der belangten Behörde im gegebenen Zusammenhang im Blick auf ihre Feststellungen, der Beschwerdeführer verfüge über einen unbefristeten Aufenthaltstitel, vorzuwerfen, dass sie keine hinreichend klaren Feststellungen dazu getroffen hat, ob im gegenständlichen Fall der Gefährdungsmaßstab des § 60 Abs. 1 FPG oder des § 56 Abs. 1 FPG zur Anwendung zu bringen sei (vgl. zum System der "abgestuften Gefährdungsprognosen" das bereits erwähnte Erkenntnis vom 20. November 2008). Insbesondere kann dies auch nicht dem bloß kursorischen Hinweis der belangten Behörde, § 56 FPG stehe der Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht entgegen, entnommen werden. Jedoch kann es anhand der oben wiedergegebenen, im angefochtenen Bescheid enthaltenen Feststellungen zum strafbaren Verhalten des Beschwerdeführers keinen Zweifel geben, dass im vorliegenden Fall jedenfalls (auch) die Annahme der in § 56 Abs. 1 FPG ausgedrückten Gefährdungsprognose ("schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit") gerechtfertigt ist. Zum einen ist der dies indizierende Tatbestand des § 56 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllt, weil der Beschwerdeführer rechtskräftig wegen der Begehung eines Verbrechens (nach dem SMG) verurteilt wurde. Zum anderen wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer über einen längeren Zeitraum hinweg dazu beigetragen hat, Suchtgift in hohem Ausmaß - aus den Urteilsdaten ergibt sich, dass die Tathandlungen in Bezug auf Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (iSd § 28b SMG) übersteigenden Menge begangen wurden (vgl. § 28a Abs. 4 Z 3 SMG sowie insbesondere auch die Feststellungen zum Weitertransport von 486,4 Gramm Heroin) - in Verkehr zu setzen. Dabei hat er zudem an den Handlungen einer über die Grenzen Österreichs hinweg agierenden Tätergruppe teilgenommen. Die seit der Verurteilung verstrichene Zeit des Wohlverhaltens ist in Anbetracht des gravierenden Fehlverhaltens des Beschwerdeführers demgegenüber noch zu kurz, um verlässlich vom Wegfall oder einer maßgeblichen Minderung der von ihm hervorgerufenen Gefahr ausgehen zu können.

Wenn der Beschwerdeführer zur Erschütterung der Gefährdungsprognose einwendet, er habe erst im Zuge des Suchtgiftgeschäftes erfahren, "worum es überhaupt" gegangen sei, entfernt er sich von den behördlichen Feststellungen, ohne darzulegen, warum diese auf Grund mängelbehafteter Verfahrensführung getroffen worden wären. Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid demgegenüber mit näherer Begründung in nicht als unschlüssig zu erkennender Weise dargelegt, weshalb diesen Angaben kein Glauben zu schenken sei.

Soweit der Beschwerdeführer im gegebenen Zusammenhang auf familiäre Bindungen im Bundesgebiet hinweist, hat dem bereits die belangte Behörde zu Recht entgegengehalten, dass diese auch schon in der Zeit der Tatbegehungen vorhanden waren, aber den Beschwerdeführer nicht von seinem strafbaren Verhalten abgehalten haben.

Der Beschwerdeführer bringt aber auch - mit Blick auf § 66 FPG - vor, er gehe einer Beschäftigung nach und sei "sozial vollkommen integriert", und verweist auf die in Österreich lebenden Verwandten. Das Verhältnis zu seinen Verwandten hat die belangte Behörde bei der Interessenabwägung ebenso berücksichtigt wie die Aufenthaltsdauer und die bisherigen - jedoch immer bloß kurzfristigen - Beschäftigungsverhältnisse, die fallbezogen nicht ausschlaggebend ins Gewicht fallen können. Zutreffend hat die belangte Behörde bei ihrer Abwägung den zu Gunsten des Beschwerdeführers zu berücksichtigenden Umständen entgegengehalten, dass seinem persönlichen Interesse am Verbleib in Österreich das große öffentliche Interesse an der Verhinderung von Straftaten der hier in Rede stehenden Art, das der Beschwerdeführer durch seine Handlungen massiv beeinträchtigt hat, gegenübersteht. Die Trennung von seinen in Österreich lebenden Angehörigen sowie allfällige mit einer Wiedereingliederung in sein Heimatland verbundene Schwierigkeiten hat der Beschwerdeführer im öffentlichen Interesse hinzunehmen. In diesem Zusammenhang ist aber auch darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer unbestritten familiäre Bindungen in seinem Heimatland aufweist, weil dort seine Ehefrau - sohin ein Mitglied seiner Kernfamilie - lebt. Dass einer Wiedereingliederung in seinem Heimatland Hindernisse entgegenstehen würden, hat der Beschwerdeführer im Übrigen selbst nicht behauptet. Vor diesem Hintergrund kann der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie die Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch nach § 66 FPG für zulässig angesehen hat.

Dass es geboten gewesen wäre, im Rahmen der Ermessensübung von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes Abstand zu nehmen, hat der Beschwerdeführer nicht vorgebracht. Auch die Dauer der Befristung des Aufenthaltsverbotes wird vom Beschwerdeführer nicht bekämpft. Dass der angefochtene Bescheid insoweit rechtswidrig wäre, ist nicht erkennbar.

Da sohin bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass dem angefochtenen Bescheid die behauptete Rechtsverletzung nicht anhaftet, war die gegenständliche Beschwerde ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gemäß § 35 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 22. Februar 2011

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